Die 70er neu belichtet – Die Freunde Herman Dune & Jeffrey Lewis spielen Pop und Punk aus ferner Zeit

SCHWANKHALLE, BREMEN.

Es ist eine Art Familientreffen, wenn Herman Dune und Jeffrey Lewis auf Tournee gehen. Man kennt sich von früheren Reisen, hat im Jesus-Freak-Wohnzimmer genauso gespielt wie im gediegenen Indie-Club. In der Bremer Schwankhalle, die eigentlich ein Theatersaal ist, darf auch Turner Cody, mittlerweile Bassist von Herman Dune, ein paar Lieder aus dem Solo-Repertoire singen – etwas lapidarer Indie-Blues-Folk ist das, schön genug zum Reinkommen.

Danach schöpft Jeffrey Lewis aus dem Vollen. Die Alben mit eigenen Werken, die heiß begehrten Comics, jetzt die Platte „12 Crass Songs“, auf der Lewis die legendären Polit-Punks Crass neu in Szene setzt – es gibt viel zu sehen und zu hören, wenn der New Yorker auf die Bühne geht. Gemeinsam mit Bruder Jack, Muse Helen Schreiner und Trommler David Beauchamp gleicht sein Auftritt eher einem Happening als einem herkömmlichen Konzert. Im Mittelpunkt stehen die Lieder des neuen Albums, die live rabiater gespielt werden – Lewis hatte den Crass-Punk im Studio meistens zu einer Art Anti-Folk umgedeutet, um die sehr direkten lyrischen Manifeste und Kapitalismusanklagen zeitgemäß zu übersetzen. Auf der Bühne krächzt und fiept die verzerrte akustische Gitarre deutlich mehr, doch der Pixiesund Sonic Youth-geschulte NoPop bleibt auch in den lauten Momenten durchlässig genug, um den neuen Blick auf die alte Musik zu erhalten. Im Hintergrund laufen pausenlos zusammenhangslose Filme über dieses und jenes; Lewis hatte im Internet um entsprechende Zusendungen gebeten.

Der Bilderfluss wird unterbrochen durch PDF-Präsentationen von Lewis‘ lustignihilistischen Comics, zu denen der Künstler passende Texte in einer Art Singsang rezitiert. Schön urban ist das und schnell und kunstsinnig, aber auch berührend, zumal dann, wenn Helen Schreiner auf ihrem Mini-Keyboard herumdrückt und unisono mitsingt.

Herman Dune ändern den Grundton dann natürlich sehr. Sänger und Songschreiber David-Ivar ist im Grunde ein Romantiker, der aus französischer Sicht amerikanischen Mythen nachgeht und den Pop der späten Sechziger bzw. frühen Siebziger verinnerlicht hat – mit einer Musik, die praktisch immer eine ungefähre Schnittmenge aus „Don’t Let Me Be Misunderstood“ und „Tb Love Somebody“ bildet. Und die Bee Gees! Die sind nicht weit, wenn David-Ivar zum gefühlvollen Lamento ansetzt. Man nimmt diese simplen Lieder an, weil sie den Kitsch von damals neu in Szene setzen, unfertiger und brüchiger, nicht so hermetisch und groß entworfen. Eine Platte von Jeffrey Lewis heißt „It’s The Ones Who‚ve Crached That The Light Slimes Through“, und ein schöneres Motto kann man über den Abend nicht setzen.

In Bremen wird jedenfalls gleich getanzt, das Ganze wirkt wie die ausgelassene Aftershow-Party einer gelungenen Theaterpremiere. Sicher rutschen einem irgendwann die einzelnen Lieder durch, weil sich der Tonfall nicht ändert, aber man klagt nicht, sondern lächelt mit David-Ivar, einem ganz zarten Mann auf der Reise von Paris nach Amerika.

Herman Dune, die live zum Quartett anwachsen, spielen übrigens erstaunlich akkurat und gar nicht so niedlich wie auf den Alben – besonders Trommler Neman und ein gelegentlich Trompete spielender Percussionist sorgen für ordentlich Rhythmus. Der schönste Moment ist dann aber ein gar nicht repräsentativer: David-Ivar und Jeff Lewis spielen auf Ukulele und Klavier Lou Reeds „Hooky Wooky“, ganz klein und schön. Das Lied vereint beide Musiker und ist Fluchtpunkt einer Musik, die man wohl Anti-Folk nennen kann, aber nicht muss.

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