Endlich zu Hause

Der fleißigste Songwriter der Nullerjahre, Ryan Adams, ist unabhängiger und gesünder denn je. Er will jetzt auch mal seine starke Seite zeigen

Ryan Adams sitzt in seinem Haus in Los Angeles an einem Fenster und schaut einem Eichhörnchen zu, das gerade auf einen hohen Baum klettert. Er berichtet davon so begeistert, wie er sonst nur von Death Metal, Katzen oder Flipperautomaten erzählt: Seine Stimme wird plötzlich laut, man hört ihn fast lächeln. Danke, Eichhörnchen! Mit Adams über seine Musik zu sprechen, kann nämlich ganz schön mühsam sein, wenn er schlecht gelaunt ist. Ein paar Tage zuvor war der Versuch gescheitert, weil die Funkverbindung auf dem Newport-Folk-Festival-Gelände so schlecht war und Adams sich wohl auch lieber auf das Konzert vorbereitete, als Interviews zu geben. Der Songwriter ist zum ersten Mal seit Jahren mit einer Band unterwegs. Als er 2011 das eher ruhige „Ashes & Fire“ veröffentlichte, sagte er noch, er möge keine laute Musik mehr. Doch das neue Werk, das schlicht „Ryan Adams“ heißt, ist ein Rockalbum geworden – wenn auch von seiner typischen Melancholie durchzogen.

Seit 2000 hat der notorische Workaholic 14 Soloalben veröffentlicht, kleine bis große Meisterwerke, kaum Missglücktes. An der Schnittstelle zwischen Americana, Folk und Rock gibt es nur einen anderen ähnlich produktiven Typen unter 40: Conor Oberst. Es ist wohl kein Zufall, dass beide etwas weniger veröffentlichen, seit sie gesünder leben und ihr Privatleben wichtiger nehmen. Doch Adams war die vergangenen drei Jahre nicht faul. 2013 hatte er schon ein komplettes Album mit Produzent Glyn Johns aufgenommen, war dann aber nicht glücklich mit Sound und Songs – und ging für ein weiteres Jahr zurück ins Studio, um „die Platte zu finden, die ich wirklich mag“. Die andere liegt jetzt in Adams‘ Speicher, wo sehr viel Material darauf wartet, vielleicht doch noch irgendwann veröffentlicht zu werden. Er wirft nichts weg, er legt nur beiseite.

Dass der Songwriter es sich leisten kann, monatelang herumzuexperimentieren und dann gar nichts davon zu verwenden, liegt daran, dass er sich in L.A. ein kleines Refugium geschaffen hat: sein eigenes Studio, das so heißt wie sein Label, Pax-Am. Er muss sich nach keiner Plattenfirma mehr richten, er hat keine Deadlines. Lieder, die nicht aufs Album passen, kommen demnächst vielleicht im Rahmen der Pax-Am-Singles-Serie heraus – Adams will ab sofort jeden Monat drei Stücke auf einer 7inch veröffentlichen. Als Label-Chef ist der Himmelsstürmer allerdings noch im Lehrlingsstadium. Ob Singles oder Liveaufnahmen – seine US-Pressungen sind immer sofort ausverkauft und außerhalb Amerikas schwer zu bekommen. „Das tut mir leid“, sagt Adams kleinlaut, wie es sonst nicht seine Art ist. „Ich bin momentan eben nur ein kleines Independent-Label. Bei meinen Alben habe ich einen großen Vertrieb, aber bei diesen kleinen skurrilen Sachen müssen wir noch an einer Übersee-Lösung arbeiten.“

„Viel, viel, viel Arbeit“ sei die Sache mit dem Label, gibt er seufzend zu, aber er hatte keine andere Wahl, weil er sich nicht dauernd herumstreiten und vor allem so viel veröffentlichen wollte, wie es ihm passt. „Man sieht das ja bei Jack White, dass es geht. Man kann unabhängig sein und sich mit Leuten umgeben, die sich für die Kunst interessieren und nicht nur fürs Geschäft. Man verschwendet keine Energie mehr beim Kampf mit der Plattenfirma. Ich fand es extrem destruktiv, Leuten vergeblich zu erklären, warum mir eine bestimmte Vision wichtig ist.“

