Digitale Entfremdung, Defragmentierung und Emotion: Son Lux in Berlin

Ein denkwürdiges erstes Berlin-Konzert gab Ryan Lott alias Son Lux in Triobesetzung im Kreuzberger Bi Nuu: ein Abend zwischen Polyrhythmik, Abstraktion und Melancholie.


Stereotyp frisst Gefühle

Ganz kurz vorweg: Youthkills sind nicht nur der Opening Act jenes Abends, der das erinnerungswürdige Berlin-Debüt von Ryan Lott alias Son Lux werden sollte, sondern auch die Söhne der Duran-Duran-Musiker Andy Taylor und Roger Taylor (die weder miteinander verwandt oder verheiratet sind). Ihre Musik setzen Youthkills aus dem Klischee-Songbaukasten der Populärmusik zusammen, hier werden vermeintlich große Gefühle besungen mit einem Gestus, den die Musiker wohl selbst anscheinend eher in ihrer Idee von Stadionmusik verorten. Akkord um Akkord, Textzeile um Textzeile werden alteingesessene Stereotypen bemüht, Funke springt naturgemäß kein einziger über. Sänger James Taylor gibt den rauhalsigen Rebellen, die Side-Cut-Frisur sitzt, die Stromgitarren auch. Fünfundvierzig Minuten müssen die Zuschauer des Berliner Bi Nuu Taylor dabei zuhören, wie er sich nicht entscheiden kann, ob er lieber Bono, Trent Reznor oder doch lieber Fred Durst wäre. „In this place you’re dying just to feel alive / You got it wrong you got it wrong everytime / I’m still staring down that lonely highway / But I can say I did it my way“. Aua.

Amalgam und Wechselwirkung

Wenige Monate ist es her, dass Ryan Lott alias Son Lux „Lanterns“ veröffentlicht hat – zur Umsetzung hat er sich ein Trio zusammengestellt, Rafiq Bhatia an die Gitarre und Ian Chang (sonst unter anderem bei Matthew Dear) ans elektronische Schlagzeug gebeten.  Das Amalgam aus digitaler Entfremdung, Defragmentierung und Vertrautem: das Trioformat funktioniert für die im Grunde nicht ganz leichte Umsetzung des Son-Lux-Kosmos bestens. Das rhythmische Gerüst ist in seiner Polyrhythmik, Sprung- und Risshaftigkeit so fordernd wie mitreißend: Oft herrscht Breakbeat-Ästhetik, auch dann, wenn die Takte im Grunde gerade wären, die Einsen weit hinten, die Offbeats weit vorne, die Subbass-Frequenzen körperlich mehr als spürbar.

Brüche fungieren als strukturelle Brücken, das Synkopen-verliebte Zusammenspiel zwischen Abstraktem und Menschlichem, zwischen den digitalen Beats und dem oft unglaublich gekonnt hinter dem Punkt zurückgelehnten Schlagzeugspiel Ian Changs sowie Rafiq Bhatias Gitarre, treibt das, was Son Lux auf Platte schafft, live auf die Spitze. Es geht hier  längst nicht ausschließlich um das Sprunghafte, sondern um Wechselwirkungen.

Gefühl frisst Stereotypen

Denn über jene Gerüste, deren Kohärenz und Logik sich dem Hörer oft erst auch im Abklang erschließen, legt Son Lux traditionelle Tonalität, getragen von seiner brüchigen, fragilen Stimme. Die alte Indie-Melancholie, sie blitzt hier und da auf, mal trägt sie die Sache über weitere Strecken, mal ertränkt sie sich in imposanter, nie aber bombastisch konstruierter Rhythmik.

Eine Stunde dauert die Performance, vielleicht sogar etwas weniger. Ein absolutes Statement, absolut auf den Punkt – oder besser noch, den Punkt überhaupt erst während des Weges erfunden, erspielt. Groß.

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