Die Frau im Mann

High Noon in Nashville. Doch Rodney Crowell ist zur Mittagsstunde in seinem Haus nicht ganz auf der Höhe des Geschehens. Was mit dieser nicht näher definierten „kleinen Verletzung“ zu tun haben mag, die später am Tag mit Akupunktur-Nadeln kuriert werden soll – und darüber hinaus mit einem selbstverhängten „Moratorium“ über die US-Wahlen und Nachrichten überhaupt. „Mein Fernseher ist seit zwei Monaten aus – und mir geht’s so gut wie lange nicht mehr“, lacht der 58-jährige Songschreiber aus Houston. Zu „frustrierend“ die amerikanische News-Mache, zu „hässlich“ die Scharmützel der politischen Lager, zu negativ das Gedanke ngebäude, in dem er dann schnell zu Hause ist. „Vor allem wollte ich keine Songs mehr darüber schreiben, wie auf „The Outsider“, 2005 sein letztes Album.

Davor, völlig aus der Zeit zu fallen, bewahren ihn allein vier Töchter, die ihren Vater auch schon mal mit einem lockeren „Hey, Dad, your Website sucks!“ aufmuntern. Auch die Inspiration fürs neue Album „Sex & Gasoline“ fand er unterm eigenen Dach. ,Ja, es geht um meine Töchter, denn die moderne Kultur ist doch ziemlich hart zu jungen Frauen. Der Titelsong versucht das auf den Punkt zu bringen: Ich schreibe aus der Sicht eines Mannes, der sich fragt, wie es wohl wäre, eine Frau zu sein in dieser Welt.“

Diese Perspektive reizt Crowell auch mit „The Rise And Fall Of Intelligent Design“, „Moving Work Of Art“ oder „I Want You #35“ weiter aus, „alles Songs über die Mystik des Femininen und was davon heute übriggeblieben ist. Man muss sich nur die Nachrichten anschauen…“ Ob er sich Rat beim anderen Geschlecht geholt habe? „Nein, ich musste ins Dunkle schießen und gewillt sein, es auch falsch zu machen. Wenn du als Mann diese Fragen stellst, stehen die Chancen einfach 80 zu 20, dass du daneben zielst.“

Einen Treffer landete Crowell mit dem Cover von „Sex v5* Gasoiine“, das schon vorab in Fan-Foren tendenziell „frauenfeindlich“ gesehen wird. Der kaum verhüllte Hintern, der da hinter ihm auf der Hülle aus den Laken blitzt, gehört übrigens seiner Frau Claudia, die „bei der Fotosession rumhing und das dann einfach mal ausprobieren wollte“. Crowell, mitnichten misogyn, findet den Sturm im (Internet-)Wasserglas „total lustig. Kontroverse ist immer gut. Und hey, der Titel ist ,Sex & Gasoline‘, was erwartest du da? (Licht)“

Im „Texas Troubadour“-Exil um Guy Clark und in Emmylou Harris‚ Hot Band als Songschreiber und Performer erstklassig ausgebildet, startete Rodney Crowell seine Solo-Karriere vor exakt 30 Jahren mit „Ain’t Living Long Like This“; der Titelsong wurde von Waylon Jennings bis Steve Wynn reichlich gecovert. 1988 war Crowell noch mit Rosanne Cash verheiratet. Und mit „Diamonds & Dirt“. das fünf Nummer-eins-Singles abwarf, eine Saison lang der Country-Star, der er dann doch nicht sein wollte. Es folgten die Midlife-Larmoyanz von „Life Is Messy“ und Nashville-Kompromisse in den Neunzigern. Erst als „The Houston Kid“ sah Crowell 2001 wieder auf eine künstlerische Existenz, die ihm gefiel – und auf „Fate’s Right Hand“ und „TJie Outsider“ risikofreudig genährt wurde.

So hätte es weitergehen können, doch Crowell war „meine eigenen Tricks ein bisschen leid“ und trat ein fertiges Album in die Tonne. „Die Songs waren okay, aber es klang zu sehr wie ,The Outsider‘. Ich hielt nach mehr Ausschau.“ Vor allem — erstmals in seiner Karriere – nach einem Produzenten, den er in Joe Henry bald gefunden hatte. Auch zuvor schon hatte er sich Memphis-Botschafter Booker T.Jones („Street LangLiage“, 1986) oder Nashville-Mogul Tony Brown („Jewel Of The South“, 1995) als Co-Produzenten an die Seite geholt, blieb dabei aber „in alles involviert. Bei Joe gab ich die Kontrolle ab und konzentrierte mich aufs Schreiben und Spielen. Was für eine Erleichterung! Ich dachte nur, mein Gott, warum hab ich das nicht schon eher gemacht. Ich suchte auch nach einem neuen Sound, anderen Arrangements. Und seine Musiker brachten noch mal eine ganz andere Sensibilität rein.“ So flog Crowell nach Los Angeles, war ganze fünf Tage im Studio — und „das war schon mein Album. Keine Overdubs, nicht mal beim Gesang. Es ist wirklich ein Luxus und viel einfacher, wenn da noch jemand ist“.

Allein in Nashville schreibt Rodney Crowell derweil an seinen Memoiren. Wer sich saftige Anekdoten aus den Nashville-Kulissen erhofft, muss die Veröffentlichung (wohl 2009) aber nicht herbeisehnen. „Ich schreibe eigentlich nur über die Musik meines Vater und seine Liebe dazu“, erklärt Crowell, der sich schon mit elf mit den Rhythmaires, der Band von Dad James Walter, durch die Honky-Tonks getrommelt hatte. „Vor allem geht es darum, wie ich aufgewachsen bin. wo ich aufgewachsen bin. Um die Kultur dahinter. Es ist wie eine Skulptur aus Erinnerungen zu formen, und ich genieße diesen Prozess sehr.“ Das „Houston Kid“lässt Rodney Crowell nicht los.

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