Donots im Interview: „Das beste Konzert? Kommt noch!“
Mit „Schwert aus Holz“ veröffentlichen die Donots ein Unplugged-Album mit ihren Klassikern. Ein Interview über Vorbilder, Angst auf der Bühne und politische Haltung
Die Wetterkarte zeigt ein dunkles Blau an. Lila fast. Nein, seien wir ehrlich: schwarz. Schwarz steht für krasses Gewitter. Ein Sturm, ausgerechnet für 20.30 Uhr, dem letzten Tag des „Watt En Schlick“-Festivals am Jadebusen (Nordsee), pünktlich zum Headliner-Auftritt der Donots. Ingo Knollmann, Sänger der Band, schaut aufs Wetterdisplay seines Handys. „Okay, kriegen wir hin“, sagt er. Knollmann wirkt zuversichtlich. „Wetter spielt doch keine Rolle.“ Tatsächlich regnet es, als die Donots die Bühne zum Abschluss des Festivalsonntags betreten, aber es regnet nicht allzu stark. Leichter Regen, das kriegen sie sowieso hin, oder? Eher noch fühlt Knollmann sich angestachelt durch das, was vom Himmel kommt, reißt vor jedem Song Witze – und das sandige Areal vor der Bühne ist gut gefüllt, von Menschen in Regenklamotten. In Friesland ist man auf so etwas eingestellt. Keiner flüchtet vom Gelände.
Mit „Schwert aus Holz“ veröffentlicht die 1993 in Ibbenbüren gegründete Band ihr neues Album. Es enthält Unplugged-Versionen ihrer bekanntesten Songs, mit Unterstützung von u.a. Campino, Frank Turner und Chuck Ragan. Weggefährten, die die Donots über die Jahre kennengelernt haben. Die Alternative-Rock-Band ist über die Jahre sogar immer erfolgreicher geworden, eine Entwicklung, die sie vielleicht nur mit einer einzigen anderen 1990er-Jahre Band teilen, Tocotronic. Das letzte Album, „Heut ist ein guter Tag“ von 2023, stand auf Platz eins der Deutschen Charts. „Dies wird uns diesmal wohl leider nicht passieren“, sagt Gitarrist Alex Siedenbiedel lachend. „Nina Chubas neue Platte erscheint nämlich in derselben Woche.“ Wir haben mit Knollmann und Siedenbiedel über Vorbilder, Angst auf der Bühne und politische Haltung gesprochen.
Ihr bezeichnet „Unplugged in New York“ von Nirvana als ein Album, an dem ihr euch für „Schwert aus Holz“ orientiert habt. Anders als Nirvana aber, die Klassiker wie „On a Plain“ oder „Come as you are“ darin leiser gestimmt und verlangsamt haben, drischt ihr in Liedern wie „Stop the Clocks“ so in die Saiten, als spielt ihr weiterhin auf E-Gitarren.
Alex Siedenbiedel: Haltung war wichtig bei den Aufnahmen, Haltung war so wichtig wie die Arrangements selbst. Es sollte kein Breitbein-Akustikalbum werden, auf dem wir versuchen, härter zu klingen als auf elektrisch verstärken Instrumenten. Wir wollten die Sachen runterbrechen, natürlich, aber dennoch Gas geben. Bei „Keiner kommt hier lebend raus“ haben wir durchaus sieben Gänge rausgenommen, aber die Deepness hoffentlich beibehalten. „Whatever happened to the Eighties“ ist eigentlich ein No-Brainer, ein Party-Hit, aber wirkt jetzt, finde ich, melancholischer.
Ingo Knollmann: Dem füge ich drei Ausrufezeichen hinzu. Ich stand dem Projekt „Unplugged“ zunächst sehr skeptisch gegenüber. Ich finde 95 Prozent aller Unplugged-Alben richtig scheiße. Orchester, Streicher – ganz schlimm. Alle schauen betroffen in eine Kerze – auch ganz schlimm. Für uns stand schon früh fest, dass alles live spielbar sein muss.