Dann lieber keine Vorschüsse und dafür mehr Freiheiten. Allerdings hört Adams durchaus auf andere Menschen -zum Beispiel, was die Auswahl der Vorab-Single betrifft. Alle in seiner Umgebung empfahlen „Gimme Something Good“, ein sehr Seventies-lastiges Rockstück. Eine Einschätzung, die Adams nur bedingt teilt: „Für mich klingt es eher nach Johnny Marr oder den Pretenders, aber Benmont Tenchs Orgel schafft wohl den 70er-Jahre-Sound. Man darf ja auch nicht vergessen, dass ich 1974 geboren bin und mit fünf, sechs schon Musik gehört habe. Aber das Album hat alle möglichen Einflüsse.“ Wenn es sich vermeiden lässt, spricht Adams lieber nicht über seine Inspiration – als hätte er Angst, sie könnte dann verschwinden. Auch die eigenen Texte mag er nicht analysieren. Stattdessen fängt er an, von seinem „musikalischen Partner-Piraten“ Mike Viola zu schwärmen. Adams übergab dem Multiinstrumentalisten seine fertigen Songs, damit der noch „ein paar subtile Elemente“ hinzufügt. Während Viola im Studio herumbosselte, fuhr Adams einige Tage weg. Das Loslassen fiel ihm naturgemäß schwer: „Ich bin ein Kontrollfreak und will immer die Oberhand behalten. Aber gleichzeitig bin ich auch genug Kontrollfreak, um mich selbst unter Kontrolle zu haben und zu wissen, dass es gut ist, auch mal etwas abzugeben.“

Das neue Album ist eine überraschend wuchtige Angelegenheit geworden, obwohl zwischen den gut gesetzten Riffs und den großen Melodien auch immer wieder Adams‘ zarte Seite durchscheint. Er wollte endlich mal beides zeigen: „Die Songs haben eine gewisse toughness. Sie sind immer noch verletzlich, aber auch stark. Was gut ist, denn so bin ich auch. Ich bin ja nicht nur dieser zerbrechliche Typ. Bisher hat mir bei meinen Alben oft die Kraft gefehlt, weil die Produzenten immer nur den verletzlichen Teil von mir sahen.“

Es ist ein kleines Wunder, dass Ryan Adams überhaupt wieder so viel Kraft hat. 2009 zog er sich kurzzeitig aus dem Musikgeschäft zurück, um sich auf seine Gesundheit zu konzentrieren. Er leidet unter der Innenohrkrankheit Morbus Menière, die man sich wohl wie schlimmsten Tinnitus vorstellen muss, samt Balanceschwierigkeiten, Übelkeit und eben Hörschwäche. Für einen Rockstar ein mieses Gebrechen. Er hörte auf zu rauchen und zu trinken, fing an, sich besser zu ernähren und zu wandern. So bekam er die Symptome der unheilbaren Krankheit einigermaßen in den Griff. Die Ehe mit der soliden Sängerin Mandy Moore half sicher auch. „Mental und physisch bin ich gesünder. Ich muss immer noch kämpfen, aber ich habe jetzt einen eigenen Ort, an dem ich meine Musik machen kann, und ein viel ruhigeres, fokussierteres Privatleben. Insgesamt habe ich einen besseren Zugang zu einer gewissen Weisheit, weil ich etwas älter bin. Ich kann die Welt endlich besser verstehen.“

