Robin Williamson & Mike Heron, die Köpfe der Incredible String Band, retten ihre mysthischen Klänge in die Gegenwart

ES GIBT GENÜGEND LEUTE, DIE SAGEN, DIE Incredible String Band hätte genauso groß werden können wie die Beatles. Eine Boulevardzeitung meldete 1968, die Incredibies würden bald die Welt regieren. Und die Stones hätten alles darum gegeben, sie auf ihrem Label zu haben. Robin Williamson und Mike Heron aber zogen es vor, am falschen Ort zur falschen Zeit baden zu gehen (das war in Woodstock, doch dazu später). Sie sollten ein Kultereignis werden: Zwei märchenhafte Sänger und Multiinstrumentalisten, die sich durch Kindergeschichten, keltische Sagen und Öko-Poeme träumten, während andere mit der elektrischen Gitarre abräumten. Sie waren ein Fall für die Abteilung „Haß oder Liebe“. Verklemmte Kleingeister vernahmen in ihren Songs eine fingerschnippende Flickschusterei, wer sich aber auf den String Band-Trip einließ, kehrte von kosmischem Optimismus erleuchtet und mit ein paar der verwunschensten Songs der Dekade in die Kommodität des alltäglichen Pop-Betriebs zurück. Gut 30 Jahre nach der Geburt der String Band in Edingburgh, mehr als 20Jahre nach ihrem Ende Mitte der Siebziger, treten Williamson und Heron wieder auf den Plan. Mit zwei Solo-CDs, die mehr Geschichte aufrollen, als der durchschnittliche verbeamtete Hippie 1996 noch zu erinnern vermag. Nicht nur, daß die Incredibies ebe unverändert große Fan-Gemeinde besitzen, ihre Musik gewinnt selbst im Zeitalter blühender Esoterik und einer Spiritualität suchenden Jugend auf dem soften Ambient- und Sitar-Trip noch an Aktualität. Die Giganten der Post-Techno-Ära? Willkommen im Wunderland der Hippie-Wellness. Wenn Williamson (52) auf seiner CD „The Island Of The Strong Door“ den Gesang der Harfe lobpreist, dann öffnen sich die Pforten zum kryptischen String Band-Klang-Universum der Sechziger. „Die 90er Jahre haben sehr viel von den Sixties“, sagt Williamson, heute das Idealbild eines Bilderbuch-Barden, „es gibt ein starkes Bedürfnis, wieder im Einklang mit der Natur zu leben, das ich bei vielen ganz jungen Fans bei meinen Konzerten registriere.“ Sein Ex-Partner Mike Heron (54) widmet den warmen Vibes der Sixties auf seiner CD “ Where The Mystks Swim “ den Song „1968“: Hört das I-Ching sprechen, seht die Sonne mitten in der Nacht scheinen. „Das war das letzte Stück, das Robin und ich zusammen spielten. Es war für eine John-Peel-Show. Mit der String Band haben wir es nie aufgenommen. Es ist über uns beide, die Ideale, die wir teilten.“ Ein Sprung zurück ins Jahr 1967. Das Jahr der Blumen im Haar. Und in den Gewehrläufen. Im Sommer der Liebe zerplatzten Gehirne wie Seifenblasen. In den Ganglien gerannen die psychedelischen Substanzen der Bessere-Welt-Trips zu tangerinen Fruchtfleischfetzen. Auf den Plattentellern drehten sich die Beatles mit, All You Need Is Love“. Und die Blumenkinder, sie schüttelten ihr Haar und tanzten sich ins Infrarot-Nirwana. Allen Ginsberg erzählte im Londoner Hyde Park einer Armada von Langhaarigen die Bewußtseinserweiterungs-Saga featuring Love & Drugs. Später ging das mit dem „Sommer der Liebe“ nur noch als Märchen durch: US-Marine-Infanteristen rückten in die entmilitarisierte Zone zwischen Nord- und Südvietnam ein. In Deutschland fiel ein Pistolenschuß, der die Welt veränderte. Er traf den Philologie-Studenten Benno Ohnesorg bei der Schah-Demonstration in Berlin. Während die Acid-Heads in ihre „Dream Machines“ stiegen, um ein besonders geiles Gefühl für die Natur zu kriegen, hockten die beiden Lautenschläger Robin und Mike im Gras und schickten ihre Botschaft der Liebe in alle Winde. Nicht, daß sie keine Drogen genommen hätten, aber mit den Blumen waren sie schon seit langem auf „du“. In einem Wald bei Glasgow hatten Robin und Mike mit ihren Freundinnen Licorice und Rose Quartier aufgeschlagen – im Haus einer amerikanischen Lady namens Mary. Robin schrieb dort die Songs für die dritte LP der Incredible String Band. Als „The Hangman ’s BeautifulDaughter“ im März ’68 erschien, blieben für einen kurzen Moment alle Uhren der PopWelt stehen. Im Psychedelic-Beat-Overkill der späten Sixties öffneten die Stücke von Williamson und Heron Ohren für jahrhundertealte Bänkelsänger-Traditionen, den Klang von Instrumenten, die die Pop-Öffentlichkeit bis dato noch nicht gehört hatte, für Geister, Minotauren und ganz, ganz grüne Reime. „The Hangman’s Beautiful Daughter“ steht noch heute als ein Ausnahmewerk der Pop-Geschichte da, nicht in vordergründigen Effekten psychedelisch, vielmehr in der Dehnung und Biegung von Stimmen und Saitenklängen bis in kleine Ewigkeiten,die den Hörer in andere Dimensionen schicken konnten. „Musik ist eine ewige Kraft“, hat Williamson mal gesagt, „eine Kraft, die vom Anfang aller Zeit kommt und zum Ende aller Zeit geht. Wir Musiker haben die Erlaubnis, sie zu spielen.“ Auch das „Hangman „-Cover erlangte Berühmtheit: Es zeigt die Incredibles samt Anhang vor Marys Haus im Gehölz. Das Sittenbild einer Landkommune in Sackleinen und selbstgefertigten Gewändern, ein veritables Idyll in 4c, das spirituelle Harmonie verhieß. Doch das Bild verriet nur die halbe Wahrheit, denn Robin, Mike, Licorice und Rose bildeten ein Beziehungspaket, das jeden Moment an seinen Verschnürungen ersticken konnte. Joe Boyd, der die Incredibles für Elektra Records entdeckte, verriet in einem Interview: „Mike akzeptierte einen Song von Robin erst, wenn er sich darin irgendwie einbringen konnte und vice versa. Auf Jiangman‘ brachte Robin Licorice mit ins Spiel, sie sang und bearbeitete Blechdosen. Als Mike das hörte, kaufte er sofort einen Baß, ging zu Rose und sagte: ,Hier, Du lernst das jetzt.“‚ Der Mini-Plot für eine Psycho-Satire im goldenen Hippie-Zeitalter. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Incredibles ihren Platz im Pop-Business bereits genau markiert. Robin und Mike boten das überaus charmante Alternativprogramm zum muskelstrotzenden Rock’n’Roll der Stones und der Who: postadoleszente Kinderspiele, bei denen von Song zu Song andere Saiten aufzogen wurden und die sich aus dem perfekten Dualismus der beiden Protagonisten speisten. Auf der einen Seite der Allegoriker und Folk-Weirdo Williamson, auf der anderen der jungenhafte, mehr nach außen gewandte Pop-Genius Heron, der gelegentlich auch mal eine Jux-Nummer verfaßte. Live brodelte die String Band-Chemie dank reichlicher Publikumsbeteiligung. Heron: „Wir wollten den Leuten nichts vorspielen, nicht dieses Macho-Ding inszenieren. Es ging darum, eine gute Party zu haben – vergleichbar den Grateful Dead. Ich erinnere mich an Konzerte, wo Robin präparierte Kinderflöten ans Publikum verteilte. Dann standen 40 Leute auf der Bühne, pfeifend. Das klang wie ein gigantisches Keyboard und nicht gerade wie die Stones.