Digitaler Entscheid

Die Kaiser Chiefs lassen Fans bei der Songauswahl für das neue Album freie Hand. Davon profitieren beide Seiten. Vielleicht.

Als Radiohead vor vier Jahren jeden Fan selbst entscheiden ließen, was er für ihr Album „In Rainbows“ zahlen möchte, war das keine Revolution, aber immerhin ein Statement. Wohin sich das Tonträgergeschäft entwickelt, bleibt unabsehbar – jede neue Idee trägt zur dessen Diversifizierung bei. Etwa die von Unternehmen wie PledgeMusic, auf deren Plattform Musiker ihre Fans subskribieren lassen. Wenn genügend Geld da ist, wird ein Album produziert. Klar ist aber, dass der Umsatz mit Downloads die Einbrüche bei den physischen Verkäufen nicht auffängt, weil die Gratiskultur im Web altgediente Bezahlsysteme aushebelt. Geld mit CD-Verkäufen zu verdienen, ist für viele Künstler eine Idee von gestern.

Das neueste Konzept kommt von den Kaiser Chiefs. Die Band aus Leeds bietet auf ihrer Website 20 neue Songs zum Verkauf an. Der Konsument stellt aus zehn Tracks ein Album zusammen wie ein Sandwich bei Subway, gestaltet sein eigenes Cover und bezahlt 7.50 Euro. Anschließend kann er selbst zum Musikhändler werden, indem er seine Version von „The Future Is Medieval“ über Facebook etc. anpreist und über den Kaiser-Chiefs-Webshop verkauft. Pro Weiterverkauf gibt es 1 Euro – mehr als viele Künstler von ihrer Plattenfirma bekommen.

„Wir möchten mit dieser Art der Veröffentlichung ein Statement zur digitalen Musik abgeben“, sagt Keyboarder Nick Baines treuherzig. „Es kann Spaß machen, ein Lied herunterzuladen. Es kann sogar so etwas wie Besitzerstolz geben. Die Leute bleiben ein bis zwei Stunden auf der Website, bevor sie ihr Album fertig haben. Das holt etwas von dem zurück, was mit der Schallplatte verschwunden ist.“ Eine Million Hits verzeichnete www.kaiserchiefs.com in den ersten Wochen nach dem digitalen Release. Wie viele der User ein Album herunterluden, sagt Baines aber nicht.

Zauberwort Crowdsourcing: Das virale Marketing der Kaiser Chiefs entspricht dem Trend, den Konsumenten durch Beteiligung an das jeweilige Produkt zu binden. Das ist der letzte Schrei der Strategen – von der „ERGO“-Versicherungswerbung bis zum DIY-Burger bei McDonald’s. Heißt hier: Ich habe etwas zu sagen bei meiner Lieblingsband. „Wir waren gelangweilt von der Prozedur der Albumveröffentlichung. Du reist um die Welt und redest über Musik, die dein Gegenüber erst in vier Monaten hören kann. Dann kommst du zurück und stellst fest, dass die ganze Welt deine Musik längst umsonst auf dem Rechner hat. Diese Art der Entwertung hält man als Künstler nur schlecht aus.“

Freilich mussten die Geschäftspartner von der Idee überzeugt werden, die Kaiser Chief Ricky Wilson gemeinsam mit einem Marketingspezialisten ausgeheckt hatte. „Die Plattenfirmen hatten bestimmt schon dieselbe Idee wie wir“, sagt Baines, „aber es brauchte eine Band, um sie umzusetzen.“ Dass es auch eine richtige CD mit 13 Songs gibt, ist ein Zugeständnis an ihre Plattenfirma. Die Tracklist der Kaiser Chiefs deckte sich dabei zunächst nicht mit der ihrer Fans. Die luden vor allem Lieder, die typisch nach den Kaiser Chiefs klangen. Erst langsam kamen die Fans dort an, wo die Band schon war. Denn „The Future Is Medieval“ beschreibt nicht nur eine neue Verkaufsstrategie, sondern auch einen stilistischen Wandel.

Mit Bowie-Produzent Tony Visconti entstanden Aufnahmen, die dunkler und vielschichtiger sind als das bisherige Material. „20 Lieder machen zu dürfen, das war befreiend für uns“, erklärt Baines. „Wir mussten nicht alle Ideen in wenige Lieder zwängen, sondern konnten sie sich entwickeln lassen. Man kann sich jetzt verschiedene Alben zusammenstellen – ein elektronisches, ein Sixties-mäßiges, ein hartes. All das sind die Kaiser Chiefs.“ Jörn Schlüter

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