Ein Hippie im Technoland: Die Szene kürte Klaus Schulze, Ex-Keyboarder von Tangerine Dream, zum Vater ihrer Musik

Wer sich ein wenig auskennt, wird sofort wissen, was es mit dem Albumtitel auf sich hat. -Are You Sequenced?“ ist stolzes Zitat von Jimi Hendrix‚ epochaler Platte „Are You Experienced?“ von 1967 – und Klaus Schulze, 49 Jahre alt, findet es an der Zeit, den Vergleich zu wagen. „1969, als wir angefangen haben, vermochte die Technik mehr, als sich die meisten vorstellen konnten“, weiß der frühere Tangerine-Dream-Keyboarder. Schulze hat jahrein jahraus daran gearbeitet, die Differenz auszugleichen, hat 60 Solo-Platten, 60 digitalanaloge Klanglandschaften veröffentlicht und erst hinterher immer verstanden, was ihn als Musiker bei einer Platte bewegt hat.

Bei Tangerine Dream war Schulze der Mann hinter meterhohen Keyboard-Türmen, Tastaturen und Oszillographen, versunken in ein tiefes Meer aus Klängen. „Blubberkönig“ wurde er darum genannt, und in Interviews von damals mußte er erst erklären, was ein Synthesizer ist Während Kraftwerk die Platten der Unterhaltungsindustrie genial in Songs und Slogans auflösten, bastelte Schulze mit seinen Kompagnons an endlosen elektronischen Klanggebilden, genannt kosmische Musik. Zu Recht fragte der „Rolling Stone“ damals, was so kosmisch sei an dieser Musik? „Sie basiert auf Klangfarben, auf Improvisation, ist nicht aggressiv“, definierte die Band seinerzeit.

So hat der gelernte Schlagzeuger sein zärtliches Verhältnis zu Moog-Synthesizern entdeckt und für „Are You Sequenced?“ seinen ehrwürdigen Klimperkasten abgestaubt, wie es zur Zeit viele tun. Die analoge Klang-Technik erlebt ein regelrechtes Revival, „eine übergroße Wiedergeburt“, was sich auch daran zeigt, daß der 1970 etwa 300 Mark teure Mini-Moog heute locker 3000 Mark kostet und Tüftler mit digitaler Technik versuchen, die Fehler der analogen Geräte nachzuahmen. „So ein Analog-Klang lebt, der ist nie gleich, und es ist praktisch unmöglich, eine Platte von mir nachzuspielen“, schwärmt Schulze. Bei seinem letzten England-Konzert hat er seinen Synthesizer angeschaltet, und statt eines wohlvertrauten Summens erklangen Laute wie nun, krutsch, bratz. Er hat den Sound einige Minuten vor sich binklabastern lassen und dann ein paar Streicherakkorde druntergelegt – der Synthesizer als Zufallsgenerator, kein Grund zur Panik.

Trotz der Vorliebe fürs Improvisierte hat Schubes „Geblubber“ mit den Jahren mehr Struktur bekommen. „Are You Sequenced?“ liegt stilistisch irgendwo zwischen Ambient und Goa-Techno. Neben Brian Eno wird er heute als Vorreiter der elektronischen Musik gehandelt – zumindest für die deutsche Technoszene, die ihm den Titel „Pope of Electronic“ verliehen hat Schulze muß grinsen. Er weiß natürlich, daß Techno eine heterogene Angelegenheit ist, die mehr Musikstile als Musiker hat Die straffe, durchgestylte Vermarktung der elektronischen Massenbewegung ist Schulze suspekt „Irgendwann hat man eine Nummer im Otto-Katalog“, bemängelt er. „Ich gehöre zu den alten Hippies, wir haben uns gegen kommerzielle Vereinnahmung gewehrt“

Schulzes Verweigerung drückt sich am deutlichsten darin aus, daß es ihm bis heute leichter fallt, ein 60-Minuten-Stück zu machen als ein vierminütiges. Sich formalem Zwang zu entziehen, heißt auch, Vermarktung zu verhindert „Ich habe Klang von jeher als Nährboden für eigene Phantasie verstanden.“ Den Snap-Produzenten Anzilotti und Münzing bleibt es da überlassen, die credibility ihres Klangmalers zu respektieren und mit sicherer Hand eine Auswahl zu treffen für die „Are You Sequenced?“ beigelegte Remix-CD. Der Meister gesteht, daß „ich mich schon zu Hause fühle im Technoland, auch weil sich Technomusik in Moll abspielt“ Wie bei Schulze, dem Papst der traurigen Tonleitern.

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