Die entfärbte Seele

Zu Beginn der achtziger Jahre war die Mainstream-Festung sturmreif: Schwarze Künstler wie Michael Jackson, Whitney Houston, Prince und Tina Turner eroberten sich ihren Platz an der Chartssonne und scheffelten Dollars wie Onkel Dagobert. Manche von ihnen wurden dabei weißer als weiß und klangen plötzlich clean wie Meister Propper...

Anpassung ist ein zweischneidiges Schwert – gut fürs Geschäft, aber tückisch für die Kunst. In der Popmusik wurde das kaum je so deutlich wie in den achtziger Jahren, als Michael Jackson, Whitney Houston und Tina Turner plötzlich überwältigende Erfolge beim weißen Pop-Publikum einfuhren. Wären nicht die allgegenwärtigen Madonna und Phil Collins gewesen, man hätte meinen können, das schwarze Trio hätte den Popmarkt restlos unter sich aufgeteilt. Wie war das möglich geworden? Spätestens der „Saturday Night Fever“-Coup der Gebrüder Gibb, die mit weißen Anzügen und einer cleveren Adaption des Phillysounds die schwarzen R’n’B-Charts geknackt hatten, bewies, dass die alten Rassenbarrieren in beiden Richtungen aufgeweicht waren. So weit, so schön für Jacko & Co. Und bestand nicht Grund zur Freude über diese Entwicklung, die schließlich auch als Akt der afroamerikanischen Emanzipation begrüßt werden durfte? Black Music dominierte das Geschehen, und ihre Urheber bevölkerten die Roten Teppiche, sobald Grammys und MTV-Awards verliehen wurden. Nur: Was war an dieser Musik noch schwarz?

Am augen-, oder besser: ohrenfälligsten wurde das Phänomen an Tina Turner. Nach ihrer Trennung von Ike wandelte sie auf Solopfaden und bekam zunächst kaum ein Bein auf die Erde. Erst nach einigen Anläufen gelang ihr mit „Private Dancer“ 1984 der große Wurf. Ausgestattet mit dem Image der selbstbestimmten, unabhängigen Lady sowie einem Team angesagter Songschreiber und Produzenten, feierte sie ein großartiges Comeback. Grammy Awards folgten auf dem Fuße, doch wurde die Single „Better Be Good To Me“ nicht in der R&B-Kategorie ausgezeichnet, sondern als „beste weibliche Rock-Vokalaufnahme“ prämiert. Und das war bezeichnend: Ihre Musik verzichtete inzwischen fast vollständig auf die in Funk, Soul und R’n’B gebräuchlichen Stilmittel, die noch ihre Arbeit mit Ike ausgezeichnet hatten. Statt dessen hatten ihr die Produzenten einen ebenso elegant wie gediegen rockenden Maßanzug auf den Leib geschneidert, ausgeschmückt mit dezenten Saxophontupfern, modischen Keyboardklängen und Mark Knopflers lässigen Gitarrenlicks. Viel Schweiß war da nicht mehr zu spüren, und Emotionalität allenfalls noch im Vortrag dieser allerdings nach wie vor großartigen Soul-Sängerin.

Keine Frage, Tinas Musik war schneeweißer Rock. Sie gab jetzt die Charakterdarstellerin mit großer Stimme, mitunter wirkte sie wie das weibliche Pendant zu Rod Stewart oder Joe Cocker, Stichwort: altgediente Rockröhre. Das Ergebnis jedenfalls war Universal-Pop, geschätzt von Radiohörern zwischen Lübeck und Idaho, Moskau und Kuala Lumpur. 1987 absolvierte sie 230 Konzerte vor insgesamt 3,5 Millionen Besuchern und sang in der Maracana-Arena in Rio vor 180.000 Zuschauern – Zahlen, mit denen kaum ein weißer Künstler mithalten konnte.

Ausnahme: Michael Jackson. Sein Crossover ging allerdings nicht ganz so deutlich in Richtung Rock (obwohl er regelmäßig Leute wie Eddie van Halen als Studiogäste hinzuzog), Jackson übertünchte seinen R’n’B statt dessen mit fingerdicker Pop-Lackierung. Die von Quincy Jones meisterlich angerührte Mischung aus wohldosiertem Funk, schwülstigem Soul und nicht zuletzt bonbonsüßen Popelementen bildete die perfekte Basis für Jacksons Inszenierung als geschlechtslosen Peter Pan des MTV-Zeitalters. 1979 hatten Jones & Jackson mit dem Millionenseller „Off The Wall“ begonnen, die Popwelt der Weißen für immer zu verändern. Der neue „King Of Pop“ war nun also schwarz, bemühte sich aber nach Kräften weiß zu werden. Oder wie es Jackson selbst ausdrückte: ein „universeller Künstler“. „Thriller“, das 1982 wie eine Bombe einschlug, löste diesen Anspruch ein. Fast erscheint es da als grimmige Rache des Schicksals, dass der ehemalige Kinderstar fortan durch eine mysteriöse Hautkrankheit und eine Serie verunglückter kosmetischer Eingriffe zum Quasimodo der Pop-Moderne mutierte. An ihm war bald nichts mehr schwarz.

