Glamour Profession – Steely Dan

Als die New Yorker mavericks Becker und Fagen nach Los Angeles zogen, ließ der Kulturschock nicht lange auf sich warten. Der Ort des american dream, an dem auch sie zu Stars werden wollten, war ziemlich deprimierend. „You can’t buy a thrill in California“, wusste Walter Becker in Anlehnung an Dylans „It Takes A Lot Tb Laugh. It Takes A Train To Cry“ Donald Fagen zu berichten. So benannten sie dann auch ihr erstes Album. Im Gegensatz zu Woody Allen, einem anderen New Yorker Intellektuellen, der die Westküste nie ausstehen konnte, entwickelten die beiden mit der Zeit eine Faszination für die dunklen Seiten des kalifornischen Traums. Und wie Randy Newman, der Los Angeles liebt, weil er dort wohnt, haben sie einen satanischen Spaß an den surrealen Auswüchvon Laster und Luxus. Das zeigte sich erstmals auf ihrer Single JDo It Again“. Der Song handelt vom Trieb der/des Protagonisten, die einmal gemachten Fehler – Mord, Affare, Glücksspiel – immer wieder zu begehen. Mit einem elektrischen Sitar-Solo machen Dan sich über den gescheiterten Idealismus der Hippies lustig.

Dass man mit dem Alter immer tiefer in den menschlichen Abgrund schauen kann und die Kluft zwischen zwei Liebenden immer größer wird, davon handelt „Reeüng In The Years“. Nicht mal die Erinnerungen scheint man teilen zu können. „The things that you think are precious I can’t understand.“ Eine der schönsten Steely Dan-Zeilen überhaupt: „You been tellin‘ me you’re a genius/ Since you were seventeen/ In all the time I’ve known you/ I still don’t know what you mean.“ Hollywood wird zum Sinnbild für das Ende des Traums, natürlich sind Drogen im Spiel. „The trip we did in Hollywood/ Is etched upon my mind.“ Schließlich verlässt sie ihn, hat einen Neuen. „The things you think are useless/ I can’t understand.“ Mancher bewundert die Gitarrensoli von EUiot Randall.

In Los Angeles angesiedelt sind auch die Songs von „Gaucho“. Wie in Zeitlupe rollt das Auto in die Stadt, es schwebt auf Bläsern und Trugbildern:

„Drive west on Sunset/ To the sea.“ Die Verheißung: „Close your eyes and you’ll be diere/ It’s everything they say/ The end of a perfect day.“ Die Freunde hatten noch gewarnt: Junge, du spielst mit dem Feuer. Aber da ist er ihnen schon verfallen, den „Babylon Sisters“. „We’ll jog with show folk on the sand/ Drink kirschwasser from the shell.“

Nach offiziellen Schätzungen handeln vier der sieben Songs auf „Gaucho“ von Drogen – und wer weiß, ob das nicht untertrieben ist? „Glamour Profession“ schnurrt gleichförmig und pulsierend ab: „Special delivery/ For Hoops McCann.“ Der Chor singt „Living hard will take its toll“, aber Fagens Stimme widerspricht: „Illegal fun/ Under the sun“, und die Bläser schwirren und schwärmen, die Gitarre spielt ein Lick dazwischen, das Tempo wird gesteigert. „Meet me at midnight/ At Mr. Chow’s/ Szechuan dumplings/ After the deal has been done/ Fm the one.“ Der Song ist kein bisschen Rock’n’Roll und doch ganz bestimmt das beste Stück über Hybris und Wahn im Kokainrausch. Die repetitive Bläserfigur samt Gitarrensolo am Ende verweist in die Unendlichkeit.

Im Meisterstück „West Of Hollywood“ von „Two Against Nature“ wird eine dysfunktionale Liebe geschildert: „I was Kid Gean/ She was Anne de Siecle.“ Der Erzähler, ganz Postmodernist, unterbricht den Bericht vom heißen Sommer: „The truth compels us/ To bring a certain name/ Meet if you will/ Doctor Warren Kruger.“ Wer ist das schon wieder? Am Ende steht „a weekend of bliss/ Then the rainy season“. Und das frei fließende, stupende Saxofon-Solo lässt uns allein. In neun Minuten hat man verdammt was erlebt, wenn auch nur als Ahnung von Ungeheuerlichem.

Rätselhaft bleibt auch jene oder jener „Rikki“, der die Nummer nicht verlieren soll, weil es die einzige ist, die er hat. Der Sänger wartet noch immer auf den „change of heart“ – und dieser unglaubliche, alles Wesentliche aussparende Songtext wurde immerhin eine Art Hit-Einer der berühmtesten und schönsten Dan-Songs handelt von jemandem, der die ganze Nacht Scotdh Whisky trinken und hinterm Steuer sterben will. Vor allem möchte er „Deacon Blues“ genannt werden, wenn er verliert (was offenkundig schon der Fall ist) – Alabama nenne man ja auch Crimson Tide! Sehr viel vernünftiger wird es nicht mehr, bis Deacon uns am Ende erlaubt, ihn zu verklagen, wenn er zu lange spielt. Sein Lied aber macht süchtig.

„Deacon Blues“ ist einer der Songs über Heimweh und Heimkehr auf &4ja“, der Zen-Platte, die im Bild von der Villa auf dem Hügel erfasst ist. Neben „Home At Last“ handelt auch Josie“ explizit vomNadh-Hause-Kommen: „We’re gonna park in the street/ Sleep on the beach and make itl Throw down the jam till die girls say when/ Lay down the law and break it/ When Josie comes home.“ Was muss sie für eine Granate sein.

