Pop-Tagebuch

Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Bauchredner im Wilden Westen

Was gibt es Besseres an langen Sommertagen, als in abgedunkelten Räumen zu hocken und Filme zu schauen, die in noch heißeren Regionen spielen?

Folge 90

Neulich habe ich mir mal wieder bei einer Tasse Tequila den schönen Italo-Western „Blindman“ von Ferdinando Baldi aus dem Jahr 1971 angesehen. Was für ein herrlich rüpelhaftes Teil – ich erzählte kürzlich bei meinem Berlin-Konzert mal wieder von den nicht unbeträchtlichen Reizen dieses Machwerks über einen blinden Revolverheld (!), der 40 Frauen durch die mexikanische Wüste eskortieren soll (!!) und es dabei mit Ringo Starr (!!!) zu tun bekommt. Auch der Soundtrack ist nicht verkehrt. Die ersten fünf Minuten des Films gibt es tatsächlich gar keine Musik zu hören. Dann aber donnert Stelvio Ciprianis Score durchs sonnenversengte Almeria und unterstreicht noch einmal, was Hauptdarsteller Tony Anthony in den ersten stummen Minuten bereits deutlich klargemacht hat: „Blindman“ ist nicht gekommen, um seine Briefmarkensammlung zu präsentieren.

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Ciprianis Hauptthema ist grandios und gehört in jede Handtasche: Es besteht aus einer rhythmischen Figur, die von allen bekannten Morricone-Sperenzchen (Glocken, Hyänengekreische, Flöten, „Ho!“-Gebrülle, Fuzz-Gitarren) verziert wird – wobei die besagten Sperenzchen hier massiv auf die Spitze getrieben werden. Auch eine Sitar ist zu vernehmen, was doch mal eine schöne Abwechslung ist!

Sitars im Wilden Westen: Was kann es Schöneres geben?

Stelvio Cipriani lernte sein Handwerk auf dem St. Cecilia-Konservatorium in Rom, benannt nach der Schutzheiligen der Musik (s. Pop-Tagebuch Folge 39). Später verdingte er sich als Musiker auf Kreuzfahrtschiffen, was ich auch gerne mal machen würde. Seinen ersten Soundtrack schuf er 1965 für „El precido per un hombre“ (dt. Titel: „Ohne Dollars keinen Sarg“), der auch das Genre-Debüt meines Lieblingsschauspielers Tomás Milián darstellt.
Zu den Höhepunkten von Ciprianis Schaffen zählen vor allem die Beiträge zum Polizeifilm- Genre („La polizia chiede aiuto“, deutscher Titel: „Der Tod trägt schwarzes Leder“) sei genannt – und zum Giallo (der überragende „Reazione a catena“, der bei uns unter dem Namen „Im Blutrausch des Satans“ gar mit einem Verbot belegt wurde).

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Mit-Produzent von „Blindman“ (und als solcher klar verantwortlich für das Casting Ringo Starrs als mexikanischer Bandit) ist übrigens kein Geringerer als der berüchtigte Geschäftsmann, Sixties-Pop-Strippenzieher und Plattenfirmenboss Allen Klein, der auf Anraten Mick Jaggers zum Ende der Sechziger das Management der Beatles übernahm, was bis heute als einer der Hauptgründe für Paul McCartneys Ausstieg aus der Band gilt.

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Der Italo-Western und sein Widerhall in der Popmusik

Die einzige Band, der es gelang, in ästhetisch kniffligen Zeiten Synthie-Pop, Indie und Morricone-Sounds zu vermählen, waren die heuer viel zu selten besungenen Kalifornier von Wall of Voodoo.
Ihre beste Platte machte die 1977 von Sänger Stan Ridgway gegründete Band im Jahr 1985 mit Ridgways Nachfolger Andy Prieboy. „Seven Days In Sammystown“ heißt das Album. Die Vorderseite des Covers weiß mit einem Bild zu prunken, das alle Fans von gruseligen Clowns zu freudigen Zappeltänzen verführen dürfte. Auf der Rückseite steht die Band in der Gegend herum und sieht aus, als hätte Tim Burton das Team von „Anchor Man“ zur Southern-Gothic-Night überredet.

