Oasis – Erschütterungen wie noch nie

Nach dramatischen Wirren und Eruptionen sogar in der Klatschpresse schlagen OASIS mit dem lärmenden "Be Here Note" zurück.

Nachdem sie sich im letzten August fast aufgelöst hätten, melden sich Noel und Liam Gallagher alias Oasis jetzt mit dem ungewohnt harten Album „Be Here Now“ zurück.

Liam Gallagher sieht aus, als befände er sich auf der Bühne. Mit langem, blauem Mantel und getönter Brille steht er vor dem Oasis-Office in London, die Beine gespreizt, seine Hände hinter dem Rücken verschränkt, das Kinn stolz vorgeschoben. Doch heute muß er ausnahmsweise kein Publikum in Rage versetzen. Er beugt sich über den betagten Bella-Motorroller seines Managers. „Der ist top, wirklich!“ sagt er aufgeregt und umkreist das Gefährt „Ich habe drei von den Dingern zu Hause. Top, top, top!“

Dann erscheint Noel Gallagher, zwanglos in Jeans und ein kastanienbraunes Izod-Hemd gekleidet. Er schwirrt an seinem Bruder vorbei in den Konferenzraum, wo er einen Nudelsalat herunterschlingt. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein unermeßlich wertvoller Schatz: eine Cassette mit den Songs von Oasis‘ drittem Album, „Be Here Now“, das am 2L August erscheinen wird.

Es ist ein kleines Wunder, daß dieses Album überhaupt zustande kam, betrachtet man die minuziös dokumentierte Love/Hate-Beziehung der Gallagher-Brüder und obendrein bedenkt, daß sich Oasis beinahe aufgelöst hätten, als Noel der Gruppe während ihrer letzten US-Tour urplötzlich bye-bye sagte. Doch nachdem sich die erhitzten Gemüter ein paar Monate später abgekühlt hatten, taten sich Oasis wieder zusammen, und zwischen Dezember ’96 und März ’97 wurde dann „Be Here Now“ aufgenommen. Resultat all der Skandälchen und Gerüchte, die sich um die sich um die Zeit im Studio ranken, dürfte sein, daß das Album wesentlich rauher und agressiver als sein Vorgänger („What’s The Story) Morning Glory?“ von 1995 klingt.

„‚Morning Glory‘ war ein bißchen sehr poppig und sauber“, sagt der ältere Gallagher; während er sich die Pasta einverleibt „Diesmal aber haben wir beschlossen, wirklich alles zu geben. Es sollte so laut wie möglich klingen. Es…“ Auf einmal bricht er ab, weil er hört, wie Bruder Liam im Nebenzimmer einem Office-Mitarbeiter lauthals seine Bewunderung für No Doubt gesteht „Was hast Du da gerade gesagt?“ schreit Noel seinen Bruder an. „Das ist doch völliger Schrott, Mann!“

„Quatsch, ein Super-Song ist das“, gibt Liam zurück, womit er „Don’t Speak“ von No Doubt meint.

„Das ist’s, was heute in der Musik falsch läuft!“ schreit Noel und knallt die Tür zu. „Fucking hell, fuck No Doubt! Liam behauptet, er möge den Song. Das kann ich einfach nicht glauben. Allmächtiger Gott, ich hab echt ein Problem mit der Tante, die da singt. Ich bin mir sicher, daß sie in Wirklichkeit eine ganz nette Person ist, aber das ist nun keine Entschuldigung dafür, daß dieser Song totaler Schrott ist.“

Noel wechselt das Thema, indem er ein Tape des neuen Albums in den Recorder steckt Danach dreht er die Anlage auf ohrenbetäubende Lautstärke, und als darauf „D‘ You Know What I Mean?“ aus den Boxen kracht, lehnt er sich ganz relaxt in seinem Sessel zurück. Es ertönen psychedelische Gitarren und drum hops, die, wie Noel erklärt, von N.W.A.S „Straight Outta Compton“ gesampelt sind. Der Song endet in einem Singalong-Chorus. Die Melodie von „D‘ You Know What I Mean?“ entspricht den klassischen Oasis, aber solch wüste, perkussive Erschütterungen hat man noch nie von der Band gehört. Deutlich hat die Zusammenarbeit Noels mit den Chemical Brothers für deren Hit „Setting Sun“ abgefärbt.

