Die unverwüstliche Katy Perry

Scheidung, Tränen, wunde Knie und der Traum vom akustischen Album: Aus dem Leben der eifrigsten Hit-Lieferantin der Popwelt

Katy Perry weiß nicht genau, warum sie weint. Eben noch war sie auf dem Laufband in ihrer luftbefeuchteten, blumengeschmückten und mit einem Chanel-Teppich ausgelegten Garderobe in der Arena von Newark. Sie lief gegen die Schmerzen in den geschundenen Knien an und dachte eigentlich an gar nichts, als ihr die Tränen kamen. Ganze Ströme. Sie weint sich aus, wischt sich die letzten Tropfen ab und fühlt sich viel besser. Der Auslöser bleibt unklar. „Meine Tage hatte ich schon“, wird sie später sagen. Während die Show näher rückt, kauert sie in einem pinken Regiesessel, auf dessen Rückenlehne die Worte „Your name here“ stehen. „Manchmal ist ein Heulkrampf, der einzige Weg, alles rauszulassen“, sagt Perry. „Dabei dachte ich, ich hätte meine Tränendrüsen vor langer Zeit entfernen lassen.“ Frisch geduscht, trägt sie einen gepunkteten Bademantel in Pink und blickt auf einen von Glühbirnen umrahmten Garderobenspiegel. Ihr Make-up-Artist, ein schlanker Mann namens Todd Delano, bemalt ihre Lippen Schicht für Schicht mit leuchtendem Rot. Unter jedem ihrer riesigen, himmelblauen Augen schimmert weißer Puder. Die Grundierung für den Glitter, den er als Nächstes auftragen wird.

Termin Nummer elf ihrer Nordamerika-Tour. Rund 90 Shows hat sie noch vor sich, eine Zahl, die sie gar nicht gerne hört. Sie ist der Star und die Verantwortliche für so gut wie alles, von den Kostümen bis zur winzigsten Änderung der Background-Harmonien. Wie sich herausstellt, ist es nicht gerade leicht, der Boss zu sein. „Ich habe eine Menge am Hals“, sagt sie, während sie ihr Make-up mit einem Hello-Kitty-Handspiegel überprüft. „Das kann ziemlich eintönig werden. Ständig will jemand was von dir. Meistens ist es aber okay. Ein Geben und Nehmen. Dein Traum, wird wahr, und plötzlich ist da eine Firma, die du leiten musst. Von dem Kleingedruckten wusste ich vorher nichts.“

Vorm Training lag sie mit Akupunkturnadeln in den Knien auf dem Garderoben-Tisch. „Auf Tour beginnt das Training für den Abend bereits mit dem Aufwachen“, sagt Perry. „Ich fühle mich wie ein Kobe-Rind, immer in Aktion. Ich bekomme Akupunktur, Massagen, Schröpfkopfbehandlungen und Cranio-Sacral-Therapie, die dich durchs Rückgrat mit Energie auflädt. Ich treibe Sport, ich dehne mich. Jeden Tag, ohne Ausnahme. Vor einer Show gehe ich nie bei Barneys shoppen.“

Perry ist sich ziemlich sicher, dass heute Abend auch höhere Mächte eine Rolle spielen. „Ich habe im Netz gelesen, dass Vollmond ist“, sinniert sie, mit vom Lipgloss-Pinsel gedämpfter Stimme. „Bei Vollmond kommt es zu Stimmungsschwankungen, was natürlich nicht hundertprozentig erwiesen ist, aber es gibt eine Menge Studien, die den Vollmond mit höheren Kriminalitätsraten und steigendem Chaos in Verbindung bringen.“ Vielleicht ist sie ja ein Werwolf? „Nein. Der Körper besteht zu 80 Prozent aus Wasser – er reagiert auf so etwas. Sonst heule ich nie auf dem Laufband!“ Jemand klopft an die Tür. Es ist ihr langjähriger Bassist Josh Moreau, ein ostentativ entspannter Kalifornier, mit langem, dunklem Haar, das er sich ständig hinter die Ohren streicht. „Was geht, bro?“, fragt Perry, deren eigene Mähne gerade zu einem peinigend straffen Pferdeschwanz gezogen wird, den ihr Haarstylist mit Extensions versehen wird. „Wollte dich was fragen“, nuschelt Moreau. „Kann ich am Anfang der Show mein Haar zurückbinden? Es fällt immer ins Gesicht.“ Perry wägt ab: „Offene Haare sind mehr Rock’n’Roll.“ – „Aber mich sieht doch keiner!“ – „Hör mal, Samson“, antwortet sie. „Du bist der schräge Typ, der sich für die langen Haare entschieden hat. Es ist sexier, wenn sie runterhängen. Ich habe jedes bisschen Rock’n’Roll bitter nötig.“ Etwas weniger überzeugend fügt sie hinzu: „Ich möchte nicht Chef über dein Haar sein.“

