Die Außerirdischen von nebenan

Beim Berlin-Hype übersehen: Aus der Musikergilde Strelitzer Straße kommt nun Agit-Punk von NMFarner und Songkunst von Noel

Bitte nichts gegen Berlin sagen. Die Stadt, die so vielen Künstlern der einzige Ort ist, wo sie die Mieten zahlen und nebenher schön künstlern können, die die Love Parade los ist und dafür eine Popkomm hat, eine Flick-Ausstellung und vielleicht bald eine Elite-Uni. Und immer noch rufen Leute an und sagen, dass dies und das gerade der Hit in Berlin sei. Von stadtspezifischen Hits in Hamburg, Frankfurt oder gar Bielefeld wird nie berichtet, das fällt auf.

Die Berlin-only-Songs 2004: „Ein Tag in Berlin“ von der Band Killerkouche. „Winter“ von P.R. Kantate, „Wovon lebt eigentlich Peter?“ von Winson. Kennzeichen dieser Lieder ist auch, dass sie jenseits der Stadt keinen interessieren. Einen Neuzugang hätten wir noch: „Jeden Abend sind wir hier und feiern uns selbst/ Nichts ist unmöglich mit dem nötigen Geld/ Es gibt wieder Diener/ Und hier sind wir wieder/ In unserer Stadt!“ Die Band aus Mitte heißt komischerweise NMFarner, trägt auf Fotos blitzende Alien-Augen, und das Stück klingt, als käme es aus dem Dach-Megafon eines Geisterfahrers, der mit Karacho auf eine der Brandenburger-Tor-Säulen zurast.

„Die Stadt“ ist übrigens die – umgearbeitete – Cover-Version eines Songs der Band Die Regierung. Er handelt im Original von der Stadt Essen.

„Der Text drehte sich darum, wie Tilman Rossmy 1982 durch Essen läuft, so als einsamer Wolf, alles leicht überzeichnet. Wir hatten das Gefühl, dass das auf uns nicht übertragbar ist, und wir haben es umgeschrieben“, sagt Norman Nitzsche, Sänger der mysteriösen NMFarner, den man bei Tageslicht gut erkennt Vorausgesetzt, man stand mal beim Konzert von Mina in der ersten Reihe, der Band, die man zuletzt als Symbol für all das hören konnte, was toll ist am neuen Berliner Pop: für den nachlässig frisierten, uneitlen Charme, den Independent-Kunst haben kann. NMFarner sind Nitzsche und Masha Qrella von Mina, zusammen mit Chrigl Farner, dem Knarf-Rellöm-Schlagzeuger. Und am selben Cafetisch sitzt der dünne Typ, den Norman Nitzsche angeblich gern ärgerte: „Hey Noel, du wolltest deine Platte noch im Jahrhundert der Beatles veröffentlichen!“ Ein Jahrhundert zu spät hat auch Noel Rademacher sein Album fertig, „Wrong Places“, grandiose Songwriter-Musik, die hinter dem Gesang wie die Instrumentals von Mina und der verwandten Band Contriva klingt. Man findet Noel in der Grußliste der ersten Mina-Platte, in seinen Credits wiederum stehen Masha, Max Punktezahl und Rike Schuberty, in deren Gruppe Contriva er Schlagzeug spielte. Illusion einer Großstadt-Musikerfamilie.

Sie haben tatsächlich mal alle in einer Straße gewohnt, Anfang der Neunziger, in der Strelitzer in Mitte, dem Schauplatz der großen DDR-Tunnelflucht von 1964. Die Schwester von Max Punktezahl betätigte sich als Socializerin, „eine Opernsängerin, die man nicht übersehen konnte, wenn sie laut singend durch die Straße fuhr“, erzählt Nitzsche. Es gab dann auch ein Label in der Strelitzer Straße, Lok Musik, und dass es sogar einen Strelitzer-Sound gibt, bestreiten nicht einmal die Musiker selbst: als ob Folkies intelligente Zuhör-Elektronik spielen, luftdurchlässig, manchmal auch laut Noel zum Beispiel hatte seine Lieder schon mit einer Band ausprobiert, die ihm viel zu rockig klang. „Da hat Masha gesagt: Jetzt lass uns mal zusammen einen Song von dir aufnehmen!‘ Wir sind nach Pankow rausgefahren, sie hat Bass gespielt. Das war die erste richtige Aufnahme, die ich von einem meiner Lieder hatte.“ Keiner braucht eine Popakademie, wenn er so eine Familie hat Und NMFarner, die Freunde als Punks? „Ich hab es zuerst als Spaßding verstanden“, sagt Noel. „Das hab ich Norman gesagt und er war ein bisschen beleidigt“ „Beleidigt nicht“, meint Norman und lacht „Ich hab mich nur nicht ganz ernst genommen gefühlt.“ Zu wissen, wo der Spaß aufhört, ist auch ein schönes Talent.

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