Für Martin Gretschmann alias Console wurde das Wort „frickeln“ erfunden. News: Er „schraubelt“ lieber

In Sachen Unstylishness ist man in Weilheim weit vorn. Wenigstens Kleiderfragen betreffend. Wie Martin Gretschmann da hinter seiner Kaffeetasse sitzt, das folgt direkt dem Kapitel in der Popstaranleitung, wie man doch bitte sehr niemals zum Pressefototermin erscheinen solle. Wirklich: Die Haare kringeln sich so unwirsch um eine fette Brille, dass man nur im Casting-Büro jubelt: Für einen Nerd wäre der Tüftler aus Oberbayern die ideale Besetzung. Und schon schnappt das erste Klischee ins Schloss. Wenn schon. Stimmt doch!

Also Gretschmann, der Sound-Maniac. Der Depeche Mode mit einem Remix veredelte. Björk hat er einen Track geschenkt. Sternenstaub aus der größeren Popwelt, den Gretschmann gleich wieder wegwischt. Weil er halt weit mehr in der guten Weilheimer Stube verbringt, wo die Klänge mit der Goldwaage abgemessen werden. Im prominenten Zweit-Job passiert das bei The Notwist, die er mit den wundersamen Möglichkeiten des Computers vertraut gemacht hat Im Reflex auf das letzte Notwist-Album, bei dem jeder Millimeter unerbittlich ausdiskutiert wurde, wollte Gretschmann unter eigenem Namen bei seinem Projekt Console eine „ganz einfache Platte“ machen. So stellte er sich’s vor, als er sich mit dem Laptop nach Barcelona absetzte, wo doch nur das Prinzip Weilheim wartete. Ohne Frickeln geht bei Gretschmann nichts, den Atari-Punk müssen andere geben.

Ein Jahr lang wurden Sounds gesammelt, sorgsam geknautscht und in Form frisiert. Träumerisch tändelnd geht es wieder auf „Reset the Preset“ zu. Gretschmann, harmonisch ein Genussmensch, rührt gern in der Cappuccino-Schaumkrone: „Das kann schon ein bisschen rumschmalzen.“ Gar zu gefalliges Pathos weiß er mit fester Hand in nette Melodien umzubiegen – seine Liebe gilt auch den Schrammelgitarren-Bands. Was ebenso am Computer geht. „Schraubein“ wäre sein Wort dafür. „Ein Heidenlärm. Und darum geht es ja, wenn’s rocken soll.“ Bei der Notwist-Tour hat sich Gretschmann sogar die Finger an seinem Keyboard blutig gehackt.

Den Titel einer seiner Nummern mag man als programmatisches Bekenntnis nehmen: „The Times They Are Not A- Changing“. Obwohl: Für Gretschmann doch. Erstmals hat er sich an wirkliche Songs herangewagt. Mit Miriam Osterrieder singt sie eine alte Freundin aus Weilheim. Was gleich noch alte Arbeitsteilungen bestätigt: Die Männer bedienen den Maschinenpark. Die Frau singt. „Das ist was, über das ich gar nicht nachdenken muss. Console ist feminin.“ Mag sein, weil aber dieses Frau-Mann-Modell in der elektronischen Musik der Standard ist, darf man auch mal am alten Philosophenzopf weiterdenken, der Frau so gern mit Natur gleichsetzt. Die dann wieder Geist/Technik ausbalancieren muss. Man darf jedoch vermuten, dass auch bei den Gender-Fragen in Weilheim noch so lange getüftelt wird, dass differenziertere Positionsbestimmungen möglich werden. Sicher wird sein: Aus modischen Gründen macht man das nicht. Dann geht es schon ums Grundsätzliche.

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