Gerrit Starczewski. ‚Everything Rock’n’Roll‘: Werkschau in Amsterdam. Fotografien und Erinnerungen

Eine Auswahl der Bilder – mit Kommentaren – die der Fotograf Gerrit Starczewski in seiner Amsterdamer Ausstellung 'Everything Rock'n'Roll' zeigt.

von Sassan Niasseri 01.02.2013

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Gemischte Tüte: Zebra

Fotos: Gerrit Starczewski. ‚Everything Rock’n’Roll‘: Werkschau in Amsterdam. Fotografien und Erinnerungen

Gemischte Tüte: Zebra

nakedHEART 2009-2012 Melt! 2010: Auf der Hauptbühne spielen Polarkreis18. Ich wollte gerade von der Hauptbühne zur Zeltbühne laufen, als sich vor mir ein junger Mann entkleidete. Es war ein Engländer, der in gekonnten Tanzeinlagen einen Striptease hinlegte. Die Leute jubelten ihm zu. Sie lachte.

Sie schrien. Sie waren glücklich und losgelöst. Eine Welle der Euphorie schwappte über das Melt! und der nackte Engländer machte noch wochenlang von sich reden. Und das nur, weil er sich so zeigte wie er ist, nackt. Er war die Inspiration für mich zum nakedHEART.

FreePussyRiot: Als ich von der Inhaftierung der russischen Band PussyRiot hörte war ich empört und schockiert. Ich habe mich immer sehr für die Entstehung der Riot-Girl Bewegung in den Staaten interessiert (Bikini Kill) und habe immer großen Respekt, wenn man revolutionären Spirit in sich trägt und den Mut hat zur Veränderung. Es ist eine Schande, dass die Frauen in Russland verhaftet und verurteilt wurden.

Und macht mir umso mehr bewusst wie gut es mir, wie gut es uns eigentlich geht. Wir sind frei, wir können in Deutschland tun und lassen was wir wollen, wir können wählen gehen, wir können auf der Straße demonstrieren, wir können frei unsere Kunst machen. In Worten, Bildern in Musik.

Ich bin ein Freigeist, ich bin Künstler und ich komme aus dem Rock´n Roll und ist es für mich eine Selbstverständlichkeit mit meinen Mitteln PussyRiot zu helfen. Ich widmete mein nakedHEART beim Appletree Garden und Frequency Festival eben PussyRiot. Beim Frequency versammelten wir uns mit 80 Leuten genau um 12 Uhr, zu der Uhrzeit, der Urteilsverkündung.

Playboy Bunny Bochum / 1994: Jenes Erlebnis sollte mich für immer prägen und verändern. Nach meinem ersten Stadionbesuch in Bochum war nichts mehr, wie es war. Mein Vater Gerd fuhr schon seit Jahren jedes zweite Wochenende, immer samstags, mit meinem Bruder dorthin.

Pommes Horst und Gisela 2010: „Imbissexpress“ heißt der mobile Pommeswagen, mit dem Horst und seine Ehefrau Gisela seit über 30 Jahren bei den Heimspielen des VfL Bochum an der Castroper Straße gegenüber des Stadions und vor den Gefängnismauern stehen. Beide sind um die 70 Jahre alt und stets freundlich.

GE-fickt / 2008: Bochum gewann das Derby auf Schalke mit 2-1. Es sind die schönten Momente, wenn der kleine VfL Bochum gegen den verhassten Nachbarn aus Schalke gewinnt. Dies wird natürlich über Wochen gefeiert. Beim Auswärtsspiel in Bielefeld erinnerte dieses Spruchband daran, was man eine Woche zuvor mit Gelsenkirchen getan hatte .

Sufjan Stevens / 2011: Eines der schönste Konzerte ever. Zur Zugabe fielen hunderte bunte große Ballons von der Decke herab aufs Publikum. Die Leute schmissen mit den Ballons umher und ich spürte Gänsehaut und fühlte mich wieder bestätigt in dem Gedanken: „Glück liegt in der Aufmerksamkeit kleiner Dinge“ – und mit Ballons wird jeder wieder zum Kind. Ich nahm so viele Ballons nach dem Konzert mit wie ich nur tragen konnte. Sie hielten sich noch über Wochen.

Kiss / 2012: Matterhorn, Schweiz. Oben auf den Bergen fand in 3000 Meter Höhe während des ZERMATT UNPLUGGED Festivals eine „Mini Playback Show“ statt für alle Kinder aus dem Ort. Ich hatte nur noch ein Bild auf dem Film und keinen Ersatzfilm dabei. Als ich dann hinterm Zelt diesen Jungen sah, war ich einfach sprachlos. Er wirkte so cool, so abgeklärt und war erst 5 Jahre alt und hatte noch nicht einmal alle Milchzähn

Feist / 2005: Feist veröffentlichte gerade ihren Hit „One Evening“. Als ich ihn das erste Mal im Radio hörte, verliebte ich mich sofort in die Stimme. Der Zufall wollte es, dass sie einige Zeit später am frühen Vormittag auf einem Festival im Kölner Jugendpark spielte. Ich fotografierte ihr Konzert, schlich mich backstage, um Portraitbilder mit ihr zu machen.

