Die Welt umarmt

Der putzige Pop von Travis grenzt keinen aus.

Angeblich sind die Jahre vor der Null immer ganz besondere, doch zumindest popkulturell ließ sich das 1999 nicht bestätigen. Musikalische Pauschaltouristen hörten den Buena Vista Social Club und machten Santanas „Smooth“ zu einem der größten Hits des Jahres, Ricky Martin und Jennifer Lopez wackelten mit ihren Popos im Takt zum Trend.

Zwei ältere Männer sorgten indes für unerwartete Sternstunden: Tom Waits gelang mit den reduzierten und doch nur scheinbar schlichten Stücken von „Mule Variations“ noch einmal ein Meisterwerk, Randy Newman fasste in „Bad Love“ sein skeptisches Weltbild zusammen. „I have nothing left to say/But I’m gonna say it anyway“ war bloße Koketterie, der Alte konnte es immer noch.

Blur bäumten sich mit „13“ noch einmal gemeinsam gegen den drohenden Auseinanderfall auf, Wilco versuchten Ähnliches mit „Summer Teeth“. Bald darauf mussten beide Bands auf elementare Mitglieder verzichten. Während Jeff Tweedy, erlöst vom nagenden Ehrgeiz Jay Bennetts und offensichtlich zufrieden mit der alleinigen Führungsposition, Wilco zu noch besseren Alben, wenn auch nicht sensationellen kommerziellen Erfolgen, anstachelte, wirkten Blur ein wenig hilflos, und Sänger Dämon Albarn interessierte sich zunehmend mehr für andere Projekte – Mali, Gorillaz, was auch immer. Vor kurzem kehrte Gitarrist Graham Coxon unter großem Jubel zurück. Ob daraus wieder eine zukunftsfähige Gemeinschaft wird, muss sich noch zeigen.

In Großbritannien schaute man im Jahr 1999 ohnehin eher auf eine andere Band – eine freundliche, bescheidene Band aus Schottland. „The radio is playing all the usual/ And what’s a Wonderwall anyway?“, fragte Fran Healy unschuldig in „Writing To Reach You“. Und er erreichte die Menschen, inklusive fast der kompletten ROLLING STONE-Redaktion. Das Travis-Album „The Man Who“ stand am Ende auf Platz eins der Leser- und Kritiker-Charts. Es war das Werk, auf das sich alle einigen konnte, obwohl es keiner an die Spitze seiner persönlichen Bestenliste wählen wollte. Selbst Wolfgang Doebeling nicht, der zog damals Freakwaters „End Time“ vor.

Zehn Jahre später kann man „Why Does It Always Rain On Me?“ vielleicht nicht mehr hören, weil es von Umhängetaschenträgern, Zahnspangenmädchen und Light-Bier-Trinkern gleichermaßen totgespielt wurde, aber all die unfassbar schwelgerischen Melodien auf „The Man Who“ hauen einen immer noch um. Eben noch hatte Fran Healy (nicht ganz glaubwürdig) „All I Want To Do Is Rock“ behauptet, da schmeichelte sich seine Band mit einem perfekten Pop-Album in alle Herzen.

Travis umarmten mit ihren Liedern die ganze Welt, sie grenzten keinen aus, jeder durfte mitmachen. Sie klangen zart, aber nicht zerbrechlich. Süß, aber nicht künstlich. Beim letzten Stück, „Slide Show“, tröstete Healy noch einmal alle in seiner unnachahmlich naiven Art, die man ihm nie wieder so abnehmen konnte wie hier: „There is no design for life/ There’s no devil’s haircut in my mind/ There is not a wonderwall/ To climb or step around/ But there is a slide show and it s so slow.“ Die Welt drehte sich dank Travis plötzlich wieder ein bisschen langsamer. Fast wäre es gemütlich geworden.

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