Fußball-WM in Brasilien: Alles oder nichts für Spanien!

Heute gilt's. Gegen Chile müssen sie gewinnen, sonst gibt es für den Weltmeister nur noch theoretische Chancen aufs Weiterkommen. Und das möglichst klar und hoch, denn das Torverhältnis ist nach dem Holland-Spiel auch schon versaut.

Der Filmjournalist, Kritiker und ROLLING-STONE-Autor Rüdiger Suchsland schreibt hier über die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien.

Alles oder nichts für Spanien

Na, da hatten die Belgier aber richtig Glück, dass sie gegen Algerien in Rückstand geraten sind. Sonst wäre es ihnen schwer gefallen, zu gewinnen. So aber hatte alles seine Ordnung: Die Algerier konnten sich über ihr erstes WM-Tor seit 1986 (beim 1-1 gegen Nordirland) freuen, und die Belgier darüber, dass sie zwar gewonnen haben, aber nach diesem überraschend schwachen Auftritt ein wieder ein bisschen geheimerer Geheimfavorit sind, als vorher.

Meine sehr persönliche Weiß-Regel traf übrigens auch auf die Algerier wieder zu: Wessen Trikot ganz in Weiß gehalten ist, der Farbe der Unschuld, der Kapitulation und des Todes, der hat bisher noch kein Spiel gewonnen. Aber immerhin ertrotzte sich Südkorea gegen die Russen ein 1-1.

Die zweite Regel, die sich bei dieser Vorrunde erstaunlich gut hält, ist eben die, die auch für Belgien wieder galt: Dass eine 1-0 Führung keineswegs auf einen Sieg hindeutet. Kaum mehr als die Hälfte aller Mannschaften, die in diesem Turnier 1-0 in Führung gingen, ging am Ende als Sieger vom Platz: Acht. Sieben mal ging die Führung verloren. Algerien verlor sogar noch und Südkorea vergeigte am Abend gegen Rußland die verdiente Führung.

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Die Russen enttäuschten. Zwar war trugen sie blutigfarbenes Sowjetrot, doch erinnerten sie in Kampfkraft wie Durchsetzungsstärke zu keiner Minute an die Rote Armee. Was soll das nur werden in vier Jahren, wenn die WM in Putinland stattfindet. Aber auch bei den Koreanern sind die Zeiten des glorreichen Tscha Bum Kun lange vergessen.

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Das zweite 0-0 war entgegen des Resultats eines der aufregendsten Spiele der ersten fünf WM-Tage: Mexiko – Brasilien. Von den Rängen hörte man mehr mexikanische Gesänge als brasilianische: „Mechico, Mechico ra ra ra“ skandierten die Fans, und neben dem Spielfeld entfaltete sich auch noch ein Gesangsduell, das dem auf dem Rasen kaum nachstand.

Dort sah man temporeiches Chaos, ein sehr schön anzusehendes Aufeinandertreffen zweier limitierter Spielstile. Mexiko nutzte plötzliche Lücken und verließ sich sonst auf Distanzschüsse. Die Underdogs zeigten ihre Stärken, zäh und konsequent drehten sie den Spieß um, und fighteten giftig wie einst der Aztekenkönig Cauthemoc gegen die Conquistadoren. Zunächst mußte man fürchten, daß der Ausgang der gleiche sein würde, denn anfangs spielte Brasilien noch souverän. Doch danach gelang es, den gerissen taktierenden Fußball-Guerilleros, den überlegenen Gegner zunächst einzuschläfern, und dann immer auf dem falschen Fuß zu erwischen.

Brasilien tat sich schwer. Mexiko bemühte sich, das Tempo aus dem Spiel zu nehmen, um die eigenen Kräfte zu schonen. Mitunter wirkte es, so ruhig und gemächlich, als wollten die Mexikaner ihre Mittagssiesta auf dem Spielfeld fortsetzen. Dann aber rannten sie wie von der Riesentarantel gestochen und kämpferisch wie Celtic-Verteidiger im Glasgower Lokalderby, und pflügten auf diese Weise das Konzept der mit einem solchen Gegner überforderten Brasilianer nieder.

Rattatazong machte es schon ein paarmal vor der Pause auf beiden Seiten, aber das 0-0 hielt. Ein Erfolg für Mexiko. Die Glanzparaden des erstaunlichen mexikanischen Torhüters Guillermo Ochoa besorgten den Rest: Schnell wie Speedy Gondalez flitzte er von Ecke zu Ecke, und hechtete immer dahin, wo der brasilianische Schuss hin sollte.

Eine institutionalisierte Revolution auf dem Spielfeld war’s zwar nicht, aber wenn sich die Mexikaner im dritten Spiel nicht von den plumpen kroatischen Grätschern verunsichern lassen, können sie sich mit dieser schönen Leistung durchaus Hoffnungen aufs Achtelfinale machen.

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Heute gilt’s für Spanien. Gegen Chile müssen sie gewinnen, sonst gibt es für den Weltmeister nur noch theoretische Chancen aufs Weiterkommen. Und das möglichst klar und hoch, denn das Torverhältnis ist nach dem Holland-Spiel auch schon versaut. Was werden die Spanier machen? Das Rasenschach, bei dem die Selección das Spielwerkzeug in bekannter Weise zirkulieren lässt, und den Gegner dadurch einschläfert, wird nicht genügen. Sie müssen von Anfang an offensiv werden, Chile darf dagegen mit einem Unentschieden zufrieden sein. Chiles Behäbigkeit ist ihre Schwäche. Spanien wird aber trotzdem hohes Risiko gehen müssen, mit zwei Stürmern spielen. Ob Silva wieder aufgestellt wird? Ob Pedro von Anfang an spielt?

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Das Spiel werde ich in Mannheim gucken. Gestern schon war ich im Andalucia, definitiv the „place to be“ in der Quadratstadt, um mich fürs Russland-Spiel zwischen den drei riesigen Flachbildschirmen entscheiden zu müssen.

„Heute is alles oder nichts“ sagte Juan, der Chef des Lokals beim Vino Tinto im Blick auf Spaniens zweites Spiels. Wie es sich für Kneipenwirte gehört, ist Juan ein Stoiker, aber der Auftritt seines Teams gegen Holland hat ihn doch etwas aus der Ruhe gebracht. „Klar, der Sieg war zu hoch, wie der Sieg der Deutschen, aber so geht’s nicht.“ Dann schaun‘ mer mal heute Abend wie’s geht. Vamos!

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