Erleuchtet

In seiner christlichen Phase schrieb Dylan zwar einige bodenlose Songs – aber er betrat auch sprachliches Neuland.

Der Prediger

In dem ungeheuren Bogen, der die jüdische Familie Zimmerman in das nordeuropäisch-protestantisch geprägte Hibbing im Nordwesten der USA geführt hat – durch die unabsehbaren Weiten globaler Migration, aus Asien, über die Türkei, rund um das Schwarze Meer, durch die anti-jüdischen Pogrome im zaristischen Russland -, spannt sich die Dynamik des Unterwegsseins bis hinein in das Werk und die künstlerische Identität von Bob Dylan. Die daher eben auch keine schlicht-stabile Identität sein kann. Sie trägt selbst den Stempel des Streunens.

Wer so reist, der kommt an viele Orte. Bob Dylan geriet Ende 1978 in das Magnetfeld eines pfingstlerischen Hyper-Christentums. Dort sollte er drei Jahre und zweieinhalb Alben lang bleiben: „Slow Train Coming“ (1979), „Saved“ (1980), „Shot Of Love“ (1981). Danach folgt „Infidels“ (deutsch: „Ungläubige“, 1983): Fürs Cover ließ Dylan sich in Jerusalem fotografieren, Felsendom im Hintergrund, Bezirk des zweiten Tempels und Moschee zugleich. Die Bilder entstanden am Rand der Bar-Mizwa-Feier seines Sohns.

Bis heute hält die post-christliche Phase im Werk Dylans an. Die Hyper-Christlichkeit des Pfingstlertums war dann doch zu eng, als dass sie die Dynamik, auch die künstlerische Energie seiner Pilgerfahrt hätte einfangen und festhalten können. Aber er hat diese Station seiner Reise, diese Maske seines Suchens, restlos ausgekostet. Vielleicht hat er dabei ein paar bodenlose Songs geschrieben – aber zugleich geschah Erstaunliches, insbesondere auf dem viel geschmähten „Saved“-Album. Wer „Saved“ verstehen will, der muss fürs Erste unter den Texten hindurchtauchen und zunächst die Punktgenauigkeit, Phrasierungsdynamik und Präsenz des Gesangs hören, die dem swampy Gospel-Soul der Muscle-Shoals-Studio-Produktion geschuldet ist. Dann kann er anerkennen, dass die Lyrics wahr sind, selbst wo sie schlicht (oder schlecht) sind: wahr nämlich in der Vehemenz ihres Ausdrucksverlangens.

Es war eben diese Vehemenz, die Dylan über den dürftigen Rahmen des Erweckungschristentums hinaustreiben ließ. Aufs weite Feld einer universalen Ausdruckssprache. Dieses Feld, das er sich schon in den schwierigen Achtzigern nach und nach von Neuem erschloss und schließlich ganz frei, gelassen und ausdrucksstark auf den Alben „Good As I Been To You“ (1992) und „World Gone Wrong“ (1993) kartografierte und durchstreunte, ist die Welt, Kultur und Sprache des Folk. Eine Sprache, die jedem gehört und niemandem, in der alle einander verstehen. Das ist natürlich utopisch. Und funktioniert doch.

Als Streuner auf dem common ground des Folk hat Dylan zwar jede Religionsautorität für sich verabschiedet, nicht aber seine Religiosität. In einem „Newsweek“-Interview von 1997 sagte er sich los von allen Rabbis, Predigern, Evangelisten – und beanspruchte zugleich für sich die Gültigkeit des Hank-Williams-Songs „I Saw The Light“. Im selben Jahr trat er vor Papst Johannes Paul II. auf, als souveränes Subjekt seines Glaubens.

Bob Dylan hat nicht eine der Masken, die er aufgesetzt hat, je verworfen. Auch den Kerngehalt seiner Wendung zum explizit Religiösen hat er nie widerrufen. Allerdings hat er seine Erfahrung des Absoluten – „I Saw The Light“ – in die allgemein zugängliche, vielstimmige und in diesem Sinn weltliche Sprache des Folk eingebettet. Noch immer gilt, dass die Welt in jedem Moment und an jedem Ort nichts dringender braucht als Rettung. Doch singt Dylan davon nun mit dem wirklichkeitsgetränkten und weltgesättigten Resonanzkörper des Folk. In der Art, wie er diesen Körper mittlerweile bespielt, klingt er dunkel wie die Nacht des Streuners. Und singt, mit somnambuler Stimme, von weit her. Wie ein Pilger.

Dr. Knut Wenzel ist Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie in Frankfurt. Eben ist sein Buch „HoboPilgrim: Bob Dylans Reise durch die Nacht“ (Matthias-Grünewald-Verlag, 19,90 Euro) erschienen.

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