Egal, ob beim Clubgig oder in großen Hallen: Bob Dylan und seine Band spielen und spielen, um die alten Songs lebendig zu halten

HAMBURG, DOCKS. Bob Dylan wird neuerdings nicht mehr länger bescheiden als „Columbia Recording Artist“ angekündigt, stattdessen leiert es gebetsmühlenartig: „Please welcome the poet laureate of rock“, „spokesman for the 60s counter culture“, „the man who sought god in the 70s“ usw… Als wollte der Mann, der weiß, dass die Vergangenheit vorbei, aber „dose behind“ ist, das alles vor jedem Konzert hinter sich lassen. Eingeweihte wissen eh, dass hier nicht die Legende vom heiligen Bob neu errichtet wird, feiern die Abweichung, messen jeden Gig am vorherigen.

Dylan und seiner Band geht es darum, die Songs am Leben und somit im Werden zu halten. Sie spielen eher für sich als fürs Publikum, tauschen Blicke aus, treffen sich nach jedem Song in der Bühnenmitte, um das weitere Vorgehen zu betuscheln. Die schon zum Gemeingut gewordene Vorstellung, Dylan deute seine Songs jedes Mal um, scheint den Kern der Sache nicht ganz zu treffen: Die Songs unterliegen einem ganz natürlichen Alterungsprozess. Während es in der Popmusik sonst üblich ist, Lieder möglichst nah an der bekannten Version aufzuführen, spielen Dylan und seine Band sie im Gewand Alter-Männer-Musik: „It’s Alright, Ma“ – immerhin schon fast 40 Jahre alt – wird zum furiosen Blues-Stomp, „Like A Rolling Stone“ zum lässigen Evergreen.

Das Alter schreibt aber vor allem der Körper ihres Schöpfers in die Songs ein. Die Stimme hat sich mit der Zeit mehr verändert als bei jedem anderen Musiker, variiert vom Raspeln zum üblem Husten, zum lieblichen Croonen. Die Herzbeutelinfektion vor einigen Jahren zwang Dylan lange Zeit dazu, auf seine Mundharmonika-Soli zu verzichten, nun sorgen andere Gebrechen dafür, dass Dylan die Gitarre gegen das E-Piano eintauschen musste. Die nun freie Brust lässt ihn so gut singen, wie schon lange nicht mehr.

Dylan-Konzerte folgen einer ganz eigenen Ökonomie. Niemand sonst bekommt so viel Applaus, allein für das Umhängen einer Gitarre, das Aussuchen einer Mundharmonika, eine verständliche Textzeile. Die jeweils knapp 1500 Besucher an den beiden Abenden im kleinen Hamburger „Docks“ hatten jedenfalls den Dylanschen Körper ganz nah vor sich, sahen direkt in sein Gesicht, sahen Erstaunen, Missmut, Schweiß, Schmerz und Stolz. Und hörten – vor allem im dramatisierten Vortrag von „Boots Of Spanish Leather“ und der gefahrlichen Version von „It’s Alright, Ma“ -, wie rüstig die alten Songs noch immer sind.

Ab Dylan sich am ersten Abend während „Most Likely You Go Your Way (And I’ll Go Mine)“ (einem der wenigen Songs mit Gitarre vor der Brust) nach einem Solo blitzartig zum Schlagzeuger umdrehte, als wollte er fragen: „Na, wie hab ich das gemacht?“ und uns kurz den Rücken und seinen wuscheligen Hinterkopf zudrehte, sahen wir tatsächlich die Vergangenheit in seinem Nacken, sahen wir 1966, sahen wir die Legende.

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