Erst verlacht, gilt STING nun als veritabler Brecht-Interpret. Viele Popstars schwärmen für den deutschen Bänkeldichter

Kurz vor seinem Auftritt muß der Engländer mit der klaren Stimme noch einmal Vokabeln pauken. „Und gibt’s auch kein Schriftstück vom Standesamt und kein Blum auf dem AI…, Alt…“ „Altar“, wird er vom deutschen Promoter verbessert. „Ach“, seufzt der Barde, „alles vergessen“. Die Zeilen aus Brechts „Liebeslied“ wollen Sting partout nicht mehr einfallen. Dafür wird er an diesem Abend den „Mackie Messer“ in passablem Deutsch vor rund 16 000 begeisterten Dortmundern singen. Das wird inzwischen von ihm erwartet. Tourt der Englishman durch Germany, ist die Moritat aus der „Dreigroschenoper“ Zugabe-Pflicht.

Nicht immer fand die Kritik dafür lobende Worte. Als der gute Mensch aus Newcastle vor zwölf Jahren mit Gianna Nannini, Eberhard Schoener und Jack Bruce Brecht-Weill-Chansons im Hamburger Schauspielhaus sang und den Ganoven Mackie Messer später in der Broadway-Inszenierung mimte, wurden Häme über ihn ausgekübelt. „Brechtmittel“, maulten Kritiker, die genug hatten von Stings Ambitionen. Die Zeiten ändern sich, die Urteile auch: Heute ist der Ex-Police-Mann, wie viele seiner etwas älteren Pop- und Rock-Kollegen, zum anerkannten Brecht-Interpreten erhöht worden.

Brecht boomt – und das nicht erst zu seinem bevorstehenden Geburtstag: Am 10. Februar wäre der Dichter und Denker 100 Jahre alt geworden. Die Liste der Pop-Stars, die sich an dem von Kurt Weill oder Hanns Eisler vertonten Brecht-Werk abarbeiten, wird seit Jahren immer länger und reicht von David Bowie, Lou Reed bis zu PJ. Harvey. Den Anfang hatten 1966 die Doors mit der Cover-Version des „Alabama Songs“ aus der „Mahagonny Oper“ gemacht. Die Aufnahme hatte den Elektra-Boss Jack Holzman so begeistert, daß er seine Skepsis gegenüber Rock-Bands vergaß und die Doors unter Vertrag nahm. Wer Brecht und Weill kannte, mußte auch intellektuell sein.

Immer mehr Pop-Musiker hofften, sich mit den deutschen Chansons und Moritaten die höheren Weihen zu verleihen. Bowie berief sich damals auf Brechts Maxime, als er schwärmte, anspruchsvolle Pop-Songs sollten gefalligst Hirn und Hose stimulieren. Das hätte Brecht bestimmt gefallen. Der oft mißverstandene Theoretiker hatte sich immer wieder gegen jene Kritiker verteidigt, die ihm vorwarfen, die Emotion der Didaktik unterzuordnen. Er sehe keinen Widerspruch zwischen der Erkenntnis und dem Vergnügen, erwiderte er. Seine Liebesgedichte sind so frivol, daß sie dem Bildungsbürger noch heute die Schamesröte ins Gesicht treiben. In „Sauna und Beischlaf“ wird heftiger kopuliert als in den short stories von Bukowski. Brechts Rat an alle wilden Empfindsamen: „Am besten fickt man erst und badet dann.“

„Ich habe Brecht an der Uni studiert. Ich liebe seine Texte und seine Musik“, sagt Sting, „Als ich aber seine Lieder erstmals auf Deutsch sang, war mir schon mulmig zumute. Da stehst du dann und hast keine rechte Ahnung, was du da singst.“

Lange bevor er den Mackie Messer gab, hatte sich bereits Bowie als Brecht-Mime profiliert. 1982 trat er in der BBC-Inszenierung von „Baal“ auf, die später als Platte im Backkatalog des Pop-Exzentrikers erschien. Helen Schneider, heute nur noch in seichten Musicals zu sehen, brillierte einst mit Konzept-Alben wie „A Walk On The Weill Side“. Elvis Costello, Lou Reed, PJ. Harvey, Nick Cave und Stan Ridgway traten 1994 mit Songs von Brecht/Weill auf und machten daraus ihren preisgekrönten Konzertfilm „September Songs“. Und Hai Willner hatte auf seinem Sampler „Lost in The Stars“ Marianne Faithful zu schrägen Adaptionen der Brecht-Weillschen Lieder inspirieren können. Van Morrison meinte sogar, jedes Lied klinge bei Marianne Faithfuls geborstenen Stimme wie eines von Weill. Mit ihrer Hommage „20th Century Blues – An Evening In The Weimar Republic“ feierte der gefallene Rock’n’Roll-Engel 1996 neue Triumphe. „Diese Musik ist besser als Sex“, behauptet Faithful. Die Weimarer Republik, in der Brecht und Weill die meisten ihrer Klassiker schrieben, hätte viel mit den Sixties gemeinsam: „Es waren aufwühlende Zeiten – ungewöhnlich kreativ und sehr dekadent.“

Für alle, die das überprüfen wollen, gibt es jetzt eine Brecht-Anthology. Zum Jubeltermin erscheint das 20-CD-Box-Set „Werke“ mit unveröffentlichten Ton-Dokumenten, darunter Aufnahmen von Brechts Aussage vor dem Ausschuß für unamerikanische Betätigung 1947. Schön und gut: Nur der Gesang des Herrn Brecht ist ziemlich gewöhnungsbedürftig.

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