Gepflegte Romantik

HAMBURG, DOCKS: Es war kurz vor Konzertbeginn, und wir saßen noch beim Chinesen neben dem Docks, als eine melancholische Melodie an den Tisch wehte. Nur ein Akkordeon, kaum lauter als das Stimmengemurmel. Doch die Weise klang vertraut. War das nicht „Die letzte U-Bahn geht später“? Oder vielleicht doch nur ein altes französisches Chanson? Es war eine eigenartige Atmosphäre, als würde Sven Regener im Nebenraum sitzen und gleich mit dem Singen anfangen. Offenbar ging es auch anderen so: Es klimperte reichlich, als nach ein oder zwei Minuten ein grinsender Albaner mit Quetschkommode um die Ecke bog und sein Kollege den Pappbecher herumreichte.

Zehn Minuten später im Docks. Es ist kurz vor Neun, am ersten Tag der Sommerzeit, also eigentlich erst kurz vor Acht. Die Vorgruppe ist längst fertig, Element of Crime spielen den ersten Song: „In die Straßenbahn des Todes/ Die heulend sich zum Stadtrand quält/ Werd ich mich klaustrophobisch zwängen/ Weil auch die kleine Geste zählt.“ Es könnte das Motto des Abends sein. Das Docks ist nämlich – wie schon am Vortag – komplett ausverkauft.

Der Bühnenaufbau wirkt dezent. Wie aus den frühen Sechzigern: Hinten ein langer Vorhang, das Schlagzeug thront auf einem niedrigen Podest, die Gitarrenverstärker sind kleine Koffer. Links steht Jakob Ilja, in der Mitte Regener, hinter ihm streichelt „Bongogott“ Pappik die Becken. Der in Ehren ergraute Dave Younghat sich am rechten Rand positioniert und sieht dabei aus wie ein mittelalterlicher Zauberer. So viel ist klar: Hier gibt es keinen falschenjugendkult.

Element of Crime spielen das zärtliche „Wenn der Winter kommt“, und ich staune über den makellosen Sound. Jeder Einsatz kommt perfekt, als würde die Band telepatisch kommunizieren. Sven Regener gibt sich selbst mit den Ansagen Mühe, das heißt – er macht welche: „Ja, also, das nächste Stück ist .Finger weg von meiner Paranoia‘. Also, ja… dann spielen wir das jetzt mal.“ Ein Pärchen kuschelt, manche singen leise mit.

Doch irgendwann schleicht sich Langeweile ein. Müssen die Songs wirklich exakt so klingen wie auf Platte? Spricht etwas dagegen, auch mal das Tempo anzuziehen? Bewegungslos stehen sie da. Rock? Gerne, aber sauber gespielt muss er sein! Sicher, die leicht abgespeckten Arrangements – es gibt keinen Keyboarder, kein Akkordeon, keine Extras zeigen die Qualität der Melodien. Und es kann weißgott nichts schaden, dass man Regeners Texte gut versteht. Aber es hilft nicht, „Romantik!“ zu rufen, ohne eine Atmosphäre des Besonderen zu kreieren. Immerhin zeigt Jakob Ilja mit ein paar raffinierten Spielereien gelegentlich sein Talent, und wenn Regener die Trompete ansetzt, leuchten im Publikum die Gesichter.

Die Band spielt sich durch ein Best-Of Programm, Höhepunkt ist aber das neue „Die Türen weit offen“. Es ist heiß und eng. Und manchmal wünscht man sich zurück zu dem Chinesen um die Ecke, wo der melancholische Albaner traurige Weisen spielt.

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