„Ich find’s toll, dass er überhaupt gefragt hat“, bemerkt Delano, während er mit Perrys Augenlidern beschäftigt ist. „Ich wollte nur vermeiden, dass sie mich hinterher anbrüllt!“, erklärt Moreau. Nächstes Thema: Aufmerksam betrachtet Perry Bilder von Frauen, die Moreau online kennengelernt hat. Sie hat zugesagt, ihm Freikarten zu verschaffen, damit er eine von ihnen auf eine der kommenden Shows einladen kann und bietet sogar ein „Meet-and-Greet“ an, um „die Sache perfekt zu machen“, wie es Delano ausdrückt. „Die hier ist süß“, sagt sie über eine mögliche Kandidatin und wischt mit ihren glitzernagellackverzierten Fingern über das Display seines Smartphones. „Sie wirkt halt etwas einfach.“

Das wird auch Katy Perry mitunter vorgeworfen. Sie ist eine hübsche, hellhäutige Frau, eine kurvig-schlanke Sexbombe mit kräftiger, wandlungsfähiger Stimme. Sie ist weder so künstlich kaputt wie Lady Gaga, so postmodern abgedreht wie Miley, noch so verstörend unschuldig wie Ariana Grande. Aber sie ist die beständigste Hitlieferantin der letzten fünf Jahre. Ihr Album, „Teenage Dream“, bescherte ihr rekordverdächtige fünf Hit-Singles, „Prism“, brachte ihr bis dato zwei weitere ein. Ihr aktueller US-Top-40-Song, das leichtfüßige, discoeske „Birthday“, ist eine unverhohlene Ode ans Vögeln. („Let me get you in your birthday suit/It’s time to bring out the big balloons“), die zum Schluss irgendwie die Kurve Richtung „Kinderlied“ kriegt – ein skurriler, aber essenzieller Aspekt ihrer Ästhetik.

„Bei mir finden sich überall zweideutige Anspielungen“, erklärt sie. „Ich liebe Wortspiele. Ich liebe Doppeldeutigkeit. Ich bin Sprachfreak und irgendwie pixarmäßig.“ Tatsächlich? „Na gut, Pixar ist nicht so anzüglich wie ich und eigentlich will ich mich auch nicht mit ihnen vergleichen – aber sie wissen, wie man Erwachsene und Kinder gleichzeitig unterhält. Genau wie ich.“ Ihre höchst unterhaltsamen Shows haben dasselbe Prinzip: Manchmal erinnern sie an eine lebendig gewordene BuzzFeed-Liste, inklusive Katzen oder 90er-Popnostalgie. Perry wird diesen Herbst 30, seit sechs Jahren ist sie nun Popstar. „Die Geier kreisen schon“, sagt sie lachend, obwohl sie eigentlich gar nicht scherzt. „Aber sie können so lange kreisen, wie sie wollen“, sagt sie. „Ich tue nichts Falsches und führe ein geerdetes und halbwegs integres Leben.“

Doch der andauernde Erfolg könnte sich auch gegen sie wenden. „Ich bin eine Singer/Songwriterin, die sich als Popstar ausgibt“, erklärt sie, aber ihre Chartsdominanz lässt sie eher als menschliche Hitfabrik erscheinen. „In meinen Augen bekommt sie nicht genug Anerkennung dafür, dass ihre Karriere auf eigenen Ideen fußt“, findet Bradford Cobb, einer ihrer Manager. „Katy ist tatsächlich der A&R ihrer Alben.“ Kulturkritikerin Camille Paglia hat sie einst als einen „manischen Cheerleader-Cyborg“ bezeichnet, und ja, auf den ersten Blick, kann Perry wie eine Bienenkönigin oder ein Alphaweibchen rüberkommen.

Nach ein paar Tagen in ihrer Gesellschaft erscheint das alles jedoch ein wenig zu simpel. Zum einen ist sie irre vernünftig. In ihrer Zukunft gibt es kein Neverland. „Ich bin nicht dieser verrückte Ich-tue-alles-für-die Fans-Typ“, sagt sie. „Manche Leute machen so viel Aufhebens darum. Dabei denkt man selbst: ,Ganz ehrlich, du bist nicht die Wiederkunft Christi. Du bist eine Entertainerin.‘ Ich lebe von der Energie der Fans. Wenn das Publikum gut ist, ist mein Auftritt wahrscheinlich besser. Aber es ist die Liebe meiner Familie und Freunde, die wirklich wichtig ist. Ich bin dankbar für die Unterstützung der Fans, aber ich bin nicht gierig danach. Oder verzweifelt darauf angewiesen.“