Siedenbiedel: Klavier der Schwiegermutter unseres Bassisten bekommen, rein in den Proberaum, Mikro dran, Ingo davor, Klavier nicht gestimmt, egal!
Knollmann: Vor unserem ersten Akustik-Gig im Mai waren wir so aufgeregt wie noch nie, im Kölner „Gloria“ war das. Eine Reset-Nummer. Es gab keine Routine, auf die wir hätten zurückgreifen können. Nun saß ich am Klavier, und die anderen saßen auf Barhockern. Ich war diese Herausforderung nicht gewohnt. Ich stand nicht mehr. Ich stand nicht mehr vorn am Bühnenrand. Ich konnte mich nicht mehr ins Publikum lehnen. Ich fühlte mich kilometerweit entfernt. Und diese Entfernung, das war echt eine Challenge. Aber es war gut. Bei unseren elektrischen Gas-Geb-Shows denke ich hinterher, das war wie zwei Stunden Sport. Bei den akustischen Shows ist es eher wie: vier Stunden Mathematik.
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Stört es euch, dass man bei akustischen Instrumenten Fehler deutlicher hört?
Knollmann: Aber das hat mich doch gerade an Punk- und Hardcore-Bands fasziniert. Perfektion ist nicht das Maß der Dinge. Wenn diese Musik Perfektion ist, dann ist sie too much. Punk muss, ob elektrisch oder akustisch, Malen nach Zahlen bleiben. Lebendigkeit zeichnet sich durch mangelnde Perfektion aus. Nach unserer ersten Akustik-Show hätte ich mir wohl – müsste ich Gesang plus Klavier beurteilen – eine Vier Minus gegeben. Aber es war ein super runder Abend, und genauso will ich das haben.
Siedenbiedel: So, wie wir vor einigen Jahren den Switch von Englisch auf Deutsch gemacht haben, sind wir auch diesen Switch von Elektrisch auf Akustisch herangegangen. Es ist wie eine Neu-Möblierung, eine Neu-Möblierung im selben Gebäude. Wir spielen die Songs anders. Ingo rennt nicht mehr rum, er pflanzt seinen Hintern nun auf einen Klavierhocker.
Werdet ihr nun auch unplugged komponieren?
Knollmann: Es tun sich nun auf jeden Fall ganz neue Möglichkeiten auf, klar. Unser Selbstverständnis von dem, was man sich trauen oder leisten kann, stellt sich neu auf.
Siedenbiedel: Wir haben den Publikumsgesang auch lauter gehört. Das macht was mit einem. Es war nicht mehr die Riesenwelle an Sound, die auf die Leute losgeschickt wurde, eine große Lautstärke brach nun auf uns ein.
Knollmann: Wir sind seit 31 Jahren zusammen. Gewisse Routinen stellen sich dann ein. Wir gehen nicht mit Stempeluhr auf die Bühne. Der Sportsgeist stimmt aber nach wie vor, der Anspruch, das beste Konzert noch vor uns zu haben, ist vorhanden. Bei den Akustik-Shows, wenn man sich aus der Komfortzone herausbewegt, hatte ich wirklich Angst. Ich dachte: Wir enthalten den Leuten gelernte Live-Momente vor. Aber alle Konzerte liefen ausgezeichnet. „So Long“ etwa. Das Lied hat eine Reprise, die spielen wir bei jeder Show, seit zwölf Jahren. Bei den Unplugged-Shows hat das nicht funktioniert. Ich ging davon aus, die Leute gehen deshalb angepisst nach Hause. Nach dem, was ich gehört habe, waren sie das aber nicht.
Gibt es auch ein Musikvideo, an das ihr gern zurückdenkt?
Knollmann: Wahrscheinlich das „Längst noch nicht vorbei“-Video. Ich wollte schon immer mal ein „Muppet Show“-Video drehen. Die Puppen, mit denen wir zusammen agieren, hat Florian Thiel für uns gebastelt. Ich war immer so sauer, weil Weezer wirklich mal in der „Muppet Show“ waren, und wir nicht (lacht). Aber was soll ich sagen, als Normalsterblicher kriegt man ja keinen Muppet. Unsere Puppen sitzen nun bei uns im Proberaum.
Siedenbiedel: Dem schließe ich mich an. Jeder von uns hatte seine eigene Puppe. Sich selbst als Puppe ins Gesicht zu sehen? Was könnte tiefgründiger sein! Neben uns waren professionelle Puppenspieler dabei. Die können das dann auch so gut, dass man sich denkt: Der Dude da neben dir, diese Puppe, die ist gerade wirklich lebendig.
Knollmann: Fragt man mich nach meinem generellen Lieblingsvideo, ich würde mich wohl für „Queen of Hearts“ von Fucked Up entscheiden, einer kanadischen Hardcore-Band. In dem Video betritt eine Lehrerin eine Klasse, deren Schüler streng separiert wurden – auf der linken Seite sitzen nur Jungs, rechts nur Mädchen. Die Lehrerin erklärt den Song und drückt dann quasi auf „Play“. Die Jungs schreien die ganze Zeit die Mädels an mit den „Shout“-Parts – und die Mädels singen den Jungs ihre Passagen zurück. Aber nicht so, dass du den Song in der Albumversion hörst, nein, die Kinder singen die ganze Zeit, nicht die Band.
Wer waren eure Vorbilder?
Siedenbiedel: Es gibt einige Bands, auf die ich meinen Kompass ausgerichtet habe, Helmet, Pearl Jam, Rage against the Machine. So habe ich selbst angefangen, Musik zu machen. Gitarre zu spielen.
Knollmann: Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich in Sachen Lieblingsbands immer Fan geblieben bin. Egal, wie lange wir schon selbst auf der Bühne stehen. Ich habe da nichts „enttarnt“ bei Vorbildern. Ich liebe Mike Patton. Wenn ich ein Idol hätte, dann ihn. Aber ich nutze das Wort „Idol“ so nicht.
Patton soll unter Problemen leiden, auf jeden Fall will er mit Faith No More nicht mehr auftreten.
Knollmann: Ja, ich weiß. Das bricht mir das Herz. Ich küsste den Boden, wo der lief. Wir haben mal mit seiner Band Fantomas zusammengespielt, in Österreich. Und ich habe tatsächlich ein Herz gefasst und bin ihm hinterher. Hab mir wirklich drei Bier lang Mut angesoffen. Man sagt ja, Mike Patton ist nicht immer ein cooler Typ. Gut, da stand er nun. Der meiner Ansicht nach beste Rock-Sänger unserer Generation stand auf der Bühne und hat seinen Kram selbst eingepackt. Schwanenhals-Mikro, das Keyboard. Ich dachte mir, okay, da muss ich also hin. Ich sagte zu Mike Patton, dass er der Grund für mich ist, jeden Morgen aufzustehen und als Sänger noch besser zu werden. Er sagte: „Thanks, Buddy, I’m just goofin‘ around“. Hat mich angelächelt und ist gegangen. Und ja, so einfach kann das sein. Jeder kocht ja nur mit seiner eigenen Brühe.
Ihr existiert seit 1993, und mit „Heut ist ein guter Tag“ habt ihr vor zwei Jahren – und nach elf Platten – euer erstes Nummer-eins-Album veröffentlicht. Diese Art von spätem Triumph dürfte noch keiner anderen deutschen Rock-Band gelungen sein – und doch wirkt es so, als ist dieser Nochmal-Aufstieg nicht allen klar. Habt ihr vor „Schwert aus Holz“ Druck verspürt?
Knollmann: Ich denke nicht, dass die Platte auf die Eins kommt.
Warum nicht? Sie enthält eure Hits.
Siedenbiedel: Zum Beispiel deshalb nicht, weil Nina Chubas neue Platte in derselben Woche erscheint (lacht). Hier gibt es auch keine Schnittmengen bei den Käufern, denke ich.
