Erst verführerische Filmauftritte, nun entrückte Lieder wie Fieberträume: die Schauspielerin Meret Becker

Es war einmal ein kleines Mädchen, das machte eine weite Reise und wurde danach schrecklich krank. Ein Virus kroch ihr das Rückenmark hinauf bis zum Hirn, sie hatte starkes Fieber. „Hirnhautentzündung. Im schlimmsten Fall kriegste davon ’ne Mattscheibe und stirbst“, weiß sie heute.

Lange lag sie darnieder, ihre Mutter war weg, und ihr Stiefvater las ihr allerlei schauerliche Balladen und Geschichten vor: „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“, „Das eigensinnige Kind“, „John Maynard“. Wir wissen nicht, ob es der anrührenden Pflege des Berliner Schaubühnen-Stars Otto Sander zu verdanken war: Ziehtochter Meret Becker jedenfalls war bald wieder gesund. Das Mädchen wurde Punk, schmiß die Schule, wollte Schauspielerin werden. Da war sie gerade 17, und der Stiefvater drohte: Wenn sie das Abitur sausen ließe, werde es Ärger geben.

Widerstand war zwecklos, Ärger hat Meret Becker nie gescheut. Als Margarethe von Trotta sie bei den Dreharbeiten zum Wiedervereinigungs-Rührstück „Das Versprechen“ leidenschaftslos von Bodenmarke zu Bodenmarke scheuchte, gab es „mächtig Krach“. Weil Meret dabei „die Hingabe fehlte“.

Sie ist Schauspielerin geworden, weil sie ein Star werden wollte. Das kann man nicht lernen, deswegen hat sie auch den Schauspielunterricht verweigert. Lieber arbeitete sie gleich mit deutschen Größen der Regie wie Doris Dörrie, Dominik Graf und Sönke Wortmann in Filmen wie „Das Versprechen“ und „Die Sieger“. Das deutsche Feuilleton liegt ihr seither zu Füßen, sucht irgendwo zwischen glamourösen Fotos und frechem Mädchen nach einer Begrifflichkeit für den Eigensinn, schwärmt vom „zarten Vamp“ (FAZ-Magazin).

Doch das deutsche Kino bietet wenig Spielraum für Glanz und Gloria. „Das liegt an der Kleinlichkeit der Deutschen,“ meint Meret Becker. „Hier wagt es keiner, Realitäten zu verschieben, und meistens bleibt es dann bei einem netten kleinen Fernsehfilm, der ins Kino kommt.“ Auf Berliner Variete-Bühnen wie der „Bar jeder Vernunft“ singt, kreischt, haucht Meret Becker Lieder von Brecht und Holländer. Fernab der faden Filmwelt hüllt sie sich in die düsteren Fieberträume der Kinderkrankheit. Sie erzählt Märchen und Balladen mit entrückter Musik versetzt und freut sich über die kleine Verwirklichung des großen Traum: „Ich kann jeden Abend Diva sein.“ Alexander Hacke, der Gitarrist der Einstürzenden Neubauten, spielt und arrangiert für sie. Im April haben sie in Las Vegas geheiratet. Heimlich, so wie sie das immer wollte. Der Stiefvater hat die Stirn gerunzelt. Meret hat ihm dafür ihre erste Platte gewidmet: „Noctambule“, ein Mitschnitt ihres letzten Bühnenprogramms. Der Filmstar muß warten, denn die Sängerin hat dabei „einen Heidenspaß“.

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