Sie geht regelmäßig zum Therapeuten – und das nicht nur, um mit der Scheidung von Russell Brand vor zwei Jahren zurechtzukommen. „Für mich ist das ein sicherer Ort, an dem ich alles besprechen kann. Und zwar mit einer Person, die mich als Katheryn Hudson und nicht als Katy Perry kennt“, sagt sie. „Ich würde jedem im Business empfehlen, das regelmäßig zu tun – Verantwortung zu übernehmen. Denn man kommt an einen Punkt, wo man niemandem mehr Rechenschaft ablegen muss. Man kann tun und lassen, was man will, und das kann so destruktiv sein.“

Bald ist Delano fertig mit dem Make-up. Sie sieht jetzt aus wie Katy Perry, inklusive der voluminösen falschen Wimpern und dem, was sie als „Statement-Lippen“ bezeichnet. Zwischen ihrer Haut und der Welt liegen jetzt mehrere Schichten. Die Tatsache, dass sie öfters betont, ihr ungeschminktes Äußeres nicht zu mögen, führt mich zu der Frage, ob sie sich jetzt mehr wie sie selbst fühlt. Delano bekommt leuchtende Augen: „Die Frage gefällt mir!“

Sie winkt ab. „Das ist nur eine überhöhte Version meiner selbst“, erklärt sie gelassen. „Ich bin immer noch dieselbe. Nur mit Make-up! Das ist bloß Show.“ Sie verschwindet im Nebenzimmer, wo sie einen silbernen Rock und ein silbernes Top anzieht – ein Outfit, das ein wenig an Judy Jetson erinnert – sie eilt zu ihrem abendlichen Meet-and-Greet, ohne zu wissen, dass sie dort etwas erwartet, das sie zum zweiten Mal an diesem Tag zum Heulen bringen wird.

Ein paar Tage früher und 15 Kilometer vom Hudson River entfernt, befindet sich Perry im Backstagebereich des Madison Square Garden. Sie bereitet sich auf ihre zweite Show an diesem legendären Ort vor. An den Wänden hängen gerahmte Bilder von den Madison-Square-Garden-Shows diverser Superstars: Bruce Springsteen, David Bowie, Beyoncé und direkt neben der Tür Perry selbst. Auf ihrem Weg hinaus beugt sie sich vor, kuschelt sich an das Bild von Beyoncé und widmet ihm eine kleine Ich-bin-deiner-nicht-würdig-Verbeugung. Sie hakt sich bei ihrer Freundin Allison Williams – bekannt aus der TV-Serie „Girls“ – ein, die gerade zu Besuch ist, die beiden haben sich über Perrys Ex-Freund John Mayer kennengelernt, der mit Williams‘ Verlobtem befreundet ist.

In den dunklen Schatten hinter der Bühne, der nur vom Leuchten der neonfarbenen, an Tron erinnernden Gladiatorenkostüme der Hintergrundtänzer erhellt wird, formt sie einen Gebetskreis und bittet Cobb, ihren jungenhaften Manager, den Segen für diesen Abend zu sprechen. „Bete laut und bete für unseren Schutz“, sagt Perry, die durchaus Schutz gebrauchen kann – immerhin wird sie über die Menge hinwegschweben und in luftiger Höhe auf gefährlich aussehenden Podesten balancieren. „Die Show ist eine körperliche Herausforderung, es kann also alles Mögliche passieren. Ich könnte ausrutschen.“ Sie beten. Perry zählt bis drei, dann rufen alle zusammen: „New York City!“

Der Auftritt läuft gut – Katy rutscht nicht aus. Den heutigen Abend feiert sie, indem sie zurück ins Hotel fährt, sich die Haare grün färbt und sofort ins Bett geht. Am nächsten Morgen erwacht sie wie gewohnt gegen Mittag und beginnt den Tag mit einer 20-minütigen transzendentalen Mediation. „Mein Ex-Mann hat mich darauf gebracht“, sagt Katy, die ihre ganze Crew einlädt, bei ihrem Lehrer zu meditieren. „Eigentlich ist es das Beste, was mir das alles eingebracht hat.“ Pause. „Oder zumindest eines der besten Dinge. Meditation hat mir das Leben gerettet. Es fühlt sich an, als würden dabei in meinem Gehirn neue Öffnungen zu diesen – wie nennt man das noch gleich – neuralen Bahnen entstehen.“

Es ist früher Abend, als sie in ihre Suite im SoHo Grande zurückkehrt. Sie hat sich Makeup und Nägel auffrischen lassen und trägt ein nietenbesetztes Würgehalsband, ein kariertes Top aus einem hanfähnlichen Material und einen violetten Mikro-Minirock mit schwarzen Lederstiefeln. Sie nennt diesen Look „Soft Grunge“ und er erinnert an die Klamotten, die Angela in „Willkommen im Leben“ trug – eine TV-Serie, die Perry nie gesehen hat, weil ihre Eltern ihr solches Fernsehen verboten haben.