„Das hat bestimmt unseren Lärmpegel beeinflußt“, meint NoeL „Als wir diesen Song gemixt haben, hörten wir unseren Drum-Track und dann .Setting Sun‘. Wenn bei ihnen die Drums einsetzen, dann sind sie doppelt so laut wie unsere. Deshalb hab ich gesagt ,Unsere müssen noch jucking lauter sein als die.‘ Es geht ja nur um compressors und equalizers, Kram, von dem ich eigentlich gar nichts verstehe. Ich saß nur in der Ecke, trank und schrie: ‚Das ist noch nicht laut genug, turn it up!'“

Auf dem Album wechseln solch treibende Rocker wie „It’s Getting Better (Man!!)“, „Be Here Now“ oder das stark an die Sex Pistols erinnernde „My Big Mouth“ mit gefühlvollen Balladen: „All Around The World“, „Stand By Me“, „Don’t Go Away“ oder „Magic Pie“, das von Noel gesungen wird. Einige der Songs haben dank der Gitarren- und Streicher-Arrangements fast orchestrale Wucht Obwohl Sänger Liam unlängst seine Songwriter-Fähigkeiten getestet hat und zusammen mit John Squire einen Titel für „Do It Yourself, der Debüt-LP von Squires Band The Seahorses, schrieb, stammen alle Songs auf „Be Here Nov“ von NoeL „I wrote the fucking Songs for Oasis“, sagt der mit der ihm eigenen Bravour.

Die ersten Sessions für „Be Here Now“ fanden in den Abbey Road-Studios statt, aber dort schmiß man die Band schon bald raus. Noel erzürnt: „Wir sollen angeblich zu laut gespielt haben. Kannst Du dir das vorstellen?“ Daher haben Oasis den Großteil der 12 Songs, Spieldauer 72 Minuten, in den Ridge Farm Studios aufgenommen, die im Süden Englands liegen. Aber die eigentliche Entstehungsgeschichte der Titel geht noch ein bißchen weiter zurück, zu einem Urlaub in der Karibik, den Noel im letzten Herbst unternommen hatte.

,,Der erste Teil von Jade In/Out‘ wurde in einer kleinen Hütte am Strand aufgenommen“, erklärt NoeL Bei dem Song – dem wohl bluesigsten Stück, das die Band je aufnahm – ist als ein Special guest auch der Schauspieler Johnny Depp an der Gitarre zu hören. „Wir waren eines Nachts ziemlich besoffen, ich habe mir Johnnys Slide Guitar geborgt und versucht, dieses Solo zu spielen“, erinnert sich NoeL „Es klang aber einfach nur schrecklich. „Dann hat Johnny sich hingesetzt und dieses Solo in einem Take runtergespielt. Er ist wirklich ein verdammt guter Gitarrist.“

Trotz des Drucks, ein Nachfolge-Album zu dem enorm erfolgreichen JAommg Glory?“ aufzunehmen und dem bohrenden Interesse der Medien an allem, was mit den Gebrüdern Gallagher zu tun hat, zeigt „Be Here Now“ eine revitalisierte Band. Noel ist wie verwandelt. Er ist stets guter Laune, reißt Witze und lacht vieL wenn er über das neue Album spricht Eine große Veränderung, bedenkt man, in welcher Verfassung er sich befand, als er letzten Herbst, quasi als ein Warnsignal, vorübergehend ausgestiegen ist.

„Ich konnte einfach nicht mehr“, sagt er und gibt zu, daß er die Entscheidung von damals bereut. „Es war ein echter Zirkus, und ich hatte einfach die Schnauze voll davon, mich mit jedem anzulegen. Für einige Zeit war die Band dann aufgelöst. Wir entschlossen aber, noch eine LP aufzunehmen, um die Sache danach zu beenden. Doch kaum hatten wir mit den Arbeiten begonnen, dachten wir schon: Verdammte Scheiße, warum sitzen wir hier eigentlich rum und jammern?“

Weil es zum Mythos gehört. Zwischendurch rumorte es, Liam wolle nicht mehr singen und sei unauffindbar. Bei einem MTV-Konzert übernahm Noel den Gesang, während man Liam – sein berühmtes Hütchen auf dem Kopf – auf der Galerie herumhampeln sah. Seine Hochzeit mit dem notorischen Groupie Patsy wurde mehrfach verschoben. Dann brach auch noch jemand in Patsys Auto ein, doch gestohlen wurde nichts. Wahrscheinlich hatte sie eh nur Tand im Handschuhfach. Noel heiratete hingegen still und heimlich, wie es seine Art ist, Freundin Meg, mit der er bereits erstaunlich lange liiert ist Treue gilt dem im Grunde wertkonservativen Hedonisten doch noch etwas.

„Bild“, von den britischen Gossenblättern allerbestens informiert, widmete den Brüdern in sensationeller Massierung ihre Rubrik „Mini-Klatsch“ – neben der ingeniösen Jn/out“-Liste der Zeitung eines der Kulturdenkmäler unserer Zeit: Mal wurde vermeldet: „Oasis-Star und Kettenraucher Noel Gallagher (30) hat seine beiden Katzen umgetauft – in ‚Benson‘ und ‚Hedges‘ Wie seine Lieblings-Zigaretten.“ Ein anderes Mal hieß es, Liam werde „immer dicker – zuviel Bier“. Erfreulich sodann die kaum glaubhafte Nachricht: „Immer wieder sonntags-. Die Oasis-Brüder Liam (24) und Noel Gallagher (30) wollen ab sofort sonntags artig sein: kein Sex, keine Drogen, kein Rock’n’Roll.“

Sonntags gibt es auch keine Hörproben mehr: Eine anberaumte sogenannte Listening-Session wurde kurzfristig wieder abgesagt, sämtliche Interviews in Deutschland ebenfalls. Der Zorn der Gallaghers traf die schlecht informierten Schreiber, die auch nach Anhören des Werks unkundig wirkten. Was das Gespann nicht wußte: Das ist immer so.

Unaufhaltsam war immerhin die Single „D’You Know What I Mean?“. Auch hier ernste Erschütterungen: Oasis-Ungläubige hörten ein gestrecktes „Wonderwall“ ohne Magie, dafür aber mit Gefiepe und schweren Gitarren, viel zu lang und plan. Die Erwartung gewaltig, das Stück nur ein Song, ein Oasis-Song eben. Im Text schillert Noels Primaner-Lyrik mit den unvermeidlich burschikosen Zitaten von „blood on the tracks“ bis „fool on the hill“. Die Noel-Musikgeschichtsmaschine rattert wieder reibungslos.

Und nun „Be Here Now“. Wie bereits gesagt – beinahe kaum Pop, der Rock aber hypertroph und mit der sonischen Wucht eines Überschall-Jägers. Schon das Album-Cover kündet mit seinen antiquierten Insignien vom Heraufziehen eines hybriden Neo-Klassizismus: Das Tableau mit Villa und Swimming-Pool samt dem versenkten Rolls-Royce erinnert an ein Stilleben aus einem frühen Film des englischen Exzentrikers Peter Greenaway. Imperial führen Oasis hier die Herrschaftszeichen von Welteroberung und Wissensmonopol vor, dabei natürlich auch: das Grammophon und der Motorroller im Vordergrund.

Der linke Theoretiker Jeremy Gilbert vom Debattier-Zirkel „Sign Of The Times“ analysiert: „Britpop ist Blairismus: der Triumph der weißen über die schwarze Kultur.“ Und Oasis „spiegelt die Vferunsicherung weißer Mittelständler“.

No, Sir: Oasis ist Monarchismus, der Triumph der Popkultur über den Elitismus – und die Selbstvergewisserung Englands.

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