Die kleinen Dinge mit Megaphon anpreisen: Here We Go Magic im Interview

Am 16. Oktober erscheint "Be Small", das neue Album von Here We Go Magic. In unserem Interview sprachen Luke Temple und Mike Bloch über Globalisierung, Progressive Rock, die Schönheit im Detail - und über New York.

Mit welchem Instrument komponiert ihr eure Songs?

TEMPLE: Gitarre, vor allem.

Dabei klingen die neuen Stücke gar nicht danach. In „Stella“ scheint es überhaupt keine Gitarre zu geben…

TEMPLE: Oh, der Track ist in der Tat voller Gitarren. Das sind alles kleine, sich durchkreuzende Gitarrenlinien, aber sie alle haben unterschiedliche verrückte Effekte, die sie halt so klingen lassen, als stammten sie von einem anderen Instrument. Es gibt nur einen kleinen rhythmischen Synth, der im Hintergrund mitläuft.
Dieser Song ist eigentlich ein perfektes Beispiel für diese Arbeitsweise, denn ich habe ihn um ein kleines Gitarrenfragment herum komponiert, welches ich so ein bisschen von Gilberto Gil, dem brasilianischen Tropicali-Typen, geklaut habe. Aus einer seiner Melodien nahm ich nur einen kleinen Triller und baute meine Ideen darum herum auf und so entstand dann eben dieser Song.
Wenn man sich die Spuren getrennt anhören würde, stößt man recht schnell auf diese eine Linie, die unter all den anderen Dingen vergraben ist. Wir machen so etwas relativ häufig, musikalische Themen und Fragmente zu verschleiern, indem wir all diese gegenläufigen Sachen mit hinzu packen. Dadurch entsteht dann dieser große, verwirrende, sich konstant entwickelnde Polyrhythmus. Aber eigentlich laufen da nur einzelne Melodien nebeneinander her, die sich stets wiederholen, und zusammen die Illusion der musikalischen Bewegung erzeugen.

„Ein Ambient-Album? Warum eigentlich nicht“

So wie du es beschreibst, klingt es fast wie etwas, was Robert Fripp mit King Crimson gemacht hat.

Irgendwo zwischen Robert Wyatt und King-Crimson-Gitarrist Robert Fripp: Mike Bloch
Irgendwo zwischen Robert Wyatt und King-Crimson-Gitarrist Robert Fripp: Mike Bloch

BLOCH: Auf jeden Fall, absolut!

TEMPLE: …vor allem „Discipline“. Auch der Sound dieser Platte – die Gitarren klingen alle so direkt und daran orientierten wir uns auch auf „Be Small“. Und ich habe in der Tat lange nicht mehr an diese Platte gedacht, aber vor einigen Jahren habe ich sie sehr intensiv gehört und ich bin mir sehr sicher, dass sie irgendwie das neue Material beeinflusst hat, wo ich darüber nachdenke.

Was mir an den neuen Songs auffiel, sind die abrupten Enden von einigen Songs, die dann in einer Art musikalischem Nirwana münden. Kommt denn als nächstes eine Ambient-Platte?

TEMPLE: Ja, vielleicht, warum eigentlich nicht? (lacht)
Wir haben ja bereits „Wishing Well“ auf dem Album, diese kurze, sehr Ambient-hafte Klangskizze.

Woher stammt denn eigentlich der Sprachsample auf dem Track?

TEMPLE: Oh, das war einfach ein Typ, der in einem buddhistischen Zen-Kloster gesprochen hat und ich habe das einfach mit meinem Handy aufgenommen.

Viele der neuen Texte scheinen vermehrt universelle Themen anzusprechen. War das eigentlich eine bewusste Entscheidung?

TEMPLE: Ja, durchaus. „Dancing World“ handelt von globaler Erwärmung, schätze ich. Und wirkliche Liebeslieder gibt es auch nicht auf dem Album. Auch der Titelsong, „Be Small“, spielt damit, dass alles in unserer Kultur uns ständig einredet, groß sein zu müssen. Größer, besser, schneller, geldgieriger … Aber gleichsam wird das unser aller Untergang sein. Also wäre es vielleicht einfach besser, mal in Betracht zu ziehen, kleiner zu werden. Obwohl das wahrscheinlich nie passieren wird. Aber mir lag einfach sehr am Herzen, darauf hinzuweisen.
Das ist auch etwas, was auf dem Album in unterschiedlichen Formen immer wieder thematisiert und in unterschiedlichen Metaphern ausgedrückt wird.

„Gegensätze haben in unserer Musik immer eine große Rolle gespielt“

Deswegen habt ihr die Platte dann auch so genannt?

TEMPLE: Anfangs war „Be Small“ einfach nur ein Songtitel und Mike sah den roten Faden, die Geschichte zuerst. Also schlug er es als Titel vor.

BLOCH: Der Moment, in dem sich dieser gemeinsame thematische Nenner für mich herauskristallisierte, war ironischerweise, als ich Gitarren-Overdubs für einen Song aufnahm, der es nicht aufs Album geschafft hat. Und dort passierte so viel, wir wollten es immer noch größer und größer klingen lassen, ich begann allerdings, kleine rhythmische Phrasen zu spielen, die in dem Soundgewitter fast untergingen. So kam ich auf den Gedanken, auch die kleinen Dinge zu schätzen.
Wenn Luke Texte schreibt, dann behandelt er immer eine Reihe von Themen, die zusammenhängen, ob er es realisiert oder nicht. Und das verbindet die Songs, obwohl sie zuerst komplett verschieden wirken.
Also schlug ich einfach „Be Small“ vor und von da an ergab alles einen Sinn. (lacht)

Was für einen musikalischen Ausdruck habt ihr denn dafür gefunden?

TEMPLE: Die Ironie hinter alldem ist, dass sich die Platte für mich so anfühlt, als sei sie sehr laut und platze aus sämtlichen Nähten, als wären fast zu viele Informationen enthalten. Sie ist also in der Tat ganz und gar nicht klein. Das steht so ein bisschen im Widerspruch zueinander. Aber Gegensätze haben in unserer Musik immer eine große Rolle gespielt. Ich glaube, das liegt an meiner fixen Idee, den Leuten so etwas um die Ohren hauen zu müssen, dass sie sich beruhigen oder kleiner werden sollten. Vielleicht ist das sogar der einzige Weg. Ein wenig, als würde man all das durch ein Megaphon auf dem Dach eines Autos anpreisen.

BLOCH: Die abrupten Enden hattest du ja bereits erwähnt, da gibt es einige Momente auf dem Album, wo es musikalisch total verrückt wird, nur um am Schluss zu zerplatzen und in einen fast Cartoon-artigen Refrain überzugehen. So wie ein … keine Ahnung, ein kleiner Frosch, der in einer Ecke saß und die ganze Zeit über schon gequakt und kommentiert hat, was man aber vorher einfach nicht hören konnte.

Auf „Falling“ kommt ja noch nicht mal ein Refrain, der Song endet nach einem riesigen Aufbau ja fast in kompletter Dunkelheit.

Sasquatch! Music Festival 2012 - Day 3
Fasziniert von musikalischen Gegensätzen: Luke Temple

TEMPLE: Wir machen uns immer viele Gedanken darum, wie man eine Komposition am besten beendet. Gerade, wenn man seine eigenen Songs aufnimmt, hat man meistens einen zehn Minuten langen Loop, der immer so weiter geht. Ein Fade-Out ist meistens natürlich der einfachste Weg, aber bei „Falling“ hatten wir eine Art Ambient-Stück, das unter den ganzen anderen Instrumenten zu hören war. Und die Idee dahinter war, dass auf dem Höhepunkt alles endet und man plötzlich etwas wahrnimmt, was man vorher überhaupt nicht gehört hat, aber schon die ganze Zeit vorhanden war.

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Frazer Harrison Getty Images
Tim Mosenfelder Getty Images
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