Auf dem Bett liegt ein Teddybär, den sie von Hotel zu Hotel mitnimmt. Im Wandschrank stehen mindestens zwölf Paar Schuhe, auf den Kleiderhaken hängen 30 oder 40 Outfits. Ihr fünf Monate altes Hündchen Butters, eine gutmütige Promenadenmischung in der gleichen Farbe wie sein Chewbacca-Kauspielzeug, tobt auf dem Parkettboden herum. An seinem Halsband hängt ein winziger Backstagepass.

„Wir können uns zusammen den Sonnenuntergang anschauen“, schlägt sie ihm mit gespielt süßlicher Stimme vor und tritt auf die Terrasse der Suite hinaus, wo sich die Skyline der Stadt erstreckt. Sie nimmt auf einem der weißen, flauschigen Balkonstühle Platz, öffnet eine Dose grünen Tee und schaut auf die Stadt. „Ich war nie auf dem College“, sagt sie nippend. „Ich bin nicht einmal wirklich auf die High School gegangen. Wenn ich könnte, würde ich definitiv zurück auf die High School gehen. Ich hab nur das erste Semester besucht.“

Ihren „Mittlere Reife“-Abschluss holte sie mit 15 nach und konzentrierte sich auf ihre Musikerlaufbahn. „Der Traum entstand mit neun Jahren und war ganz schön hartnäckig“, erinnert sie sich. „Ich habe meine Eltern jeden Tag zu Tode genervt, wie im chinesischen Foltergefängnis.“ Sie lächelt und deutet auf die Skyline. „Bis jetzt sieht es so aus, als hätte alles funktioniert. Mein Traum ist in Erfüllung gegangen.“

Richtig zufrieden ist sie allerdings noch nicht. „Ich bin auf einem gewissen Level, aber ich versuche, weiter zu kommen. Ich möchte mehr Glaubwürdigkeit, schätze ich. Sodass die Leute sagen: ‚Ich kann mich darauf verlassen, dass diese Person gute Musik macht.‘ Ich will am Ball bleiben. Eine Karriere haben. Und ich denke immer an die Zukunft. Ich habe ein Plattenlabel gegründet, jetzt bin ich Firmenchef. Verstehst du: knallharter Erwachsenenscheiß. Erwachsenenzeug meine ich“, korrigiert sie sich und lacht. „Nicht länger nur den Fuß in den Pop-Teich tauchen, sondern eine Arschbombe machen!“

Perry hat einen weiteren Traum, einen Plan B. Sie begann ihre Karriere als gitarrenschwingende Singer/Songwriterin (anfangs als eine christliche) – und eines Tages will sie dahin zurück. „Es gibt diese Option. Jederzeit griffbereit“, sagt sie. „Wenn ich keine Lust mehr auf Choreografien habe, werde ich ein Akustik-Album aufnehmen. Meine Kostüme passen mir nicht ewig, meine Gitarre habe ich für immer. Da fühle ich mich sehr zu Hause. Und sollten irgendwelche Leute deshalb Fragen haben, sage ich einfach: ,Na ja, hört es euch halt an.'“

Dieser Plan ist oft Thema. Während sie sich in Newark die Knie kühlt, verkündet sie: „Mein nächstes Album wird akustisch.“ In Wahrheit könnte das noch eine Weile dauern. „Sie hat mir schon vor ,Prism‘ erzählt, dass sie ein Akustik-Album machen möchte“, erinnert sich Cobb. „Aber wenn es mal keine Herausforderungen mehr für sie gibt, wird dieses Album ihre Herausforderung.“

„Ich fände es toll, irgendwann mit ihr so ein Album zu machen“, sagt Dr. Luke. „Allerdings kann sie das machen wenn sie 35 ist, oder wenn sie 40 oder 50. Aber jetzt? Katy Perry, der erfolgreichste Popstar der Welt zu sein – das ist ein ziemlich toller Job. Wenn du aber das Radio anmachst und ein Akustik-Album hörst, werden wohl viele abschalten.“

Letztens hat Katy Perry Madonna getroffen, die ihr Akustik-Album auch noch vor sich hat. „Um in den Kreis ihrer Freunde aufgenommen zu werden, musst du wirklich beweisen, dass du eine Person bist, der man vertrauen kann“, sagt Perry. „Das kann ich völlig nachvollziehen. Wenn du in dieser Liga bist, musst du dein Herz schützen. Du kannst nicht irgendwelche Spinner in dein Leben lassen, die dir das Blut aussaugen wollen. Jeder will was von dir, also musst du immer fragen: ,Warum bist du hier? Was willst du von mir?'“

