Die Band der Mitte

Ihren frühzeitigen Riesenerfolg kompensieren die Heidelberger Liquido mit Realismus - und machen weiterhin stubenreinen Bubblegum-Grunge

Welcher Begriff im Lager der Liquidos der bestgehasste ist, liegt auf der Hand. „Dass wir bloß ein One-Hit-Wonder sind, haben viele schon verkündet, bevor das erste Album überhaupt erschienen war“, erinnert sich Bassist Stefan, „die schienen das förmlich glauben zu wollen.“ Für die Gewohnheitspöbler bot der unbedarfte Alterna-Pop der Heidelberger freilich eine famose Angriffsfläche, zumal sich die Debütsingle „Narcotic“ frevelhafte 700 000-mal verkaufte. Der kuriose Zwitter aus Grunge-Gitarre und 80er-Jahre-Synthie wurde so quasi über Nacht zumindest in puncto Verkaufszahlen zur Großtat alternativer Musik made in Germany.

In diesen Tagen veröffentlicht das süddeutsche Quartett nun mit, „At The Rocks“ das Album nach dem Überraschungserfolg. Angst vor schlechter Resonanz? Stefan gibt sich ganz gelassen: „Uns ist schon klar, dass sich der Erfolg von ,Narcotic‘ wohl eh nicht wiederholen lässt“ Sind Liquido am Ende eine überbewertete Band? „Was heißt das schon? Eine neue Musikrichtung haben wir jedenfalls nicht begründet, und was da mit der Single passiert ist, hat uns natürlich auch sehr überrascht.“ Diese Nüchternheit ist programmatisch; Liquido mühen sich sichtlich, den frühzeitigen Riesenerfolg des Debüts mit Bodenständigkeit und Realismus zu kompensieren. Das Songwriting fürs neue Album fand im heimatlichen Proberaum statt, und jeder durfte seine musikalischen Vorlieben unzensiert einbringen- von einem hysterischen Konzept, das den Weltruhm strategisch dingfest machen soll, keine Spur. „Wir versuchen, uns auf lange Sicht zu etablieren“, erläutert Trommler Wolle.

Bei der Umsetzung solcher Pläne stehen sich die Heidelberger zumindest nicht selbst im Wege; laute Gitarren und Punkrock-Verweise sind

„At The Rocks“ endgültig befreit von wütender Emphase und rebellischer Attitüde. Diesen stubenreinen Bubblegum-Grunge beklebten Tim, Wolfgang, Stefan und Wolle einst selbst scherzhaft mit dem Etikett „Pullunderpop“, und das ist gar kein so schlechter Begriff. Die Krankenpfleger- und Studentenband Liquido rockt integrativ und ganz und gar ungefährlich. Und sie fühlt sich pudelwohl in ihrer Ecke der musikalischen Mitte, so Stefan: „Unsere Fans sind gut drauf und haben bisher bei Konzerten immer spitzenmäßig Party gemacht.“ Zum spitzenmäßig Party-Machen gehört auch unbedingt das Erfolgslied, dessentwegen ja ein Großteil des Publikums erscheint „Ich kann Bands nicht verstehen, die ihre größten Erfolge irgendwann einfach nicht mehr spielen. Das ist Missbrauch am Publikum!“, sagt Wolle verständnislos und wird also auch in Zukunft gern die Fans mit „Narcotic“ bedienen.

Die neue Single „Play Some Rock“, ein Poplied mit Kinderchor und schlichtem Melodie-Sentiment, ist so weit nicht entfernt vom ersten Hit, aber ein Schuft ist, wer schnödes Kalkül vermutet. „Wir machen halt das, was bei uns zusammen so rauskommt“, zieht sich Stefan ins Unantastbare zurück. „Freilich haben wir den Zwei-Finger-Akkord nicht erfunden“, erweitert Wolle die Vorlage zum programmatischen Abschluss. „Es soll doch also bitte von uns niemand eine Revoluzzerplatte erwarten.“ Okay.

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