Wie weit sich die Kunst der Anpassung wirklich treiben ließ, demonstrierte niemand so eindrucksvoll wie Whitney Houston: makelloses Aussehen, makellose Stimme, makellose Lieder ohne Ecken und Kanten – eine Pop-Ikone wie aus der Disney-Werkstatt, familienfreundlich und sagrotansauber. Das Ergebnis: keimfreie Popmusik, eine pathetische Olympiahymne und Versuche als Hollywood-Actrice. Dazu ein halbes Dutzend Grammy Awards, sieben Nummer-eins-Alben in Folge und ein Eintrag im „Guinness Buch“ als „erfolgreichste Popsängerin“ aller Zeiten: Was Whitney Houston seit Mitte der achtziger Jahre berührte, wurde zu Gold und Platin. Mit perfekten Ohrenschmeichlern wie „Saving All My Love For You“, „Where Do Broken Hearts Go“ und „I Will Always Love You“ bot das Ex-Model zeitgenössisches Easy Listening und definierte nebenbei das kleine Einmaleins für erfolgreiche Produzentenpop-Balladen. Die Olympia-Schnulze „One Moment In Time“ und eine Filmrolle an der Seite von Kevin Costner („Bodyguard“) schraubten Houstons Popularität ins Unermessliche, das Publikum kaufte die Platten bis zur Besinnungslosigkeit, die Kritiker gaben sich sauertöpfisch. Und reagierten mit unverhohlener Häme, als gewahr wurde, dass die angebliche Mrs. Sauberfrau den weißen Sternenstaub nicht mit dem Lappen wegwischte, sondern gerne durch die Nase zog – das dicke (Karriere-)Ende hieß Drogen- & Magersucht sowie zerrüttetes Privatleben. Bis heute hat sie sich davon nicht erholt. Der kalte Perfektionismus ihrer Erfolgsalben jedoch gilt vielen Sängerinnen und Produzenten noch immer als Maß aller Dinge.

Dass es in den achtziger Jahren auch schwarze Musiker gab, die ihren Pop-Appeal nicht mit dem Verzicht auf ihre Soul-, R’n’Bund Funk-Wurzeln bezahlten, dafür steht stellvertretend das künstlerische Euvre des Prince Rogers Nelson aus Minneapolis, Minnesota. Auch ihm glückte der Sprung in die weiße Popwelt. Im Unterschied zum keimfreien Jackson kokettierte Prince schon früh mit der wunderbaren Welt des Sex und schlüpfte dabei in verschiedene Rollen. Nicht nur in seinen Songs, sondern auch auf der Bühne, wo er die Phantasie seiner Fans mit schwarzen Bikinis und G-Strings anregte. So schuf er eine seltsam androgyne Kunstfigur, durchbrach gängige Rollenbilder und gewann unzählige schwarze und weiße Fans – ein echter Crossover-Star. Musikalisch bediente sich Prince aus allen Quellen und verschmolz die unterschiedlichsten Stilrichtungen zum höchst eigenen, unverkennbaren Sound. Zwar verkaufte er nicht annähernd so viele Platten wie Kollege Jacko, wie er aber gehörte Prince zu den absoluten Superstars der achtziger Jahre.

Jackson, Prince, Turner und Houston waren nicht die einzigen schwarzen Musiker, die in jenen Jahren auf dem Mainstream-Popmarkt von sich reden machten. Pointer Sisters, Luther Vandross, Earth Wind & Fire, Donna Summer und Lionel Richie verpflichteten weiße Manager, die ihnen den Weg zum Mainstream ebnen sollten. Richie war der Einzige, bei dem die Strategie aufging. Er besetzte bald die Nische des Schmusebärs für reife Damen und rollte nach Kräften den Balladenmarkt auf. Richie, in den siebziger Jahren Chef der Commodores, verkaufte 1983 rund 15 Millionen Exemplare seines Albums „Can’t Slow Down“ und wurde damit zum internationalen Superstar. Die Presse nannte ihn den „black Barry Manilow“. Noch Fragen? Vielleicht die: Warum gelang dieses Kunststück nicht auch dem nach wie vor aktiven James Brown? Ganz einfach: Der „Godfather of Soul“ war viel zu schwarz.

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