Knollmann: Wir bringen das Album mit „Neu-Versionen alter Hits“ aber auch nicht heraus, weil wir unbedingt wieder eine Nummer-eins-Platte haben wollten. Wir haben ja unser eigenes Label, sind quasi Musiker, Business und Marketing in einem, hätten also „Schwert aus Holz“ auch auf einen anderen Veröffentlichungstermin legen können. Aber das hat uns nicht interessiert. Dazu sind wir nicht eitel genug.
Die Konzerte laufen ja ganz gut, oder?
Siedenbiedel: Die Konzerte sind in den vergangenen fünf, sechs Jahren immer größer geworden, das ist schon krass.
Knollmann: Auch deshalb, weil diese Publikumsentwicklung konterkariert, was viele andere Bands seit Corona erleben mussten, nämlich eine Verkleinerung ihrer Zuschauerzahlen. Die Ursachen wollen wir lieber nicht verstehen – nicht dran rumfummeln an der Maschine! Nach Corona hatten wir „Rock am Ring“ eröffnet, also quasi die Rückkehr der Open-Air-Saison miteingeläutet, 2022 war das. 90.000 Leute … wie ein magischer Teppich. Tränen in den Augen. Die Toten Hosen kamen zu uns auf die Bühne. Dieser Auftritt hat bei uns allen eine Kerbe hinterlassen.
Siedenbiedel: Für mich sind alle „ersten Male“ toll. Wie heute Abend: Das erste Mal „Watt En Schlick“. Bei Spotify sehe ich übrigens die Demografie unserer Hörer. Die meisten sind zwischen 20 und Ende 40, überwiegend zwischen 25 und 35. Und das konstant seit Jahren. Und wir sind längst älter als 35. Also das ist schon beeindruckend – uns entdecken neue Leute.
Knollmann: Ein Blick ins Publikum zeigt mir, dass es „totenhosisiert“. Soll heißen: aus allen Altersschichten stoßen neue Leute hinzu. Der Kern bleibt gleich, aber die Kernleute bringen ihre Kids mit. Ich bin froh, dass das nicht so Jethro-Tull-mäßig wird.
Ihr habt euch, wie Die Toten Hosen, immer klar gegen Rechts positioniert, Konzerte gegen Rechts gegeben. Die AfD wird immer stärker. Habt ihr Erfahrungen mit rechten Fans machen müssen?
Siedenbiedel: Auf der einen Seite denken wir, dass unsere Konzerte eine sichere Bubble sind. Der Kern der Leute hat unseren Spirit verinnerlicht. Auf der anderen Seite ist es wahnsinnig komplex geworden, warum wer welche Meinung vertritt. Jeder kann leider so jemanden in der Familie haben, von dem man weiß, dass er eine extreme Haltung vertritt – und trotzdem kein Nazi sein muss. Man kennt das aus normalen Gesprächen mit normalen Leuten. Plötzlich hauen diese „normalen“ Leute Sätze raus, wo Du denkst: „Boah, wo kommt das denn jetzt her?“ Wir selbst haben da, toi toi toi, in unserem Umfeld nichts mit zu tun gehabt. Wenn man heute klar Position bezieht, gibt es den einen oder anderen Shitstorm. Das kann man nicht ernst nehmen, ist halt so.
Knollmann: Ich bin weiterhin der festen Überzeugung: Man redet nicht mit Nazis. Das bringt nichts. Im schlimmsten Fall reißt dich das nur auf. Im Normalfall kommen zu unseren Konzerten auch keine Blockheads. Gleichwohl hat aber auch Olli Schulz Recht, wenn er sagt, ab einer bestimmten Zuschauermenge sind darunter eben auch Leute, die nicht komplett auf deiner Spur sind. Wenn die Leute auf unseren Konzerten „¡Alerta, alerta, antifascista!“ rufen, ist das gut. Am besten wäre, sie tragen das auch dorthin, wo die Nazis aufmarschieren. Also, wer hört, dass in der Nachbarschaft die braune Sippe rumdemonstriert, dann: Arsch hoch und hin da. Sonst ist das nur digitale Lichterkette.