Ein Mann, ein Song

ICC, BERLIN.

Ein Bauwerk, das wie ein Raumschiff aussehe, könne nicht hässlich sein, verteidigt Neil Young backstage das Internationale Congress Centrum. Eine kaum konsensfähige, ja unkorrekte Sicht in einer Stadt, die Denkmaleiferern Millionen zur Verfügung stellt, um einen anderen Mehrzweckbau mit der Fassade eines feudalistischen Klotzes zu ummanteln. Auch drinnen lässt sich Young nicht von der Sterilität des Saales beirren. Er hat die Insigmen seines Innenlebens mitgebracht, das alte Harmonium, den Häuptling aus Holz, allerlei Gerumpel ohne erkennbare Sinnfälligkeit, und einen Maler mit Strohhut, der sich das ganze Konzert über an seiner Staffelei zu schaffen macht und zu jedem Song ein passendes Gemälde aufstellt. Eine altertümlich verschlurfte Kulisse, in warmes Rot und Grün getaucht, die jeder Halle mehr als ein Modikum Atmosphäre abnötigen dürfte.

Die Windmaschine beginnt langsam Zu rotieren, als Neil Young gänzlich unzeremoniell die Bühne betritt und inmitten eines Arsenals akustischer Gitarren Platz nimmt. Inzwischen steht ein Schild mit „N“ am Bühnenrand, wo während des beherzt absolvierten und freundlich applaudierten Support-Sets seiner Frau Pegi ein „P“ prangte.

„From Hank To Hendrix“ eröffnet die Feier mit heiligem Ernst, „Ambulance Blues“ verstört wie stets mit nostalgiefeindlicher Dialektik und einer gesunden Portion Defätismus, „A Man Needs A Maid“ verliert noch den letzten Anflug von Heimeligkeit, wenn Young in die Orgeltasten greift und mit fluoreszierendem Klang Gänsehaut erzeugt. „These songs“, so teilt uns der Künstler mit, während er wie unschlüssig zwischen den Instrumenten herumspaziert, „they’re all the same song.“ Und straft sich sogleich selbst Lügen, indem er das unvergleichliche Sci-Fi-Lament „Atter The Goldrush“ anstimmt — eine Utopie, die zu belächeln sich nur noch Idioten leisten. „Out On The Weekend“ beschließt den Solo-Part des Programms mit einem euphorisierenden Hoch, Neil haut in die Saiten, singt aufgewühlt, lässt sich völlig überwältigen.

Zur elektrischen Hälfte des Hochamtes wechselt Neil Young den Anzug von hell nach dunkel, an seiner Seite sorgt verlässliches Personal für facettenreiches Lärmen. „Mr. Soul“ hat man seit den Tagen von Buffalo Springneid nicht mehr so zwingend gehört, „Down By The River“ fällt fast so fiebrig aus wie mit Crazy Horse, „Too Far Gone“ gewinnt durch Ben Keiths silberne Pedal-Steel-Licks, und „Hey Hey My My“ ist der erwartete Crowdpleaser.

Das Publikum steht wie ein Mann auf, reckt die Faust, grölt „Rock’n’roll will never die!“. Ein so ranziges wie widersinniges Postulat, besonders im Hinblick auf ungezählte Opfer wie Danny Whitten, dem Neil „Winterlong“ widmet. Don Gibsons „Oh Lonesome Me“ wird zelebriert, „Powderfinger“ abgefackelt, „No Hidden Path“ breit gewalzt, „Dirty Old Man“ erweist sich wieder einmal als unwürdig.

Wer als Zugabe „The Sultan“ erhofft hat, Neils frühe Hommage an die Shadows,einst mit den Squires aufgenommen und letzthin überraschend reaktiviert, wird enttäuscht. Stattdessen setzt der darob frenetisch Bejubelte noch einmal auf schlichten Populismus mit „Rockin‘ In The Free World“. Aufstehen, recken, grölen. Ergreifend war’s. Trotzdem.

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