Ein Swingkid blickt zurück

Günther Dischers CD-Edition von SCHELLACKS der 3Oer und 40er Jahre dokumentiert die multikulturellen Wurzeln in Deutschland

Wenn eine Jugendbewegung durch den Widerstand, den man ihr entgegenbringt, an Wert gewinnt, ist die Swingjugend der frühen 40er Jahre unschätzbar. Man muß sich die Situation vorstellen: Im Kampf um Sicherheit, Ordnung und Vollbeschäftigung sowie der manischen Idee eines tausendjährigen Reiches fällt das deutsche Volk unter der Führung einer uniformierten und selbstsüchtigen Gruppe Psychopathen über Europa her, während es gleichzeitig in der geliebten Heimat ein paranoides Spitzelsystem aus Blockwarten und SS-Streifen, Arbeitsdiensten und Konzentrationslagern errichtet. Dem gegenüber steht eine Handvoll eher unpolitischer junger Leute, die eine sogenannte entartete oder auch Negermusik namens Swing hören, die Haare etwas länger tragen und sich im Gegensatz zum martialischen Auftreten blonder, blauäugiger Fähnleinführer elegant dandyhaft geben. Unweigerlich also richtete sich ihre kleine, alltägliche Verweigerung gegen diesen einen blöden Spießer, der Angriffskrieg und Völkermord als Preis für eine Jugend mit anständigem Haarschnitt für angemessen hält. So erklärt sich vielleicht die unterschwellige, auf den ersten Blick etwas bizarr wirkende Nostalgie, die damalige Swing-Fans in Büchern wie „The Flat Foot Floogee – Erlebnisse eines Hamburger Swingheinis“ oder gar „Heinrich Himmler und die Liebe zum Swing“ ausdrücken. Und auch die Euphorie, die zum Teil die CD-Reihe „Edition Günther Discher“ prägt. Hier werden von dem 1925 geborenen Swinger Discher auf bisher sechs Compilations Original-Aufnahmen aus den 30erund 40er Jahren präsentiert. Der nach dem Krieg als Programmier arbeitende Hamburger gehört zu den bekanntesten Figuren der ehemaligen Szene: Er handelte mit verbotenen Schellacks und war auch sonst höchst engagiert, bis er 1942 von der Gestapo verhaftet und in das KZ Moringen eingewiesen wurde. Begründung: „Er gefährdet (…) die Sicherheit des Volkes und Staates, indem er durch sein zersetzendes und staatsabträgliches Treiben erhebliche Unruhe in die Bevölkerung trägt.“ Ein ehrenwerter Mann also, der Faschismus an sich mit einem kühlen Satz auf den Punkt bringt: „Die Revolution des Primitiven gegen das Moderne.“

Von einem 25 000 Tonträger umfassenden Archiv ausgehend, versucht sich der Pensionär jetzt in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Label Ceraton an einer Dokumentation der im Deutschland jener Zeit gespielten Musik. Ein längst überfälliges Projekt, da es viel zu entdecken gibt:

Etwa die Swingorchester des westfälischen Heinz Wehner oder ungarischen Violisten Barnabas von Geczy, der eine Melange aus Jazz, Schlager und Kaffeehausmusik spielte. Oder die zarten Lieder Laie Andersens, deren einstiger Hit „Lili Marken“ sogar von Kid Creole gecovert wurde. Selbst Tonfilmschlager, der damalige Mainstream sozusagen, überzeugen: Glenn Millers geniale sieben Minuten lange Version des „Chattanoogo Choo Choo“ aus „Adoptiertes Glück“ oder Pola Negris sinnliche Ballade „Tango Notturno“ im gleichnamigen Film sind schlicht perfekt. Aber auch einst in Deutschland beliebte internationale Bands können sich hören lassen: Die Lecuona Cuban Boys machten kubanische Klänge mit knalligen Hits wie „La Cucaracha“ schon in den 30er Jahren in Berlin populär. Und die Sammlung Jazz nach dem Krieg“ versammelt mit Lionel Hampton, Louis Jordan und Cab Calloway die besten Jazzer aus dieser Ära.

