Ein neuer Anfang

Fast wäre Edwyn Collins an einer Hirnblutung gestorben. Nun singt er wieder - und verschweigt nicht, wie schwer das ist

Am Anfang steht immer der Krankheitsbericht, die Geschichte von der Ohnmacht des Edwyn Collins. Aber weil sie zum Verständnis beiträgt, muss sie nochmal erzählt werden. Am 18. Februar 2005 – er hatte eben noch das erste Album des Rock’n’Roll-Trios Little Barne produziert – hatte Collins. damals 45, in einem Radiointerview gesagt, er fühle sich seltsam unwohl in letzter Zeit. Zwei Tage später kippte er in seiner Londoner Wohnung um, im Krankenhaus wurde eine Hirnblutung festgestellt, kurz danach eine weitere. Bei der ersten Operation infizierte sich das Gewebe dann noch, eine zweite wurde nötig. „Der Eingriff sollte kein Problem sein“, schrieb Grace Maxwell damals auf die Website, Collins‘ Lebenspartnerin und Managerin seit Anfang der Achtziger, „aber es wäre hilfreich, wenn ihr ihm alle verfügbaren positive vibrations schicken würdet.“ Als Edwyn Collins wieder erwachte, konnte er nicht mehr sprechen, geschweige denn lesen und schreiben. Dass er überhaupt überlebte, war alles andere als selbstverständlich. „Bei der ersten Sitzung mit seiner Sprachtherapeutin, als sein Bewusstsein langsam zurückkam und er sich irgendwie verständlich machen konnte“, sagt Grace Maxwell, eine resolute Schottin, mit dem Teebecher auf dem Parkett im Wohnzimmer in London, „da war eine seiner ersten Fragen: .Werde ich je wieder singen können?‘ Das hat ihm große Sorgen gemacht. Sie meinte: ,Kann ich Ihnen nicht versprechen. Wir haben eine Menge Arbeit vor uns!'“

Seit August 2005 ist Collins wiederzu Hause, er hat eine Titanplatte im Schädel – und ja, er kann wieder singen. Sein eben erschienenes neues Album „Home Again“ besteht zwar aus Songs, die er vor der Katastrophe aufgenommen hat, aber wenn man heute mit ihm spricht, streut er immer wieder Kostproben der wiedererkämpften Kunst ein. „Ich übe jeden Tag, zuletzt „Falling And Laughing“, sagt er und beginnt zu singen, den ersten Song seines ersten Albums mit der Band Orange Juice, fast wie damals im heißen Glasgow-Jahr 1982.

Beim Singen fließen die Wörter besser als beim Reden. Man merkt Collins die Folgen der Krankheit deutlich an, man spürt, wie sein hellwacher, zynischer Geist im Kopf heißrotiert und nicht so richtig raus kann, weil vieles noch so mühsam ist. Die rechte Hand ist noch teilweise gelähmt, deshalb hat er die linke Hand trainiert und füllt nun Notizbücher mit Bleistiftskizzen von Vögeln und Waldtieren. „Ich war mal ein brillanter Schauspieler, bin mit dem Leben zurechtgekommen. Jetzt sind alle meine sozialen Talente wie verbrannt“, sagt Collins in einem traurigen Moment. „Das ist deprimierend.“ Ob er sehr deprimiert sei, fragt Freundin Grace. „Nein. Ich komme voran, es geht langsam vorwärts. Es ist mir nur oft nicht klar genug.“

Die MySpace-Community hatte für Collins, der um den verlorenen Kontakt zur Welt rang, eine immense Bedeutung. William, sein rothaariger Teenager-Sohn, richtete ihm eine Seite ein, bald schwappten Nachrichten und Anträge herein, Collins diktierte Blogs. Auf dem silbernen Notebook zeigt er die erste Mail, die er allein getippt hat – auch die Interviews, die er gibt, sind Therapie. Und bald soll es das erste Heimkomm-Konzert geben. Wenn er genug Songs geübt hat.

Grace sagt: „Ich finde, Ed war unglaublich tapfer!“ fällt er ihr ins Wort. Und lacht sein bewährtes, bronchitisches Lachen. Könnte sein, dass wir uns bald wieder vor ihm in Acht nehmen müssen.

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