Sie war so liebevoll, so freundlich und malte sich mit Edding Linien auf die Haut und klebte sich weißes Tapeband ins Gesicht. Ihre Aura faszinierte mich und zog mich in den Bann, sodass ich gar nichts sagen konnte. Wir schauten uns in die Augen, ohne etwas zu sagen, und ich fotografierte sie dabei.

Beth Ditto / Gossip / 2006 – 2012: Als Beth Ditto noch nicht bekannt war, habe ich bei einer kleinen Clubshow ihren Fuß für meine „Dancing Shoes“ Serie fotografiert. Dreckig, leicht geschwollen, dennoch natürlich und echt. Natürlich musste dieses Bild in mein Buch, ich habe aber vorher nicht um Erlaubnis gefragt. Deshalb hatte ich ein Problem. Dann wurde Gossip bekannter, und Beth Ditto ein Star.

2010 beim „Pinkpop Festival“ fing ich sie nach dem Konzert ab und zeigte ihr das Buch. Sie kannte es bereits. Sie sagte: „Ich habe bereits davon gehört, Alison hat mir davon erzählt“. Alison war Alison Mosshart von „The Kills“. Beth Ditto schrieb mir eine Widmung ins Buch: „Das ist zehr Punk“. Ich war froh, denn ich hatte Angst, sie würde es mir um den Kopf hauen, weil ich sie nicht um Erlaubnis gefragt hatte, ob ich ihr Fussfoto veröffentlichen darf.

The Kills / Zoot Woman / 2008: Es war ein Tag Ende März 2008. Tags zuvor hatte ich „Zoot Woman“ fotografiert. Der Sänger, Johnny Blake, trug rote, glänzende Schuhe. Noch nie hatte ich so einen Glanz auf einem Schuh gesehen. Die Beleuchtung war dunkel gehalten, dennoch strahlte der Boden rot. Ich dachte, ich hätte das Schuhfoto meines Lebens gemacht.

Scott Matthew / 2011: Es gab mal ein Mädchen in München, sie hieß Anna. Sie schickte mir ein persönliches Mixtape zu. „Take Care of sinus“ hieß es. Auf diesem Mixtape war ein Lied von Scott Matthew: „In the End“. Scott ist New Yorker mit einer weichen, sanften Stimme, die direkt ins Herz geht.

Lana Del Rey / 2012: Ich wartete Backtage am Hinterausgang auf Lana Del Ray. Dem Shootingstar 2012. Mit mir wartete noch ein Bekannter, Hayung, aus Berlin. Er bat mich um ein Foto mit Lana. Er ist ein blasser Hauttyp und wurde nach blasser. Lana kam von der Bühne, der Bekannte rief ihr zu und sie kam zu uns. Ich machte das Bild von den beiden. Dann fragte ich Lana nach einem Portraitbild von ihr. Sie stellte sich in sexy Pose hin.

George Clooney / 2006: Ich buchte den Zug nach Berlin und schwänzte eine Woche die Schule mit der Hoffnung, ein Bild von George Clooney ergattern zu können. Wer fragt mich schließlich in zehn Jahren danach, ob ich damals die Schulbank drückte? Kein Schwein. Aber wenn ich ein Bild von George Clooney bekomme, kann es mir Türen öffnen.

Ballon-Bild / 2010: Glück liegt in der Aufmerksamkeit kleiner Dinge. Und Ballons sind für mich Glücklichmacher. Sie versetzen mich zurück in die Kindheit und bereiten mir ein Gefühl von Freiheit und Glückseligkeit.

Elvis / 2008: Elvis, der erste große Held des Rock´n´ Roll. Elvis ist tot und lebt doch überall weiter. Elvis weiter – jede Stadt und jedes Dorf hat seinen eigenen Elvis. Bochum hatte auch seinen eigenen Elvis. Er hatte sein dunkles Haar immer nach hinten gekämmt war Ende 60, trug Schlangenlederstiefel und hüllte sich in einen langen Pelzmantel. Er stand oft in der Ostkurve.

Der Katalog zur Ausstellung.

Einladung zur Vernissage.

Selbstporträt.

Themen aus dem Artikel:

Gerrit Starczewski Everything RocknRoll Werkschau in Amsterdam. Fotografien und Erinnerungen

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