Er sagt, das Schöne am Jungsein sei gewesen, dass man sich „ohne Zeitverzögerung“ bewege, aber irgendwann solle jeder zur Ruhe kommen. Er zumindest wollte es, er musste es. Und die Exzesse vermisst er angeblich gar nicht. „Das ist jetzt acht oder neun Jahre her – für mich eine Ewigkeit. Das letzte Mal, dass ich mit Drogen experimentiert habe, war 2006, vielleicht 2007. Dann war’s im Grunde vorbei. Ich kann mich gar nicht mehr richtig erinnern, was der Thrill war. Ich weiß, dass ich einfach viel ausprobieren wollte, aber es kommt mir fast unwirklich vor.“

Seit er nicht mehr raucht, macht ihm das Singen auch wieder mehr Spaß. Und er entwickelt einen geradezu missionarischen Eifer, wenn er von den Vorzügen des Verzichts spricht (mehr Atemluft, weniger Angst vor Lungenkrebs) und wie leicht ihm das Auf hören fiel – dank einiger weniger Sitzungen beim Hypnosetherapeuten Kerry Gaynor, für den er nun auch im Internet Werbung macht. Zum neuen Ryan Adams gehört auch, dass er jeden einzelnen Baum vor der Haustür genießt. „Ich wusste gar nicht, wie sehr ich die Natur brauche, bis ich von New York nach Los Angeles zog. Diese Umgebung hat mich verändert und zu einem besseren Menschen gemacht. Es war wie Nachhausekommen. Ich kann nicht nach North Carolina zurückgehen, diese Langsamkeit halte ich nicht mehr aus. Aber hier ist es genau richtig.“

Einen neuen Freund hat er dort auch gerade gefunden: Auf zwei Stücken spielt Johnny Depp Gitarre und singt. Adams hatte keine Wahl, er musste den Schauspieler treffen: „Seit mehr als zehn Jahren fragen mich dauernd Leute, ob ich Johnny kenne. Immer sagen sie: ,Ihr seid euch so ähnlich, ihr zwei Schwachköpfe!‘ Ich wusste nie genau, was sie meinten, aber irgendwann habe ich ihn aus reiner Neugier eingeladen – und er ist einer der süßesten, romantischsten Typen, die es gibt. Ich lasse eigentlich nur wenige Leute in mein Studio oder mein Leben, ich halte mich da sehr zurück. Aber mit ihm war es, als würden wir uns schon ewig kennen.“ Demnächst wird vielleicht noch mehr von der Zusammenarbeit zu hören sein, auf einer der Pax-Am-7inchs.

Adams hat viel hinter sich, aber noch viel mehr vor. Im Dezember wird er 40 Jahre alt. Wie er das findet? „Ziemlich cool, weil ich mich momentan wohlfühle. Ich habe mein Haus, mein Leben, meine Musik. Und mir war schon früh in meinen Dreißigern klar, wie vergänglich alles ist. Dann fangen die ersten Leute an, einem wegzusterben. Viele hören auf zu feiern, manche werden krank, andere gründen Familien – da tut sich so viel. Inzwischen habe ich mich damit abgefunden, und ich fürchte Veränderungen nicht mehr.“

Seine Arbeitswut hilft ihm gegen etwaige Zukunftsängste. Zwar hat er bisher noch keine passenden Tourtermine für Deutschland gefunden, obwohl er „sooo gern“ mal wieder hier spielen würde, aber an Projekten mangelt es nicht. Er schreibt immer noch an einem Roman über eine freundliche Ratte namens Phoenix, hat sich aber schon damit abgefunden, dass er dafür wohl fünf bis zehn Jahre braucht. Zwischendurch hat er mit einem neuen Gedichtband angefangen, der spätestens 2015 erscheinen soll. Urlaub? Wird überbewertet. „Ich gehe fünf Tage die Woche ins Studio, Montag bis Freitag, wenn es irgendwie geht, und arbeite. Auch jetzt, da das eine Album fertig ist. Songschreiben ist für mich ja eine Leidenschaft, kein Job. Ich bin bei meinen Großeltern aufgewachsen. Die sind zur Depressionszeit groß geworden und haben sich nie Müßiggang angewöhnt. Dieses Arbeitsethos habe ich schon als Jugendlicher angenommen. Bloß nicht faulenzen!“

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