Die nächste Tragödie

Der einzigartige Ruf des schottischen Labels „Postcard“ gründet auf einer einfachen Idee: Musizieren und Singen bedeutet den Beteiligten, ihr Herz zu waschen. Roddy Frame hat das begriffen, Edwyn Collins und der Betreiber Alan Hörne. Makellose Meisterwerke wie „You Can’t Hide Yowr Lore Forerer“ von Orange Juice markierten Anfang der 80er Jahre zum letztenmal den Glamour und die Grandezza britischer Popmusik. Deshalb müssen manche Menschen weinen, wenn sie heute Suede, Senser und die Manie Street Preachers hören.

Auch Paul Quinn trauert. Der Sänger und Songschreiber, zur Hochzeit von „Postcard“ eher unauffällig, hat der herrschenden Trostlosigkeit nach Jahren der Querelen mit Plattenfirmen und privaten Katastrophen ein Monument entgegengesetzt: „Will I Ever Be Inside Of You“, die Hohe Schule des Gefühls, des Begehrens, der Hingabe und Verzweiflungslust. Mit dunkel strahlender, aus unmittelbarer Gefühligkeit sich überschlagender Stimme schwelgt Quinn in Schwermut und Selbstzerfleischung. „bu haven’t changed, still much the same/ There’s no new light to shine on you/Just a waste of time and money, too/ Fm better off left alone.“

Bei den nahezu symphonischen Arrangements der Schmerzenspoesie wurde Quinn von der Independent Group unterstützt -Freunden aus dem „Postcard“-Zirkel wie Blaire Cowan, Campbell Owens und Alan Hörne selbst. Auf dieses Album mußten sie lange warten: Nur eine einzige Platte gelang Quinn während der letzten Jahre, „The Phantoms & The Archetypes“. Dennoch gab er nicht nach. „Man muß sich entscheiden. Wenn man sich als Künstler ernst nimmt, dann gibt man nicht auf. Ich wollte keine Kompromisse schließen. Lieber wollte ich gar nicht arbeiten, als nur die Hälfte meiner Ideen auf ein Album zu bringen.“

Schließlich, im Herbst letzten Jahres, formulierte er mit Hörne das Konzept ein Manifest, das die Entbehrlichkeit der meisten gegenwärtigen Pop-Versuche offenlegt: „Songs, die mehr evozieren als eine einfache Emotion. Viele Platten sind keine Platten, sondern Songs, die aufgenommen wurden. Statt dessen sollte man an all die Gefühle denken, die man aufrufen kann: die gesamte Palette. Der Ansatz des Malers. Zusammenhänge schaffen. Dinge vager und mysteriöser erscheinen lassen. Auf Unfälle warten.“ Die Versuchsanordnung: „One man in a wilderness of sound“. Und so geschah es.

Wenn Paul Quinn spricht, fallen neben der tiefen und brüchigen Stimme seine Unsicherheit und Bescheidenheit auf. Wie Stuart Staples von den Tindersticks, ein anderer Großkünstler der Gefuhlshölle, ist er höflich und dankbar bis zur Selbstaufgabe. Daß er die musikalische wie sprachliche Formulierung über das Melodrama hinaus bis an den Rand der Oper übertreibt – das weiß er selbst am besten: „Kennst du nicht dieses Gefühl, daß man etwas absolut und unteilbar sagen möchte? Daß man den Schmerz über etwas, das schon zurückliegt, noch einmal hervorruft, um die absolute Klarheit zu erreichen. Daß man sich der eigenen Empfindungen immer wieder versichert und sie zu etwas Allgemeinem, Menschlichem und Großem macht.“

Deshalb singt Quinn in „Stupid Thing“: „This is the saddest thing I have ever heard.“ Obwohl es immer das noch Traurigere gibt, obwohl Emotionsmenschen wie er stets von einer Katastrophe in die nächste geraten: „Enter another tragedy.“ Fatalistisch suhlt sich Quinn im Trotz: „One more tear won’t make no difference to the rain.“ Romantischer Dandyismus dieser Provenienz gleitet nur dann nicht ins Peinliche ab, wenn die Ironie immer mitgedacht wird. Wer Paul Quinn kritisiert, der ignoriert den Humor. Wie alle wahren Melancholiker ist er über die eigene Schauspielerei und Inszenierung unterrichtet. Unmutig verweigert Quinn sich dem Zirkus: „Es macht mir nichts aus, mit Menschen zu sprechen. Aber ich finde es sehr seltsam, sich selbst zu verkaufen. Ich denke, es ist sehr, sehr vulgär.“

Alan Hörne kündigt mindestens drei weitere Alben auf dem Weg zum vollendeten Pop-Kunstwerk an. „Ich lächle unter Tränen“, sagt Paul Quinn.

Arne willander

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