Perry warf diese Rationalität sehr plötzlich über Bord, als sie Russell Brand nach dreieinhalb Monaten heiratete. Die Scheidung verlangte er per SMS, während einer Tournee. Wie sie in dem Text des „Prism“-Songs „By The Grace Of God“ beschreibt, dachte sie damals sogar an Selbstmord. „Es war traumatisch“, erinnert sie sich. „Ich lebte in einem Märchen, doch die Realität sah anders aus. Aber ich möchte darüber nicht mehr reden, es fühlt sich an, als sei das tausend Leben her und es lässt mich verzweifelt erscheinen, als hätte ich das nötig, bloß um Aufmerksamkeit zu erregen.“

Eine von UNICEF arrangierte Reise nach Madagaskar half ihr nach der Trennung, wieder zu sich zu kommen. „Ich war voller Selbstmitleid“, gesteht sie. „Und dann sah ich die Lage dieser jungen Frauen dort. Ich dachte, ich wäre auf gewisse Art seelisch missbraucht worden, aber sie waren körperlich und seelisch missbraucht worden und dabei auch noch schwanger. Sie mussten Obst verkaufen, um zu überleben. Eine Erfahrung, die mich Demut lehrte. Nicht dass ich meine Situation mit ihrer verglichen hätte, aber ich konnte die Sache im richtigen Verhältnis sehen. So ähnlich, wie es die eigenen Eltern einem immer sagen.“

Die Luft wird kühler, das Dach des Chrysler Buildings leuchtet, und um die Wolken kräuseln sich rosige Ränder. Perry atmet tief durch. „Diese pinkfarbene Lichtstimmung geht einem nahe“, bemerkt sie.

Gegen Ende ihrer Jugend brach Perry mit dem strengen pietistischen Glauben ihrer Eltern. Mit 17, auf dem Vordersitz eines Jeeps, hatte sie das erste Mal Sex – im Radio lief Jeff Buckleys „Grace“. Ein Wendepunkt, der wenig mit ihrer damaligen Glaubenssituation zu tun hatte. „Es gibt übrigens einige Christen, die ihre Jungfräulichkeit verlieren“, sagt sie, „nur so als Anmerkung. Selbst solche, die Gospelmusik machen! Ich war nie Mitglied bei den Jonas Brothers! Ich habe nie ein Gelübde abgelegt. Letztlich war es wohl eine allmähliche Veränderung zwischen meinem 17. und meinem 23. Lebensjahr. Eine kleine Sünde nach der anderen.“ Schon in ihrer Gospelzeit zählte Katy Perry weltliche Künstlerinnen wie Fiona Apple zu ihren Einflüssen.

Ungefähr zur selben Zeit überzeugte sie ihren Vater davon, sie zum Studio von Glen Ballard, dem Produzenten von Alanis Morissette, zu fahren, der sie bei seinem Label unter Vertrag nahm. „Sie hatte dieses unbeirrbare Selbstverständnis“, erinnert sich Ballard, der ihre Zeit in der christlichen Szene als Katys persönliches Äquivalent zu der sonst zum Karrierebeginn obligatorischen Bar-Tingelei sieht. „Ein Publikum ist ein Publikum“, fügt er hinzu. „Christen, Muslime, völlig egal. Du spielst ihnen Musik vor, und sie fahren entweder drauf ab oder nicht.“ Ballard besorgte ihr einen Mode-Sponsor, und sie bereisten gemeinsam die Welt. „Wir gingen zur Fashion Week, und die Leute machten Fotos von ihr, ohne zu wissen, wer sie war.“ Ballards Label, Java, hatte Verträge mit Def Jam und später Columbia, aber keines der beiden Labels kümmerte sich besonders um Perry. Anfangs waren der Look und ihre Musik eher rockig, mit Anklängen von Alanis Morissette. Während ihrer Zeit bei Columbia übernahm Cobb ihr Management. „Katy galt in L. A. als vielversprechendes Talent, eine sehr junge, empfindsame Künstlerin, etwas blauäugig“, beschreibt sie Cobb, der sie in der Tradition von „vielleicht Chrissie Hynde, vielleicht ein bisschen Joan Jett“ sah.

Eines Tages jedoch, 2006, sagte Perry zu ihrem Manager: „Ich glaube, ich werde ein wenig in Richtung Pop gehen.“ Cobb erinnert sich: „Ich wollte wissen, was sie meinte und sie antwortete: ‚Popstar‘. Ich musste sie bitten, das näher zu definieren: ‚So wie Britney Spears.‘ Ich fiel fast vom Stuhl. Verstehst du, was das heißt? Sie liebt Herausforderungen. Wenn du ihr sagst, sie kann etwas nicht tun, nun, dann macht sie’s erst recht.“

Das Meet-and-Greet in Newark nähert sich dem Ende, als sich Perry ein niedlicher, dünner Junge vorstellt. Er trägt ein gelbes T-Shirt mit einer „I met Katy Perry“-Aufschrift auf der Brust und aufmunternden Textauszügen aus „Roar“ auf dem Rücken. Sie beugt sich zu ihm hinunter. „Du bist sieben und ein Katy-Perry-Fan?“, fragt sie und signiert ein Poster mit den Worten „You’re the coolest“ für ihn. „Wie lange musstest du denn auf diesen Moment warten?“, möchte sie wissen. „Lange?“ – „Noch viel länger!“, antwortet er. Der Junge ist mit seiner Familie da, und nach einer Weile fällt mir die Anstecknadel der Make-A-Wish-Stiftung (die kranken Kindern Wünsche erfüllt) am Revers des Vaters auf. „Er kennt alle Ihre Songs“, berichtet der Mann Perry.

„Sollen wir ein paar Fotos machen?“, fragt sie. Der Junge nimmt eine „Roar“-Pose ein, die kleinen Hände zu Löwenpfoten geballt.

Hymnen wie „Firework“ und „Roar“ scheinen Perry am besten zu liegen. Sie sind die pure Rückenstärkung, konzentriert inspirierende Dammbrüche, als hätte man eine Oprah-Winfrey-Show auf vier Minuten eingedampft. „Ich plane so was nicht im Voraus, es ist eine Stimmung, die mich irgendwann überkommt“, erklärt sie, „ein Gefühl, das meinen Körper erfasst. Allerdings bin ich normalerweise, wenn ich diese hymnischen Songs schreibe, eher an einem Tiefpunkt, und es ist dann, als würde mich so ein kleiner Engel auf meiner Schulter ermutigen: ‚Du schaffst das. Finde deine Stimme, deine Stärke, blah blah blah. Ich habe dieses Motivierende in mir, durch die Songs kommt das durch, aber eigentlich schreibe ich sie vor allem, weil ich selbst Inspiration und Zuspruch brauche.“

Als Perry die Familie einlädt, ein paar Gruppenfotos mit ihr zu machen, fällt ihr Blick auf einen ihrer Manager, den eigentlich eher stoischen Ngoc Hoang, der gerade mit den Tränen kämpft. Sie lächelt den Jungen an. „Bin gleich wieder da!“, sagt sie und zwingt sich, besonders fröhlich zu klingen, dann rennt sie aus dem Zimmer, bevor er sie weinen sehen kann. Eine lange Minute später kommt sie zurück. Wieder in ihrer Garderobe erfährt sie vom Zustand ihres jungen Fans – er braucht wahrscheinlich eine Herztransplantation, aber ist im Augenblick stabil. „Ich will gar nicht so genau wissen, was sie haben“, bemerkt sie schluchzend. „Also gehe ich immer vom Schlimmsten aus. Es kann schon eine Prüfung sein, vor der Show in vollem Make-up ein ‚Make-A-Wish‘-Kind zu treffen.“ Sie lässt sich in ihren Schminkstuhl fallen – Delano muss sich um ihre Augen kümmern.

Vor fünf Monaten war Perry bei der Hausgeburt ihrer Schwester dabei, um das filmisch festzuhalten und sie zu unterstützen. Sie spricht davon, eines Tages ihr eigenes Kind zu haben – das klingt konkreter als das Akustik-Album. „Meine Schwester kümmert sich absolut hingebungsvoll um dieses Kind, 24 Stunden am Tag“, sagt sie. „Das kleine Mädchen ist so aufgeweckt, so wissend, so schön und so glücklich. Ich möchte das zur richtigen Zeit auch erleben, aber in den nächsten zwei Jahren wird das nichts. Vielleicht innerhalb der nächsten fünf, aber ich muss mich zu hundert Prozent darauf einlassen können. Ich möchte mein Kind ungern mit auf Tour nehmen. Nicht bevor es sechs wird.“

Müsste vorher nicht auch noch der richtige Mann gefunden werden? „Ich brauche keinen Typen“, winkt sie ab und verweist auf ihren Freund Neil Patrick Harris und seinen Lebensgefährten David Burtka. „Sie haben wunderschöne Zwillinge. Wir haben 2014! Wir leben in der Zukunft, wir müssen gar nichts … aber mal sehen. Ich habe nichts gegen Männer. Ich liebe Männer. Aber wenn der Richtige nicht auftaucht, gibt es auch eine andere Lösung.“

Es ist ein regnerischer Tag in Montreal. Vor dem Ritz Carlton stehen aufgeregte Teenager-Mädchen und vereinzelt ein paar Männer herum. Gestern hatte Katy Perry ausnahmsweise einen freien Tag, den sie mit Harris und Burtka verbracht hat – zur Akupunktur-Behandlung gab es für alle ein exklusives Sushi kostenlos dazu.

Sie kommt, dank eines geheimen Fahrstuhls, hinter einem Vorhang am Ende der marmornen Lobby des Hotels hervor. Dort wird sie frühstücken und ein paar Gespräche führen. Sie setzt sich auf einen thronartigen Stuhl – „Ich fühle mich wie ein König!“ – und bekommt ihr übliches Tour-Frühstück: Haferbrei mit Mandelmilch, etwas Honig und ein Truthahnwürstchen als Beilage. Zu der umgedrehten Baseballkappe auf dem Kopf trägt sie eine Trainingshose und ein Sweatshirt von Rodarte, auf dessen Vorderseite „Rohearte“ steht. Sie ist dezenter geschminkt als sonst und wirkt sehr jung. Ich erinnere sie an eine ihrer Bemerkungen in Newark: „Manchmal fühle ich mich nicht wie ein Popstar.“

„Die Hälfte der Zeit tue ich es, die andere Hälfte nicht“, präzisiert sie. „Ich meine, gestern war ich Radfahren, hatte einfach meine Kappe verkehrt herum auf und bestellte mir meinen Cheeseburger bei McDonald’s!“

Das Gerücht, sie wäre mit dem Produzenten Diplo liiert, streitet sie indirekt ab. „Sieht es so aus, als könnte ich momentan mit irgendjemandem eine Beziehung haben?“, weist sie auf ihren vollen Terminkalender hin. „Schreibe ich SexMSe? Ja, okay.“ Sie rudert zurück. „Nein, ich schreibe keine SexMS. Ich texte Intellektuelles. Ich intelletexte.“ Über ihren Männergeschmack, das räumt sie ein, lässt sich streiten. Sie und Mayer wären sich sehr ähnlich gewesen, sagt sie – „Wir haben viel geredet“ -, vermeidet aber zu erklären, was falsch lief: „Manche Menschen sind … Sie sind wirklich …“ Sie unterbricht sich. „Ich will einfach nicht darüber reden.“

Ganz allgemein gilt: „Ich mag schillernde Persönlichkeiten. Ich kann halt nicht perfekt sein. Du liebst, wen du liebst. Mit der Zeit wird man schlauer. Ich meine, jeder Typ war anders. Kürzlich habe ich getwittert, dass ich den Prinz suche, dem mein gläserner Jordans-Slipper passt.“ Während sie erzählt, nähert sich ein hochgewachsener Mann mit langen, lockigen weißen Haaren. Es ist Brian May, der gestern Abend einen Auftritt mit Queen hatte.

„Vielleicht ist das dein Prinz“, flüstere ich ihr zu. Sie lacht. Die beiden plaudern etwas. „Mir tun alle Knochen weh“, klagt May. „Man weiß nicht, was mehr schmerzt, die Knie oder die Füße oder die Finger? Das macht sich niemand klar.“ – „Meinen Knien geht’s genauso“, sagt Perry. „Gestern haben wir zwei Stunden und 20 Minuten gespielt“, erzählt May. „Ihr übertreibt es, bro!“, antwortet sie, während sie sich verabschieden. Apropos „bro“: „Ich glaube, ich habe den Präsidenten auch schon so angeredet“, gibt sie zu.

Wie steht es nun um ihren angeblichen Mangel an Sensibilität gegenüber anderen Kulturen? Es hagelte Kritik für die kurvenreichen Mumien-Tänzerinnen. „Übersexualisierte Karikaturen schwarzer Frauenkörper“, hieß es. Auch ihr Geisha-Kostüm bei den American Music Awards; ein Kippa tragender jüdischer Komiker in ihrem Video zu „Birthday“ und eine Sequenz im „Dark Horse“-Video, wo ein Mann mit einem Anhänger mit der Aufschrift „Allah“ zerfetzt wird, wurden kritisiert. Diese Szene hat sie schließlich bearbeitet.

„Auf dem Gipfel“, kommentiert sie, „weht ein starker Gegenwind, und alle wollen dich abstürzen sehen. Dir soll klar werden, dass du es ohne sie nicht geschafft hättest. Bei den Mumien geht es um Schönheitschirurgie. Schau dir Kim Kardashian oder Coco an, die Ehefrau von Ice T. Das sind keine Afroamerikanerinnen. Eigentlich geht es mir um unser Streben nach Künstlichkeit – deshalb tragen sie diese Bandagen. Für mich passte das gut zusammen.“ Sie hat jedenfalls nicht vor, sich zu entschuldigen. Die Tänzerinnen blieben in der Show. „Das Ganze wird aufgeblasen, und ich soll mich öffentlich entschuldigen. Das war nichts Böswilliges. Ich bin da ziemlich feinfühlig.“

Regeln ändern sich, kulturelle Aneignung gilt als zusehends uncool. „Ich soll bei Baseball und Hot Dogs bleiben, oder!?“, spekuliert sie. „Schon klar, dass mich diese Bemerkung irgendwann am Arsch kriegen wird. Aber kann man eine Kultur nicht einfach wertschätzen? Soll wirklich jeder schön in seiner Ecke bleiben? Keine Ahnung.“ Die Mäkeleien am gespenstischen Video zu „Dark Horse“ sind da eher bizarr. Der Clip sei voller Symbolik der Illuminaten und würde auf Perrys Mitgliedschaft (gemeinsam mit Jay Z, Lady Gaga oder gar Weird Al Yankovic) in dieser Geheimgesellschaft hinweisen, mutmaßten die Heckenschützen des Internets. „Ganz ehrlich“, lächelt sie, „wenn die Illuminaten wirklich existieren, wäre ich zu gern dabei! Ich lese diesen Quatsch und denke: ,Bitte lasst mich mitmachen!‘ Dabei weiß ich null über diesen Verein! Diese Netz-Leute sehen, wie ich Dreiecke mit meinen Händen forme. Voll verrückt. Man hat es echt geschafft, wenn die jemand bei den Illuminaten wähnen. Pass auf: Ich glaube an Außerirdische. Wenn andere also an Illuminaten glauben, soll mir das recht sein.“

Die notorisch unverstandene Katy Perry will keine Obercheerleaderin des Pop sein. „Niemals!“, sagt sie und beißt in ein Würstchen. „Ich bin vielmehr die Assistentin des Klassenclowns; war ich schon auf der High School. Man nannte mich ,Melonenschaukel‘, und sonderlich hübsch war ich auch nicht. In der Pubertät sah ich aus wie ein Quadrat, oder besser: wie ein Rechteck. Die Leute erschaffen gern Figuren“, überlegt sie. „Helden und Bösewichter, dämliche Mädchen und schlaue Mädchen, clevere Mädchen und hippe Mädchen. Sie bauen diese Typen auf wie in einer Seifenoper. Dabei weiß ich immer noch nicht, wie meine Rolle aussieht. Ich bin also nicht Popstar-öde, aber auch nicht gerade Hipster-cool, sondern wohl irgendwo dazwischen.“

Also erst der Anfang ihrer Geschichte? Sie wird ungewöhnlich ernst und gerät ins Grübeln. „Das liegt in Gottes Händen“, antwortet sie.

Top of female Pop

In bester Gesellschaft: Diese fünf Frauen sind die erfolgreichsten im Showbusiness

Madonna

Einnahmen 2013: 125 Millionen Dollar. Den Hauptanteil verdiente sie durch ihre Tournee zum Album „MDNA“, wo kräftig Merchandise, Parfüm und Kleidung verkauft wurden.

Erfolgreichste Hits: „Like A Prayer“,“Papa Don’t Preach“,“True Blue“, „La Isla Bonita“ „Hung Up“, „Vogue“

Erfolgreichstes Album: „True Blue“ (1986), 25 Millionen Exemplare weltweit

Lady Gaga

Einnahmen 2013: 80 Millionen Dollar. Ihre „ARTPOP“-Tournee brachte 168 Millionen Dollar ein.

Erfolgreichste Hits: „Poker Face“,“Bad Romance“,“Just Dance“

Erfolgreichstes Album: „The Fame“(2008), 15 Millionen Verkäufe weltweit

Taylor Swift

Einnahmen 2013: 55 Millionen Dollar. Neben 1,2 Millionen verkauften Kopien ihres vierten Albums „Red“ verdient sie durch Werbeverträge mit Diät-Cola, Sony-Kamera und der Kosmetikmarke Covergirl.

Erfolgreichste Hits: „We Are Never Ever Getting Back Together“, „I Knew You Were Trouble“,“Love Story“

Erfolgreichstes Album: „Fearless“(2008), 8,7 Millionen Exemplare weltweit

Beyoncé

Einnahmen 2013: 53 Millionen Dollar-Auf ihrer „Mrs. Carter World Tour“ kassierte sie zwei Millionen Dollar pro Konzert. Sie verdient an Werbeverträgen mit Pepsi und H&M sowie ihrer Modelinie House of Deréon.

Erfolgreichste Hits: „If I Were A Boy“, „Halo“,“Single Ladies (Put A Ring On It)“

Erfolgreichstes Album: „Dangerously in Love“ (2003), 11 Millionen Exemplare weltweit

Jennifer Lopez

Einnahmen 2013: 45 Millionen Dollar. Ihre letzte Tournee spielte an jedem Abend eine Million Dollar ein.

Erfolgreichste Hits: „Jenny From The Block“, „On The Floor“(featuring Pitbull),“If You Had My Love“,“Get Right“

Erfolgreichstes Album: „J. Lo“(2001), 12 Millionen Exemplare weltweit

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