ENGELCHEN von Heike Misselwitz

Die Fenster ihrer Wohnung zeigen in den grauen Hinterhof, dahinter tost der Berliner Straßenverkehr und kreischen die Gleise des S-Bahnhofs Ostkreuz. Ein Mann wird von seiner betrunkenen und schwangeren Frau lautstark hinausgeworfen. Seine Sachen fliegen durchs Fenster. Ein Mädchen versucht ihn zu halten: „Papa, Papa“, und fällt, von dem wütenden Mann gestoßen, mit seinem Gesicht in den Dreck. Und Ramona Schneider alias Engelchen, die Beobachterin am Fenster, wäscht sich wieder und wieder ihr Gesicht – als ob sie das Gesehene dadurch ungeschehen machen könnte, und setzt es zugleich zwanghaft fort. Der zweite Spielfilm von Heike Misselwitz erzählt viel mit Bildern, wenig mit Worten. Er ist, neben der Story einer hochempfindsamen Fabrikarbeiterin, die sich in einen polnischen Zigarettenverkäufer verliebt, schwanger wird und mit dem Kind jede Hoffnung verliert, vor allem eine Milieustudie mit neorealistischen Qualitäten. Hinreißend gespielt wird Engelchen von Susanne Lothar, die mit wandlungsfähigem Gesicht die Widerwärtigkeiten eines unerträglichen Lebens und die kurzen Momente des Glücks so nah beieinander vorführt wie ohnmächtige Angst und wilde Entschlossenheit zur Katastrophe.

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