Ein britischer Hindu

26 Jahre nach ihrem Auseinanderbrechen führt Robin Williamson die Incredible String Band zusammen

Londons Bloomsbury Theatre gehört zur Universität. Der ideale Ort für eine idealistische Reunion: The Incredible String Band, einst Pioniere psychedelischer Folk-Telepathie, in Originalbesetzung, zweieinhalb Dekaden nach dem Auseinanderdriften des letzten Line-Ups. Im Publikum natürlich primär ältere Semester. Und ein paar von ihren Eltern mitgeschleppte Teenager, denen das Treiben auf der Bühne recht wunderlich vorkommen muss. Schon deshalb, weil es keine Show gibt, die Künstler sich augenfällig selbst genug sind und überdies nur ganz langsam in die Gänge kommen.

Das war schon in den Sixties so. Die magischen Momente pflegten sich erst einzustellen, nachdem man ganz unzeremoniell nebeneinander her gespielt hatte, wobei, wenn mein Gedächtnis mir keinen Streich spielt, das Stimmen der Instrumente stets länger dauerte als der Vortrag. Gestört hat sich früher niemand daran. Hippies unter sich, Zeit und Zaster bedeutungslos, Zugaben obsolet.

Ein bisschen ist es auch heute so. Man ist gekommen, sich zu feiern. Den Umstand, dass man überlebt hat, seelisch intakt geblieben ist. Trotz des einen oder anderen Zipperleins. Clive Palmer, der sein Banjo noch immer spartanisch spielt und um so ergreifender singt, plagen Rückenschmerzen. Die habe er sich zugezogen, als er beim Cropredy Festival den jungen Mann gemimt und wider besseres Wissen im Auto genächtigt habe. Mike Heron, zurückhaltend, fast scheu, fokussiert auf seine Tasten und emphatischen Gesang. Robin Williamson, robust und jovial, hält alles zusammen und liefert den Löwenanteil der musikalischen, bemerkenswert eklektischen Darbietungen. Seine Frau Bina singt herbe Harmonien und schlägt das Tambourine, Pianist Lawson Dancio füllt Klanglücken und sorgt für ein rudimentäres rhythmisches Gerüst Ein gutes Dutzend Instrumente kommen zum Einsatz, doch sind es vor allem Williamsons Whistles, seine Fiddle und Gitarren, die als Notanker fungieren, wenn die akustische Barkasse ins Schlingern gerät. Und dieser bärige schottische Stentor-Bariton, der durch Mark und Bein geht. „Ja, ich weiß“, grinst er anderntags bei Tee und Gebäck, „ich hatte schon als Kind eine tragende Stimme.“ Robin Williamson kann nicht verhehlen, dass die Strapazen der letzten Monate auch ihm einiges abgefordert haben. Wohnhaft in Wales und an der amerikanischen Westküste, pendelte er bei Bedarf mit Familie, aber ohne Stress. Bis diese Reunion-Idee Besitz von ihm ergriff und etliche andere Aktivitäten nach sich zog. Der alte Dokumentarfilm über die Incredible String Band, „Be Glad For The Song Has No Ending“, wurde auf Video veröffentlicht, im Oktober schiebt Island eine zwei Alben umfassende Retrospektive nach. Was nach konzertierter Aktion riecht, räumt Williamson ein, aber eher eine Verkettung von Zufällen sei. Hinzu kommen die mannigfachen Solo-Aktivitäten des in Edinburgh gebürtigen, mit Vorliebe vagabundierenden Musikers. „The Bardic Tradition“ heißen Workshops, in denen Williamson keltischen Symbolismus lehrt, „Carmina“ seine Theaterproduktion, die er mit Geoff Moore Ende Oktober in der Llandaff Cathedral von Cardiff zur Uraufführung bringen wird. Und, last not least, sein ambitioniertes, eben von ECM veröffentlichtes Solo-Album „The Seed-At-Zero“. Ein Werk, das die gedrechselte Sprache walisischer Dichter, insbesondere Poeme von Dylan Thomas, via intuitiver und improvisierter Musik neu erfahrbar macht Da erhebt sich die Frage nach dem Berufsbild. „Ich sehe mich als modernen Druiden.“ Come again? Williamson lacht schallend. „Wie wär’s mit: Folk-vernarrter, wahrheitssuchender, naturverbundener, britischer Hindu?“ That’ll do nicely.

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