Die Songs auf „Seven Days In Sammystown“ sind allesamt sehr konzis und eingängig. Die Single „Far Side Of Crazy“ gibt die Richtung vor: Eine Spaghetti-Gitarre dröhnt, dazu ertönen die bandtypischen wavigen Keyboards und Frontmann Andy Prieboy klingt wie ein ernsthaft sangesbegabter Andrew Eldritch. Tolle Platte! Zwei Jahre später drehten Wall of Voodoo gar ein Video mit dem leibhaftigen Brian Wilson als Hauptdarsteller (zu einer Coverversion von „Do It Again“), das man dringend mal gesehen haben sollte. Wilson, der sich hier gerade in seiner Eugene-Landy-Phase befand, sieht ausgesprochen ungesund aus, drückt aber ganz massiv auf die selbstparodistische Tube.

https://www.youtube.com/watch?v=6bhAHKKLbwQ

Wall-of-Voodoo-Sänger Andy Prieboy – schon zu Bandzeiten mit einer beträchtlichen theatralischen Gabe gesegnet – landete später beim Musical: „White Trash Wins Lotto“ hieß eine der erfolgreicheren Produktionen, in denen er mitwirkte. Zu seinen weiteren Meriten zählt eine Canned-Heat-Coverversion, die für einen Chuck-Norris-Film aufnahm. Nun ja.
Stan Ridgway wiederum ist immer noch irgendwo zwischen Filmmusik und eigenen Alben unterwegs. Laut Internet hegt er ein Faible für die Bauchrednerei – endlich mal ein originelles Hobby!

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Der Niedergang des Bauchredners

Früher, in den Siebziger Jahren, war ja praktisch in jeder abendlichen Unterhaltungsshow mindestens ein Bauchredner zu Gast. Bisweilen konnte man dem Eindruck erliegen, die Bauchredner samt ihren bescheuerten Puppen stünden sich bei den Frankenfelds, Kuhlenkampfs und Thoelkes nur so auf den Füßen herum. Aber die seltsame Kunst dieser Herren kam offenbar an: Die Freude des Studiopublikums über die seltsamen Männer im blauen Showjackett, die schmallippig den Eindruck zu erwecken versuchten, ihre federige Handpuppe könnte sprechen, schien jedenfalls immer sehr groß. Warum man mit Bauchrednerei heute keine Jugendlichen mehr hinterm Ofen hervorgelockt bekommt und was das überhaupt für Öfen sind, die da in den Jugendlichenzimmern so herumstehen, weiß ich nicht. Wahrscheinlich hat der Niedergang des Ventriloquisten (wie der Bauchredner auf Lateinisch heißt) mit dem Internet, dem Euro oder dem Fall der Mauer zu tun.

In einem Italo-Western haben weder die beiden einstigen Wall-of-Voodoo-Sänger noch Thoelke, Kuhlenkampf oder Frankfeld je mitgespielt, aber die sind ja auch alle nicht Ringo Starr und hatten auch keinen Allen Klein. Ein anderer großer deutscher Showmaster, Joachim „Blacky“ Fuchsberger, hat immerhin in einigen italienischen Thrillern mitgekaspert. In dem sehr schönen Drama „Io la conoscevo bene“ (deutsch: „Ich habe sie gut gekannt“) von Antonio Pietrangeli spielt er einen Schriftsteller. Auch Mario Adorf (als gutmütiger Boxer) wirkt mit. Adorf wiederum hatte eine tolle Rolle in „La polizia chiede aiuta“. Musik: Stelvio „Blindman“ Cipriani.

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PS: Noch nie hatte einer meiner Texte so viele Klammern (hat vermutlich irgendetwas zu bedeuten …)

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