Begleitet werden die Zusammenstellungen von einem Novum: Auf dem letzten Track spricht Discher in Interviews über Hintergründe dieser Musik. Dabei erfährt man Interessantes über die Besetzung von Swing-Orchestern und die Karriere deutscher Filmstars oder die technischen Probleme, die Jazz-Fans nach dem Krieg hatten. Allerdings erweist sich dieser Service-Bonus mit der Zeit als zweischneidige Sache: Wer eine CD häufiger durchlaufen läßt und dabei immer dasselbe Gespräch zu hören bekommt, wird es wohl schließlich wegprogrammieren. Und einige Ausrutscher wären auch nicht nötig gewesen: Wenn Günther Discher feststellt, daß in Hollywood damals „Leute jüdischer Herkunft“ das Sagen hatten und meint, „die achteten sehr aufs Geldverdienen“, kann man sich nur wundern: Warum fallen dem Mann zum Thema Juden solche Propagandasprüche ein?

Coco Schumann hat andere Erinnerungen. Er war in Auschwitz: „So etwas kann man nie vergessen. Wir mußten am Lagertor spielen, als die Selektierten in die Gaskammer gingen. Die SS hatte sich JLa Paloma‘ gewünscht.“ 1942 war der Gitarrist, der als Jude seit 1933 Auftrittsverbot hatte, verhaftet und zuerst nach Theresienstadt deportiert worden, dem Lager, das vor allem zynischen Vorführzwecken diente: Hier, wo die Insassen in einer normal wirkenden Kleinstadt lebten, konnte sich das internationale Rote Kreuz vom Humanismus der Nazis überzeugen und wurde das Filmmachwerk „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ abgedreht. Heinz „Coco“ Schumann gehörte zu der Big-Band Ghettoswingers, die dann nach Auschwitz kam. Er war einer von nur drei Musikern, die das KZ-Gastspiel überlebten.

Auf der gerade erschienenen Doppel-CD „Coco Schumann – 50 Years In Jazz“ steht die düstere Vergangenheit aber nicht im Mittelpunkt: „Ich bin kein ehemaliger KZ-Insasse, der Musik macht. Ich bin ein Musiker, der auch mal im KZ war“, so Schumann. Die Aufnahmen aus sechsjahrzehnten brauchen auch keinen ideologischen Unterbau: Denn mit swingenden Melodien und atemberaubenden Improvisationen, leicht perlendem Jazz und schwer rollendem Blues stellt sich hier ein Meistergitarrist vor, der den Vergleich mit Albert King und Chet Atkins nicht fürchten muß.

Nebenbei und wohl eher unbeabsichtigt zeigt auch diese Veröffentlichung, so wie die Edition von Günther Discher, die Wurzeln deutscher Musik, die eben nie germanisch oder gar arisch waren, sondern international: Juden, Jazzer und Zigeuner bestimmten den Sound – mit ihnen starben in den Vernichtungslagern große Teile deutscher Kultur. Das jetzt erwachende Interesse an den Roots ist daher auch nicht zwangsläufig nationalistisch oder reaktionär: Zu den Schellack-Abenden, die seit einiger Zeit in Berliner Clubs stattfinden, kommen Nostalgiker und Fans, die den Wert der Musik erkennen, nicht aber trotzige Runenträger. Und der zu Weihnachten anlaufende Joseph-Vilsmaicr-Film „Comedian Harmonists“ mit Ben Becker, Kai Wiesinger und Katja Riemann wird eben eine hervorragende Vokaltruppe vorstellen, nicht aber eine Episode aus der Geschichte unserer arischen Schicksalsgemeinschaft. Denn es ist eben eine Lüge, es hätte damals nur Nazis und deutschen Spießer gegeben. Da waren auch Millionen anderer: Und ohne die gäbe es keine deutsche Kultur. Deutschland war schon immer ein internationalistisches Einwanderungsland.

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