Die fröhliche Odyssee

Glück gehabt. Walter Becker geht ans Telefon. Die Strategie, die er auf seiner Website zur Vermarktung seines zweiten Soloalbums, „Circus Money“, ersonnen hat, hätte ihm das eigentlich nicht erlaubt. Danach hätte er nämlich sein Verschwinden durch gefakte Entführung oder vermeintliches Ableben vortäuschen müssen. Was damit gewonnen wäre? „Eine solche Aktion wurde ausgeheckt, um thematische und stilistische Affinitäten zur Homerschen ,Odyssee‘, Joyces Sandwich mampfendem, Seife kaufendem Flaneur im ureigenen Dublin, Samuel Becketts unvergesslichem ,Murphy‘, dem Titelhelden aus ,Bunny My Honey‘ von Anita Jeram und zu den Angelegenheiten von Amelia Earhart, Judge Crater und Billy Eckstine zu evozieren.“

Nicht auszuschließen, dass in dieser launigen Beschreibung ein Funken Wahrheit steckt. Denn Walter Becker, bei Steely Dan der stoische Gegenpart zum neurotischen Donald Fagen, hat sich mit den Irrfahrten des Lebens arrangiert, ja, feiert in seinen neuen Songs geradezu das Sich-Verlieren. Sein erstes Soloalbum, „11 Tracks Of Whack’von 1994, klang da noch weniger freundlich, „Mojo“ nannte dieses dunkle Werk kürzlich gar „an adultoriented Grunge-masterpiece“.

„Eine gewagte These“, lacht Becker. „Das Album reflektierte sicherlich meine damalige Situation — und auch den Ort, an dem ich lebte: Hawaii.“

Orte spielen ja im Steely Dan-Kosmos immer eine große Rolle. Vor allem zwei Städte sind es, die die Songdialektik des Duos repräsentieren. Ihre Heimatstadt New York als Ort des Jazz, der Literatur, des Intellekts – und der dekadente, dionysische Gegenpart Los Angeles, Wahlheimat in den Siebzigern, Pfuhl der Lüste. Drogenräusche und psychischen Abgründe. „L.A stellt für mich immer noch das Versuchsfeld für die Zukunft der amerikanischen Gesellschaft dar“, meint Becker und fährt nach einer Kunstpause fort: „oder ihre reductio ad obsurdum.“

Auch „Circus Money“ scheint zu großen Teilen wieder an der lasterhaften Westküste zu spielen, doch das wohl komplexeste Stück des Albums, „Downtown Canon“, beleuchtet das Leben der New Yorker Boheme in den Sechzigern. „Ich hatte zwar niemals das Loft in der Greene Street, von dem der Song handelt“, so Becker, „aber in meiner Jugend habe ich die Sommer über für das Büro meines Vaters in der Canal Street gearbeitet und jede Menge Botengänge in Soho gemacht, wo viele Künstler in solchen Lofts wohnten. Ich konnte mir sowas später nicht mehr leisten, weil die Mieten in die Höhe schössen, sonst hätte ich auch gern in so einem künstlerischen Kontext gewohnt. Und darum geht es in dem Song, um ein Investment in eine kulturelle Identität und wie diese dann dein persönliches Leben bestimmt.“

Das autobiografische Moment spiele in seinen Solosongs eine weitaus größere Rolle als in seinen Band-Arbeiten, erklärt Becker. Das unterscheide ihn auch von seinem Partner Fagen. „Wir organisieren unsere Songs nach unterschiedlichen Gesichtspunkten. Nimm Donalds letztes Soloalbum („Morph The C-it“wn 2006) – oder all seine Soloalben, wenn man glauben kann, was er uns darüber erzählt: Es gibt dort immer ein ordnendes Prinzip, eine Art Konzept, das ihm mehr oder weniger explizit vorschwebte, während er daran arbeitete. Bei mir nimmt eine Songsammlung dagegen dadurch Gestalt an, dass ich einfach und wahrhaftig meine Gedanken, meine mentalen Disposition und die Ideen, die ich zu dieser Zeit habe, ausdrücke.“ Wie zuletzt Fagen greift auch Becker für seine Soloaufnahmen auf die Musiker der aktuellen Steely Dan-Tourband zurück. „Ich wollte eine Band, die gut eingespielt ist“, erklärt Becker, „denn die Musiker sollten sich den musikalischen Kontext der Songs selbst erspielen.“ „Circus Money“ ist daher tat‘ sächlich weitaus eher ein Bandalbum als die Werke von Steely Dan, bei denen Becker und Fagen die Ausarbeitung jedes Parts von Grund auf beaufsichtigen. „Ich fürchte, Donald zielt immer noch auf eine Perfektion, für die ich in meinem Alter einfach nicht mehr die Geduld habe“, lacht Becker.

„11 Tracks Of Whack“ hatte der perfektionistische Fagen noch produziert, dieses Mal suchte Becker sich mit Larry Klein einen Produzenten, der eher einen entspannten Laissez-faire-Stil pflegt. „Er greift nur dann ein, wenn wirklich eine Anregung benötigt wird, sonst lässt er die Leute machen“, erklärt Becker, der Klein bei elf der zwölf neuen Songs auch als Co-Autor anführt. „Wir sind seit den frühen Neunzigern befreundet“, so Becker, „das Album ist voll von kleinen Insidern und Anspielungen. Wir mussten einander immer wieder bremsen, wenn es zu abwegig wurde.“

Weitere wichtige Kollaborateure waren Gitarrist Jon Herington, der viele der Arrangements ausarbeitete, und Schlagzeuger Keith Carlock, mit dem Becker die rhythmische Matrix von „Circus Mone/’ausarbeitete. Dafür wechselte er von der Gitarrre. die er bei Stcely Dan zurzeit spielt, wieder zum Bass. „Ich bin im Herzen Bassist, weil mir das Instrument erlaubt, die Band zu formen und zu dirigieren. Larry Klein fühlt sich auch vor allem am Bass zu Hause.

Der Kern dieses Albums ist also – wie so oft – die Rhythmusgruppe. Es mag nicht bei jedem Stück offensichtlich sein, aber das allem zugrunde liegende Element dieser Songs ist die jamaikanische Musik“

Schon auf „11 Tracks Of Whack.“ pflegte Becker seine Reggae-Leidenschaft, doch auf „Circus Money“ sind die Arrangements nun ausformuliert, der Gesang ist souverän, teilweise gar beseelt, die Rhythmen sind variabler. Ja, man hat sogar das Gefühl, der volle organische Sound, den Steely Dan auf ihrem letzten Album „Everything Must Go“ anstrebten, kommt erst hier voll zur Geltung.

Ein neues Bandalbum sei erstmal nicht geplant, erklärt Becker zum Abschluss. Im Moment hätten sie vor allem Spaß daran, die alten Songs vor Publikum zu spielen. Steely Dan befinden sich nämlich auf großer US-Tour. Das dritte Jahr in Folge. Wenn’s nach V/alter Becker geht, kann die fröhliche Irrfahrt ewig weitergehen.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates