Ein Gespräch über „Lemming“, Rezensionen und den Reviewbot: Locas in Love im Interview

Ab dem 1. Juli gibt es nun das neue Album "Lemming" der Indie-Band Locas in Love im Handel. Angesichts dieser Tatsache lag die Idee natürlich nah, sich per Mail mit der Kölner Band auszutauschen. Im Interview erzählten sie über die Höhen und Tiefen des Enstehungsprozesses, die Folgen von Karpatenhund und die englischen Songtitel des Albums.

Was für eine Odyssee haben die Dame und die Herren von Locas in Love hinter sich! Bereits vor gut eineinhalb Jahren dokumentierte die Kölner Band die Entstehung des Albums in den Studios in Glasgow, und nun, am 1. Juli, wurde die Platte endlich veröffentlicht. Wenn das nicht mal ein guter Grund für ein Interview ist.

Unser Experiment mit dem Studiotagebuch fand Anfang 2010 statt. Warum hat es so lange gedauert bis zum Release von „Lemming“? Ich hatte ja bisweilen die Hoffnung schon verloren.

Wie im Tourtagebuch erzählt, war die Reise nach Glasgow von Anfang an als große Abenteuerreise mit Musik angelegt gewesen, für die wir das gesamte Ersparte aus über drei Jahren aufgebraucht haben um ein Album zu machen. Den Aspekt des Abenteuers hatten wir im Voraus gewiß nicht ganz so eingeschätzt, wie er sich dann ausnahm, das stimmt.

Als wir mit der fast fertigen Platte im Gepäck wieder nach Köln zurückkamen wurde uns unser Proberaum gekündigt, in dem wir die letzten Feinheiten und Kleinigkeiten  aufnehmen wollten. Einen neuen zu finden war nahezu unmöglich, deshalb mieteten wir einen Raum, um ein Studio hineinzubauen und in Zukunft autarker arbeiten zu können. Natürlich war das komplizierter und zeitraubender als es klingt, wenn man es so hinschreibt wie hier; als wir dann einen Raum gefunden hatten mussten wir uns in Akustik, Sicherheitsbestimmungen, Verkabelungen einarbeiten, Geld auftreiben usw. So dauerte es länger als ursprünglich gedacht, bis wir „Lemming“ fertigstellen konnten. Wir haben an sich verhältnismäßig kurz an der Platte gearbeitet, nur eben über einen großen Zeitraum verteilt.

Ich habe mich beim Wieder-Lesen köstlich amüsiert, dachte aber auch so manches Mal, dass ihr schon ein wenig vom Pech verfolgt wurdet und der ganze Ritt schon an eure Substanz und an die Finanzen ging. Gab es Tiefpunkte, wo ihr die Fahrt und die Aufnahmen in Frage gestellt habt?

Der Wunsch etwas Spannendes zu erleben birgt automatisch auch die Möglichkeit, dass Dinge passieren, die nicht geplant und vorhersehbar sind, schreckliche und großartige. Es scheint vielleicht so als ob wir besonders vom Pech verfolgt waren, weil wir detailgenau darüber schrieben, aber zum Abenteuer Band, zur Kunst, zur Freundschaft gehört auch immer das Scheitern, das Dilemma, die Katastrophe – und was man dann damit anfängt. Wir zB machen Platten daraus, oder dieses Tourtagebuch. 

Ihr habt mit Paul Savage aufgenommen – wie groß ist sein Anteil an „Lemming„?

Paul Savage ist kein Produzent, der einer Band seinen Trademark-Sound aufzwängt, sondern er hört genau zu, versucht die Vision der Band zu verstehen und hilft ihr dann, diese Vision umzusetzen. Manchmal bedeutet das, einfach nur die Mikrofone so aufzustellen, dass alles klingt wie es soll, manchmal beobachtet er, dass die Band sich in eine Sackgasse begeben hat und hilft ihr wieder heraus. Paul hat eine angenehme ruhige Art, eine freundliche Präsenz, eine hohe Konzentration und viel Einfühlungsvermögen. Da schnell klar war, dass er genau versteht worauf wir hinauswollen hatten wir großes Vertrauen zu ihm, in seinen Geschmack und sein Urteil.  Schon als wir im Studio aufbauten und die ersten Probeaufnahmen gemacht wurden klang alles so, wie wir es uns für diese Platte vorgestellt hatten – ohne dass man vorher lange darüber reden musste. Auch bei den Veränderungen in Arrangements, die im Tagebuch beschrieben sind, war es immer sehr zielführend mit ihm zusammen Ideen zu entwickeln, zu verwerfen oder zu verfeinern.

Ob wir ohne Paul eine ganz andere Platte gemacht hätten -vermutlich nicht, aber es hätte mehr Zeit und Nerven gekostet. Außerdem hat es einfach auch viel Spaß gebracht zusammen rumzuhängen und gemeinsam an etwas zu arbeiten und das wiederum ist bestimmt wichtig für eine Platte. Also, dass es nicht nervt, an ihr zu arbeiten.

War es schwer, den Fanboy hinter sich zu lassen? Oder hattet ihr von Anfang an eher eine professionelle Einstellung und dachtet schlicht: „Guter Mann! Und wer oder was sind eigentlich diese Delgados?“

Wie bei nahezu allen Musikern, die wir in den letzten Jahren kennengelernt haben und deren Fans wir häufig waren und sind: Man begegnet sich nicht hierarchisch angeordnet als Fan vs. Star, sondern als Menschen, die eine ähnliche Mission, Leidenschaft und ähnliche Erlebnisse haben, die sie verbinden – ganz unabhängig vom jeweiligen Erfolg oder Wirken.

Auto Destruct by Locas In Love

Bei Songs wie „Auto Destruct“, „Es ist alles wirklich so schlimm wie es scheint“ und „Ist das Blut?“ muss ich einfach mal fragen: geht’s euch gut?

Es geht.

Mein Kollege hat euer Album in seiner Rezension eher mit deutschsprachigen Referenzen angepackt. Kann man machen, aber für mich wart ihr immer eher eine deutsche Ausgabe von Sebadoh, unter durch den Savage-Referenz Twee-Pop in meiner Sprache, oder dergleichen. Wo würdet ihr euch da verorten?

Reviews sagen häufig sehr viel mehr über die Person, die sie schreibt als über die Musik die dort besprochen wird, mehr über den Horizont, Geschmack, Hörerfahrung und letztlich auch das Schreibtalent einer Autorin oder eines Autoren. Also… nur weil irgendwo ein Vergleich steht, lohnt es sich noch nicht zwingend, ihn ernstzunehmen oder zu verfolgen, eben weil Musik ja so etwas enorm Subjektives ist. Wenn nun einer sagt: das klingt ja wie dies und das, dann ist es auch albern zu sagen: nein, du täuschst dich und in Wahrheit ist es so und so. Wenn jemand noch nicht viel verschiedene Musik gehört hat, muss er eben automatisch versuchen, das was er hört mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu beschreiben.

Dieses Ringen um den passenden Vergleich, das bei uns immer passiert und wo wirklich alles Mögliche und Unmögliche schon genannt wurde, zeigt doch eigentlich auch, dass man uns mit Vergleichen allein nie ganz zu fassen bekommt, weil es eben doch etwas sehr Eigenes ist.

Und ganz abgesehen von unserer genuinen Vision: die jungen Beatles wollten am liebsten wie Chuck Berry klingen, aber klangen nach den Beatles. Ich fände es schön, so klingen zu können wie Velvet Underground oder The Fall – aber das können wir nicht, selbst wenn wir es versuchen würden, wir würden doch immer wie wir selber klingen, weil wir letztlich auch limitiert sind durch unsere Eigenheiten und Fähigkeiten. Insofern kommt man nie sehr weit, wenn man anfängt sich zu verorten oder sich über andere zu definieren.

„Lemming“ ist das erste Album nach eurem Schaffen bei Karpatenhund. Das Debüt wurde ja durchaus mit großem Aufschlag unters Volk gebracht und auch der Ansatz „Indieband will jetzt mal Geld verdienen und zeigen, dass man auch guten Mainstream machen kann und dabei nicht wie Silbermond klingen muss“ wurde viel diskutiert. Da gab es ja sogar diese Spiegelreportage. Wie bewertet ihr inzwischen diesen Ausflug? Und gibt es Karpatenhund noch?

Unser Ausflug in die Eingeweide dieses Monsters Musikindustrie, den wir mit Karpatenhund unternahmen, hat unsere Beziehung zu Musikbusiness und den Wunsch nach oder die Definition von Erfolg verändert, erschüttert, aber auch erweitert und bereichert. Herrliche Triumphe, herrliche Niederlagen, eine Reise so irr und abenteuerlich, dass wir es kaum in knappen Sätzen sagen können. Und zwei Platten, die wir selber nach wie vor wirklich mögen. Allerdings haben wir das Gefühl, dass das zweite Album von Karpatenhund alles beinhaltet, was wir mit dem Projekt musikalisch erreichen können, so dass wir im Moment nicht wüssten, was dem noch hinzuzufügen wäre. Ob, wann und wie es weitergeht werden wir sehen, das hängt davon ab ob uns eine Idee kommt, die wir aufregend finden.

Ihr habt kürzlich einen Reviewbot ins Netz gestellt. Kannst du erklären, wie der funktioniert? Und was war die Intention: Fühlt ihr euch oft in der Kritik falsch dargestellt?

Die Idee entstand auf Tour, noch vor dem Erscheinen von Saurus, als wir in Klubs zwischen Soundcheck und Konzert häufig in den ausliegenden Magazinen lasen. Wie schon an anderer Stelle gesagt ist Musikhören etwas völlig Subjektives, wodurch interessantes Schreiben über Musik nur möglich ist, wenn die Autoren über brennende Leidenschaft und/oder großes Wissen verfügen und Zeit, Raum, Talent und redaktionelle Freiheit haben, dies alles auch zu entfalten. Scheinbar ist das unter den Umständen, unter denen Musikjournalismus leider immer stärker betrieben werden muss, nicht immer möglich. Das Ergebnis ist nicht selten eine formelhafte Phrasen-Anordnerei, wie sie jeder kennt, der manchmal in Heften oder auf Websites liest und die zu Reviews führt, die nach dem immergleichen Schema gestrickt und völlig austauschbar sind – ganz gleich ob nun Billy Talent, Locas In Love, Bohren & der Club of Gore oder Ostrocklegende Silly besprochen werden. Und da setzt der Roboter an: man kann baukastenmäßig aus einer Liste von Phrasen auswählen um seine eigene Rezension zu generieren. Das Erstaunliche ist, daß die Ergebnisse dem, was man manchmal gedruckt liest, oft gruselig nahekommen. Es ist aber keine Rache an einer Kritik, von der wir uns falsch dargestellt fühlten. So eine kleinlich-stichelige boshafte Energie könnten wir nicht aufbringen. Es ist ein Spiel mit Formen, mit Medien und ihren Funktionsweisen, so wie auch zB unser ‚Teleshop‘ eines war. Und in der Tat gibt es nach wie vor tolle Autoren, die eben nicht nur Phrasen, Formeln und Platitüden aneinanderreihen, sondern versuchen, ihre Begeisterung oder ihr Entsetzen in Worte zu gießen und dabei spannende und lesenswerte Texte schreiben.

Mir gefällt ja wieder einmal, wenn ihr aufrührerische Punklyrics mit samtenem Indiepop zusammenbringt – „Manifest“ zum Beispiel ist da ganz wunderbar. Woher kommt das eigentlich? Gelebte Punksozialisation? Der Wille, Gesellschaftskritik eingängig zu transportieren?

Um Gesellschaftskritik geht es dabei weniger als um das Aufzeigen von Möglichkeiten: sowohl die Möglichkeit, einen Genrebegriff oder eine Ausdrucksform (Popsong) auszuhöhlen oder auszudehnen als auch um die Möglichkeit zwei Bedürfnisse in einem Song zusammenzubringen. Nämlich einen (Love-)Song zu singen, der wenn er über Liebe spricht auch gleichzeitig ein größeres Ganzes mitdenkt, ob man das nun System, Kapitalismus, Gesellschaft oder wie auch immer nennt. Sonst bekommen beide Entitäten ihre eigenen Songs oder sogar ihre eigenen Genres, wir versuchen eine Verschmelzung.

Indierock ist eine Veranstaltung, die nicht mehr oder weniger spießig ist als jede andere Spielart von Rock oder Pop, egal wie hip oder offen sie sich geriert. Spießigkeit und reaktionäres Gedankengut lauern in jedem Genre und stehen da oft direkt einer progressiven oder linken Haltung gegenüber. Punk, Ska, Rock, Pop, Rap – überall lauern Erneuerer und Genies und auf jeden von ihnen kommen Spießer und Nazis. Toughe, harte, klare Ansagen von einem harten Sound zu befreien und in einen anderen Kontext zu stellen: dabei entsteht eine Power, die wir spannend finden und etwas Neues. Also, dass eine Haltung, die du mit Punk assoziierst eben nicht automatisch wie Dead Kennedys, Black Flag, Rage Against The Machine einerseits oder Phil Ochs und Billy Bragg andererseits klingen muss.

An Den Falschen Orten by Locas In Love

Bei „Manifest“ fühlte ich mich irgendwie an „DMDKIULIDT“ von Ja, Panik erinnert. Seht ihr euch in ähnlicher Tradition?

Wir kennen weder die Band noch ihr Schaffen, ihren Sound gut genug, um vernünftig beurteilen zu können in welcher Tradition sie stehen oder sich sehen. Wenn es aber Kollegen gibt, die sich an der Idee des antikapitalistischen Lovesongs, dem Liebeslied gegen ‚das System‘ abarbeiten, wäre das natürlich toll. Aber wir wissen nicht genau, auf was sich die Band beruft (oder ob überhaupt auf irgendetwas), deshalb ist es schwer zu beantworten. Vermutlich nicht, ich vermute, dass es einfach überfällig war, bestimmte Dinge zu sagen, bestimmte Erkenntnisse mal in Songform zu gießen und ich würde mir wünschen, dass – egal, aus welcher Tradition kommend – viele Bands anfangen, mehr zu wagen mit ihren Liedern. Die Tradition, in der wir uns sehen, speist sich aus Fugazi, Cheap Trick, Hannah Arendt und daraus, die Welt zu beobachten – und Dinge, die man dann als wahr erkennt zu Songs zu machen.

Wieder einmal gibt es englische Songtitel zuhauf – ich hatte fast damit gerechnet, ihr nehmt mit Paul Savage jetzt auch englisch auf. Warum dieses Festhalten an deutscher Sangesprache?

Um gehört zu werden macht es Sinn, so zu sprechen, dass die Leute, die unmittelbar um einen herum sind, einen verstehen können. Auf eine internationalere Sprache umzuwechseln fände ich seltsam für die Locas. Es wäre genauso seltsam gewesen, wenn Blumfeld oder Tocotronic irgendwann Englisch gesungen hätten, weil die Sprache und ihr Klang und der genuine jeweilige Gebrauch der Sprache doch auch ein ganz wichtiges Element für den Gesamtsound der Band sind. Es wäre durch eine andere Sprache auch automatisch eine andere Band, so ist es auch bei uns. Daß die Songtitel manchmal in Englisch sind oder schon immer auch englische Wendungen auftauchten gehört zum Vokabular der Popmusik. In dem Sinne, dass egal ob man nun Mundart, Deutsch, Englisch oder Französisch singt, automatisch durch die Verbindung von Text, Musik, Rhythmus, Storytelling usw etwas Neues entsteht, was die einzelnen Bestandteile in etwas anderes auflöst, nämlich den Song. Der Song ist sozusagen seine eigene Sprache, unabhängig von der Semantik, den Wörtern, der Sprache. Diese semantische Ebene ist eine zweite Ebene, gewiß. Und wenn sie einem wichtig ist, wenn man etwas erzählt und möchte, dass es verstanden wird, ist es naheliegend eine Sprache zu wählen, die von den Leuten unmittelbar verstanden wird.

Letzte Frage, sorry, wenn das zu persönlich wird – dann einfach nicht antworten. Gerade in eurer Single „An den falschen Orten“ geht es explizit um eine Liebesbeziehung, die es ja auch in eurer Bandkonstellation gibt. Ist das nicht fürchterlich schwierig? Für ein Liebespaar auf der einen Seite und für die „dritten Räder am Wagen“ auf der anderen?

Die Liebe, die Freundschaft, um die es in diesem Stück geht, ist nicht zwingend eine Pärchenliebe oder ein vergleichbares Beziehungsmodell, es ist eher die Frage: wie weit würdest du mit mir gehen? Bis zu welchem Extrem wärst du bereit, unsere Freundschaft zu treiben? Etwas ähnliches war schon im Song „Saurus“ enthalten, so eine Bonnie&Clyde- oder RAF-Phantasie, was beides bekannte Beispiele für eine Form der Liebe sind, die anders gelebt wird als zB die Liebe in Deutschrock-Songs, die eher ein bürgerlich-beschauliches Ich-und-du romantisiert.

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