Die Knollennase

Auf DVD: Karl Maiden und Michael Douglas fahren noch einmal mit sittlicher Erdung durch „"Die Straßen von San Francisco"

Für uns Kinder der 70er Jahre war „Die Straßen von San Francisco“ so etwas wie ein langweiliger Freund, der zwar ganz in der Nähe wohnte, aber auch ein bisschen peinlich war in seiner betulichen Art, in seinen unmodischen Cordhosen und mit dem alten Damenfahrrad. Wir wussten, dass er fast immer zu Hause war, klingelten aber selten bei ihm – wenn die anderen, die richtigen Freunde nicht daheim waren.

„Die Straßen von San Francisco“ war eben wie Karl Maiden: grundsolide, sittlich fundiert, im Ausdruck schlicht, aber nachdrücklich. In den USA begann die Serie 1972, aber die Siebziger dauerten im deutschen Vorabendprogramm viel länger (manche sagen: bis heute). Einerseits verstanden wir die Handlung nicht immer vollkommen.

andererseits hatten wir uns an die penisartige Knollennase Karl Maidens und das Marzipanjüngelchengesicht von Michael Douglas und den kackbraunen Ford Galaxie 500 gewöhnt. Aber wir liebten „San Francisco“ nicht wie „Western von gestern“ und später „Ein Colt für alle Fälle“. Was wir nicht wissen konnten: Die Serie war natürlich auch ein Gegenangriff auf die Bastionen der Rebellion, der Libertinage, der Gegenkultur. Noch fünf Jahre vorher feierte man in der Stadt den Sommer der Liebe, das Beispiel der Hippies und Blumenkinder machte Schule. Lieutenant Mike Stone und Inspector Steve Keller sind Verantwortungsethiker und Pragmatiker, denen Hedonismus und Gammelei fremd sind. Keller, kaum 30, erklärt einer bedrohten Prostituierten, er sei Polizist geworden, „weil es Menschen gibt, die unsere Gesetze nicht beachten“ – und einer es ja machen muss. Die Dirne erkennt da Parallelen zu ihrem Gewerbe.

Dass der stets wie aus dem Ei gepellte Douglas von Idealismus getrieben sein könnte, glaubt man keine Sekunde. In manchen Verschnaufpausen sieht man ihn mit asiatischen Verkäuferinnen flirten oder Schutzbefohlenen lange Blicke zuwerfen. Andererseits bleibt es auch bei der Hure, die er schließlich rettet, streng platonisch. Am Ende sieht er sie in einem Restaurant; sie hat seine Mahnungen befolgt und auf Kellnerin umgesattelt.

Es gibt Drogensüchtige, es gibt Kleinkriminelle und Psychopathen in der Serie, doch ihnen gilt kein Mitleid. Und einmal gibt es auch ein böses Blumenkind, das vor der Golden-Gate-Brücke in das Cabrio eines biederen Vertreters einsteigt, ihn zu einem Hausboot lenkt, dort einen Joint anzündet, den schlotternden Mann verrührt und dann verhöhnt, woraufhin es ein Handgemenge gibt und sie mit dem Kopf auf Getöpfertes stürzt. Es wird dann noch ein wenig komplizierter, doch die Empathie wird dem schwitzigen Handlungsreisenden geschenkt, dessen anständige Frau nach San Francisco kommt und Schlimmeres verhütet, indem sie Stone die Wahrheit verrät. Die Moral der Geschieht‘:

Die Reparatur der Waschmaschine mag nicht aufregend sein, aber kein Luder ist es wert, 20 Jahre Ehe wegzuwerfen.

Stone und Keller sind nicht verheiratet, vielmehr: Stone ist mit seinem Beruf verheiratet, und Keller liebt am meisten seine makellosen Anzüge und Hemden. Noch mit dem Fuß im Gips erkundigt sich Stone im Präsidium nach den Untersuchungen Kellers, bis der mit einem Stock vor der Haustür steht. Der Fernseher in Stones Apartment flimmert seit Stunden ohne Bild. Der Polizist hat kein Leben, denn er blickt immerzu in die Leben der anderen. Eine tiefe Traurigkeit umgibt ihn. Als er von einem Haus hört, das ein Architekt als Ort des ewigen Glücks gebaut hatte, entgegnet er: „Er war ein Träumer. So etwas gibt es nicht.“

Der große Karl Maiden, der 1951 den Oscar für seine Nebenrolle in „Endstation Sehnsucht“ gewann, fasst hier all seine pflichtschuldigen Normalbürger zusammen. Man denkt an den Pfarrer in „Die Faust im Nacken“, der Marion Brando zur Aussage bewegen will, obwohl er weiß, dass darauf der Tod steht. Im Frachtraum eines Schiffes beschwört er die Arbeiter, die Mörder nicht davonkommen zu lassen. Die Kamera beobachtet seine flammende Rede durch ein Viereck vom Deck aus. Man denkt aber auch an Shooter, den schwächlichen Hahnrei in „Cincinatti Kid“, der beim Poker-Duell zwischen Steve McQueen und Edward G. Robinson die Karten gibt. Sein liederliche Frau hat er längst verloren, doch schließlich erträgt er die öffentliche Demütigung nicht mehr. Maiden ist die Knollennase der Vernunft; aber so sehr man seine Verlässlichkeit, seine Moralität, seine Untadeligkeit achtet — man liebt ihn nicht so, wie man Brando und McQucen geliebt hat.

Für Douglas‘ Steve Keller (in deutscher Synchronisation heißt er Heller, weil Erik Ode in „Der Kommissar“ auch Keller hieß) ist er der Lehrmeister und der väterliche Beschützer. Im sogenannten Epilog jeder Folge (es sind jeweils fünf Akte) sitzen sie fast immer in dem raumgreifenden Auto, erinnern sich an einen Moment, resümieren das Geschehen oder destillieren eine kleine Lebensweisheit – und dann lachen sie gemeinsam, als wäre es das Witzigste auf der ganzen Welt.

Dieses San Francisco ist nicht das der Postkarten, aber schönes Wetter ist doch stets. Es ist nicht das düstere, tödliche San Francisco aus „Dirty Harry“ (oder gar das infernalische aus David Finchers „Zodiac“). Die Welt ist noch in Ordnung, bloß in Chinatown oder am Hafen ist mal was los, und es gibt keine Erdbeben und kein Aids. Sogar Prostitution ist, siehe oben, heilbar.

Die Knollennase hielt in den USA 120 Folgen durch und verschwand 1977 von den Bildschirmen. Maiden kam 1992 in einem Fernseh-Special noch einmal zurück. Der kleine Douglas machte nicht mehr mit – er hatte mittlerweile selbst einen Oscar und drehte einen Film, der auch in San Francisco spielte und Schwule und Lesben auf die Straßen trieb. Er hieß „Basic Instinct“.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates