Die „deutschen Shellac“ Surrogat zitieren nun AC/DC und Bon Jovi, drehen mit René Weller. Radikalisierung, Stumpfwerdung – und teuflischer Rock’n’Roll

Was vor drei Jahren noch nicht ganz klappte, wird nun nachgeholt: Die deutsche Metal-Presse ist begeistert, der „Hammer“ und „Rock Hard“ haben sich angekündigt, und es gilt als sicher, dass letztere das fünfte Surrogat-Album „Hell In Hell“ nicht zur notorischen „Arschbombe des Monats“ küren werden.

Als Journalisten-Gimmick zur letzten Platte „Rock“ hatte Surrogat-Prinzipal Patrick Wagner ja schon ein Infoschreiben der bavarischen Spandex-Formation Bonfire verschickt, deren Namen er überall im laufenden Text durchgestrichen und stattdessen „Surrogat“ eingefugt hatte. Für ihn ist „Hell in Hell“ – die erste veritabel hedonistische deutsche Rockplatte- “ auf jeden Fall das Stumpfeste, was wir jemals aufgenommen haben“. Die Hölle in der Hölle, das Helle in der Hölle oder das Helle im Hellen – mit dem Album-Titel haben sich bereits Linguisten beschäftigt.

Noch immer trägt Wagner, der nach seinem Ausstieg beim früheren Surrogat-Label Kitty-Yo nur noch einen statt 70 Anrufe pro Tag bekommt, den Zweitnamen „Größer als Gott“. Auf den 11 Songs von „Hell in Hell“(„Der Titel klingt halt ein bisschen wie „TNT“ von AC/DC), einer kompromisslosen, gänzlich unironischen Platte ohne Absicherung und doppelten Boden, klingt er zuweilen wie der Leibhaftige. „Wagner ist nicht Gott, sondern der Teufel“, sagte kürzlich ein kluger Beobachter, und Wagner selbst findet, das passe genau zu den aktuellen Stücken.

„Wir haben immer mehr das Gefühl, ganz alleine zu stehen. Da ist sonst niemand mehr. Wir sind auch einfach nicht mehr angreifbar“, sagt er und veranschaulicht sein Innenleben: „Die ganze Platte ist eine angeschossener-Hund-Platte. Ich fühle mich immer als angeschossener Hund, ich schlage immer auch um mich, ich habe immer Angst, das ist alles da. Die Frage ist, wie man es verarbeitet Ich stehe morgens gerne auf. Ich weiß: Im Prinzip ist alles scheiße, aber ich richte es mir so ein, dass ich trotzdem Spaß am Leben habe.“ Glam mit anderen Mitteln. Das Gitarrenmotiv für „Love Baby“ fiel ihm um fünf Uhr morgens ein. Um acht Uhr stand die Band im Studio.

Das gar nicht sperrige Berliner Trio (live von nun an durch einen zweiten Gitarristen zum Quartett aufgestockt) möchte dringlicher denn je überall hin. Entscheidend ist, wie man das Stadion rockt: „Deshalb gibt es auch Bestrebungen, mit den Toten Hosen zu touren. Egal, ob cool oder uncool. Es wird einfach Spaß machen, vor 5 000 Ultra-Prolls zu spielen.“ Patrick Wagners im positiven Sinne plakative, bestimmte Texte erinnern tatsächlich ein wenig an den Habitus des frühen Deutsch-Punks („Der Staat scheißt auf uns/ ich nehm ihn in den Mund“), die zahlreichen Zitate sind sorgfältig gewählt: Surrogat sterben in Turnschuhen und meinen Iron Maiden („Die With Your Boots On“). Das Bett, das nicht aus Rosen ist, verweist auf Bon Jovi.

Was Deutschlands einstmals schönster Boxer Rene Weller mit alledem zu tun hat? Vor seiner Inhaftierung wegen Kokainhandels trat der Hobbydichter vor die Presse und sagte: „Ein Rene Weller ist immer oben. Und wenn er mal unten ist, dann ist eben unten oben.“ Der ebenfalls als größenwahnsinnig geltende Wagner übernahm das Zitat für den Titelsong „Hell In Hell“ und schrieb Weller einen Brief in den Knast. Der lässt sich nun im Surrogat-Video erst die Fresse polieren, um den ungleichen Kampf doch als moralischer Sieger zu verlassen. Der alte Hund weiß halt: Hell ain ‚t a bad place to be.

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