“ Viel mehr als eine Live-Band waren die Incredibles jedoch eine Wald- und Wiesen-Band. Ihre Songs gerieten zu schier endlosen, zirpenden Liebeserklärungen an die Natur. Wenn ein Vogel auf seinem Zweig ihnen die Wärme des Sommers besang, so die Legende, machten sie Halt und verewigten den Piepmatz aufBand. Daß in ihren Songs mehr als 100 Instrumente aus aller Welt zum Einsatz kamen, wie die Forschungen ihres „Be Glad“-Fanclubs ergaben, ist Geschichte: vom Gimbri, einer dreisaitigen Laute bis zu Wasserharfe, Zither, chinesischem Banjo, Röten, Pfeifen usw. Die Incredibles waren die ersten Ökosmopoliten der Pop. Die String Band-Vorgeschichte beginnt 1963 in den Slums von Edingburgh, verlagert sich bald nach Glasgow, wo Williamson, Clive Palmer (Mitglied auf der ersten LP) und Heron gemeinsam auftraten. „Wir spielten dort in einem illegalen Drinking Club, auf der vierten Etage eines verrotteten Warenhauses – jeden Samstag bis morgens um sechs“, erzählt Williamson. Am Abend, als Joe Boyd das Trio live erleben wollte, wurde der Laden von der Polizei dicht gemacht. Boyd, der dem britischen Folk-Boom später als Produzent von Fairport Convention und Nick Drake auf die Sprünge helfen sollte, nahm die Incredibles kurz darauf für Elektra unter Vertrag. Nach ihrem vitalen Folk-Debüt folgt 1967 „The 5000 Spirits Or The Layers Of The Onion“ mit dem hippen psychedelischen Cover des Amsterdamer Designer-Quartetts The FooL Ein Schritt vom karstigen Boden des Folk in die Unwägbarkeiten des Universums, mit dem sie so gerne eins gewesen wären. Williamson leistete sich einen exzentrisch geleierten Dekaden-Kommentar in „Way Back In The 1960’s“: „Das war ein Witz. Du muß wissen, ich befand mich im Jahr 2020 und blickte zurück auf die alten Sechziger.“ Was er da entdeckte, war „eine wunderbare kindliche Unschuld, zum Beispiel im Umgang mit dem Moog-Synthesizer, mit Geräuschen von Blechbüchsen und so. Meine Idee war von da an, Klänge aus der ganzen Welt in unseren Songs zu vereinen. Ich brachte Instrumente von meinen Reisen aus Afrika oder Indien mit. Wir öffneten die Tür für Weltmusik.“ Obwohl ihre zartbesaiteten Ethno-Trips schon früh Nachahmer fanden, blieb das, was Heron und Williamson mit ihren Stimmen anstellten, einzigartig, ohne jede Chance einer Kopie. Besonders Williamson zauberte aus seinem Kehlkopf Laute von seltenem Liebreiz – mit einer Stimme, die zwischen Engels-Summen, Blues-Heulern und dem Gesang eines elisabethanischen Lautenspielers mühelos oszillierte und bei Bedarf in irgendein spirituelles Elysium entrückte. Williamson selbst sagt, er habe die Technik von dem irischen Sänger Joe Heanley erlernt Auf der 68er Doppel-LP“#£e Tam/The Big Huge“, die die Band neben ,£000 Spirits“ und „Hangman“ sicherlich auf dem Höhepunkt ihres Schaffens präsentierte, gelangen gerade Williamson einige ganz unglaubliche vokale Beiträge in Songs voller Brüche und Taktwechsel: Auf den Spuren biblischer Erzählungen fand er in Stücken wie „Duck’s Pond“ zur mystischen Zaubersprache eines modernen William Blake. „Changing Horses“, die finale String Band-LP der Sechziger, brachte den Wahnsinn zum Überkochen: Frömmelnde Kirchengesänge trafen auf Jahrmarktsmusik und auf ein Epos namens „Creation“ in Tolkien-Tradition. Die Platte klang, als hätte Tiny Tim gekifft. Und sie gab Anlaß zu allerlei Spekulationen: War der Titel eine Anspiehing darauf, daß Robin und Mike zur Scientology-Sekte konvertiert waren? Heron: „Ich bin seit acht Jahren kein Scientologe mehr. Es waren trotzdem Erfahrungen, die ich immer wieder würde machen wollen. Williamson: „No comment“ Seit Jiangman “ die Top 5 der britischen Charts gestürmt hatte, waren die Incredibles ein household name auf der Insel. Sie hätten Mega-Stars werden können. Woodstock 1969 sollte das gründlich verhindern. Als Robin, Mike, Licorice und Rose per Militärhubschrauber aus New York auf dem Rock-Schlachtfeld eintrafen, beschworen Zigtausende die guten Götter mit ihren „No Rain“-Gesängen. Die String Band verschob ihren Auftritt wegen Regens auf den nächsten Tag. Melanie sprang ein, triumphierte im Regen und rutschte in den Woodstock-Film. „Wir spielten dann nach Canned Heat“, resümmiert Mike Heron schmunzelnd: ,»Die Leute kochten Bohnen im Freien und waren scharf auf Rock. Wer wollte in diesem Moment schon ein feines britischen Folk-Quartett hören?“ Und es kam ganz schlimm: Die Gitarren waren verstimmt und die Perkussions-Instrumente naß. Williamson: „Ein kaputter Auftritt. Aber es reizte mich, mit dem Feuer zu spielen.“ Vielleicht war Woodstock ja auch das Notsignal zur rechten Zeit Diese fragilen Seelchen waren nicht für den Stadion-Rock geschaffen. Das Publikum der Siebziger wollte Rock – Glam Rock, Art Rock, Progressive Rock, Jazz Rock -, und es bekam Rock. Schlechte Zeiten für die String Band. Mike Heron seilte sich mit der rockorientierten, aber konfusen Solo-LP „SmilingMett With Bad Reputations“ (auf der u. a.John Cale, Elton John, Richard Thompson und 3/4 der Who mitwirken) von der akustischen Band-Nummer ab. Hinzu kamen die Zwistigkeiten zwischen Rose und Licorice und ein Robin Williamson, der sich ganz in keltisches Liedgut versunken – an den Rand gedrängt fühlte. Und da man sich lieber auf Multimedia- und Pantomime-Projekte stürzte, verlor die String Band so allmählich ihren eigenen StiL Über ein halbes Dutzend weiterer LPs (seit 1971 mit Tänzer, Sänger und Songwriter Malcolm LeMaistre) markieren den langsamen Abstieg der Incredibles. Die beiden besten String Band-Platten dieser Jahre machte Williamson solo: ,JWyrrh „(1972) und American Stonehenge “ mit der Merry Band (1978). Williamson ist seitdem mit Harfen-Musik-CDs und mehreren Büchern über keltische Mythologie gut im Geschäft. Mike Heron schrieb Songs für Manfred Mann und ging mit eigener Band auf Tour. Auf seine Initiative wurde der komplette Incredible String Band-Katalog vor vier Jahren auf CD veröffentlicht Pet Shop Boy Neil Tennant, seit früher Jugend String Band-Fan, huldigte seinen Heroen im britischen „Q“-Magazin: „Ihre Songs, bis zu 15 Minuten lang, kreisten über endlose Variationen mit enigmatischen Texten. Wir wußten nur selten, was sie meinten. Aber das machte rein gar nichts.“ Frank Sawatzki

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates