Die Couch im Studio: Barry Adamson verarbeitet seine Psychosen mit Musik

Ich habe jahrelang nur ans Saufen und ans Ficken gedacht“, sagt Barry Adamson und macht mit dem Rollstuhl, an den er durch eine schwere Hüftoperation gefesselt ist, eine unzweideutige Ruckbewegung. „Meine Mutter ist gestorben, mein Vater und auch meine Schwester. Ich habe das nie an mich herangelassen. Inzwischen aber erkenne ich, daß meine drei Solo-Alben eine unbewußte Verarbeitung all dieser Geschehnisse sind. Jedes steht für eine bestimmte Person, die ich verloren habe.“ Die beklemmendsten Ängste und die schwärzesten Träume – das ist der Stoff, aus dem seine Alben sind. Eine Handvoll heiterer Momente sind auch drauf, denn schließlich liebt Adamson Alfred Hitchcock und Bernard Hermann und weiß folglich, daß der Abgrund um so tiefer klafft, wenn er einer Erhebung durch himmlisch leichte Streicher folgt. Er verehrt Abel Ferrara und auch David Lynch, für dessen neuen Film er den Soundtrack komponiert hat. Deshalb hat er auch nichts dagegen, wenn man das Pathos seiner Rede mit einem despektierlichen Witz kontert.

Und auf die Komik der Situation hinweist: Da sitzt ein an Jahren reicher Mann in einem Rollstuhl, ein Mann, der seit fast zwei Dekaden in den härtesten australischen Rockbands gespielt, bei Magazine, Birthday Party, Nick Caves Bad Seeds und legt ein Initiations-Epos vor, einen Entwicklungsbericht über einen Jüngling, der nach Ekstase und Verzweiflung zu sich selbst findet. Nichts anderes ist „Oedipus Schmoedipus“, Adamsons neues Solo-Album. „Stimmt, andere Leute legen solche Werke ein paar Jahrzehnte früher vor. Aber wie gesagt: Ich war vorher nicht reif genug.“ Adamson ist Analytiker. Mit eigenen Filmen hat er sich die Techniken des Erzählens erschlossen, und als Soundtrack-Kenner weiß er, daß ein Score streng funktionalisiert sein muß. „Oedipus Schnoedipus“ arbeitet mit Cocktail-Swing und Horror-Beat, mit Gospel-Einlagen und widerlichen Geräusch-Teppichen -jede Stimmung wird durchgespielt. Als Einstieg hören wir den schwülen Funk „Set The Control (For The Heart Of The Pelvis)“, in dem Pulp-Chef Jarvis Cocker lasziv über die Entdeckung der Lust singt „It’s Business As Usual“ ist ein Mini-Hörspiel, für das Adamson zum drohenden Pochen des Pianos einen Hitchcock-Plot durchspielt. Dann ertönt der Davis-Klassiker „Miles“ („Die Vaterfigur“), in dem Adamson die Trompeten-Parts auf dem Vibraphon klöppelt Danach: viel sinistrer Jazz, bei dem der Protagonist sich in Obsessionen und Zweifel verstrickt Kurz vor Schluß croont Nick Cave „The Sweetest Embrace“ – aber unser Held weiß inzwischen, daß die süßeste nicht immer die beste Umarmung ist Erstaunlich, wie sicher Adamson dieses Werk durchpsychologisiert. Und weil wir während der letzen Stunde ständig auf Hitchcock zu sprechen kamen, piesacke ich ihn mit der Frage, ob er denn nicht befürchte, keine Kunst mehr machen zu können, jetzt, da doch alle Ängste verarbeitet seien.

„Nein. Ich glaube, daß es eine Sache der Erinnerung ist“, kontert Adamson und schaltet in diese düstere Stimme. „Die erste Regel eines Künstlers lautet: Vergiß nie deine Alpträume!“

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