„TheRoyalScam“ ist das amerikanische Outlaw-Album. In jedem Song – außer in der „You Can Leave Your Hat On“-Pastiche „The Fez“ – rennt jemand vor einer Straftat oder Sünde, die er begangen hat, davon. Den Auftakt macht Kid Charlemagne: In den 60er Jahren war er noch der Alchemist schlechthin, wenn es um bewusstseinserweiternde Drogen ging. „On the Hill the stufFwas laced with kerosene/ But yours was kitchen clean.“ Doch die Zeiten haben sich geändert, die Kunden sind gestorben oder abgehauen, und Kid Charlemagne kann nicht mal mehr die Miete zahlen.

„You’re obsolete“, sagen sie und legen ihm nahe, zu verschwinden, bevor die Polizei sein Labor aushebt. „You’re still an outlaw in their eyes.“ „Haitian Divorce“ ist die obskure Geschichte von Babs und Clean Willy. Zunächst scheint alles ganz wundervoll: Die beiden sind verliebt und heiraten, doch das junge Glück scheint, trotz des sonnigen Reggae-Beats, nicht lange anzuhalten „He shouts, she bites, they wrangle through the night.“ Jetzt muss eine Scheidung her. Besonders schnell geht das anscheinend auf Haiti. „Oh – no hesitation /No tears and no hearts breakin’/ No Remorse/ Oh – congratulations/ This is your Haitian Divorce.“ Babs verschwindet danach schnell in die Hotelbar, um ihren Kummer zu ertränken. Schon stark angeschwippst, gerät sie an den schmierigen Krauskopf Charlie. Zurück in den USA, kommt es zur tränenreichen Versöhnung, die Wunden heilen, ein Kind kommt zur Welt, doch von wem mag es nur die krausen Haare und den dunklen Teint haben? „Some babies grow in a peculiar way/ It changed, it grew, and everybody knew/ Semi-mojo/ Who’s this kinky so-and-so?“ Sicherlich ein Scheidungsgrund.

„FM“ , die Verneigung vor dem gleichnamigen Film, den sie als „,Heaven’s Gate‘ der B-Movies“ bezeichneten, ist auch eine Hommage ans Radio – allerdings weniger nostalgisch als auf Fagens erstem Soloalbum „The Nightfly“. Hier werden die Wirkungen des Radios eher völlig pragmatisch eingeschätzt, weil es eben hilft, junge Damen ins Lotterbett zu locken. „Give her some funked up music, she treats you nice/ Feed her soffle hungry reggae, she’U love you twice/ The girls don’t seem to care tonight/ As long as the mood is right.“ Da bleiben keine Wünsche offen. „No static at all.“

Ein beliebtes Jagdgebiet für ältere Herren stellen weibliche Studentenverbindungen dar. Zumindest für den Protagonisten von „Hey Nineteen“, der wehmütig auf seine Zeit an der Universität in Scarsdale – und vor allem als Dandy der „Gamma Chi“-Schwesternschaft – zurückblickt. „Sweet things from Boston/ So young and willing/ Moved up to Scarsdale/ Where the hell am I.“ Ein für einige Steely Dan-Songs typischer lechzender dirty oldman. Er erinnert ein bisschen an Woody Aliens Alter ego Isaac Davis in „Manhattan“, auch wenn er bestimmt nicht versuchen wird, seinen Nymphchen die Welt zu erklären und sie an die Hochkultur heranzufuhren. Er weiß, wie man Spaß haben kann, ohne zu reden. Da spielt es keine Rolle, dass die jungen Damen Aretha Franklin nicht kennen. Ein bisschen Tequila und was von dem guten Zeugs aus Kolumbien – und alle Kommunikationsprobleme sind gelöst: „No we can’t dance together/ No we can’t dance at all.“

Dupree ist ein schmieriger Geselle, der sich mit nach der Highschool und einer Zeit als Keyboard-Spieler einer Rodk’n’Ska-Band (dementsprechend der zickige Rhythmus des Stücks) mit wenig vertrauenserweckenden Jobs über Wasser gehalten und dabei mehr als einmal den großen Max markiert hat. Nun steht er wohl – ohne es zuzugeben – wieder mit leeren Händen da. Als er seine Tante Faye besucht und zufälligerweise seine gar nicht mehr so kleine Cousine Janine sieht, wird ihm ganz anders: „Honey how you’ve grown/ Like a rose/ Well we used to play/ When we were diree/ How about a kiss from you cousin Dupree.“ Die folgenden Szenen haben dieses Mal aber fürwahr etwas von Humbert Humbert aus Nabokovs „Lolita“. Wie sie ihn in ihren engen Klamotten ganz verrückt macht und er geifernd so tut, als lese er die Zeitung, wie er sie und ihren Freund beobachtet, bis er sich schließlich ein Herz fasst: „M teach you everything I know/ If you teach me how to do that dance/ Life is short and quid pro quo/ And what’s so stränge about a down-home family romance?“ Doch ohne Erfolg. Natürlich kann er das, so unwiderstehlich und aalglatt, wie er ist, überhaupt nicht verstehen. „I said babe with my boyish charm and good looks/ How can you stand it for one more day/ She said maybe it’s the skeevy look in your eyes/ Or that your mind has turned to applesauce/ The dreary architecture of your soul/ I said – but what is it exacdy turns you off?“

Dupree, Jack, Clean Willie, Hoops Mc-Cann, Charlie, Kid Clean, Anne de Siecle, Deacon Blues, Kid Charlemagne, Babs, Josie, Peg: Sie alle vertrauen auf ihre verzweifelte Weise dem amerikanischen Glücksversprechen, aber hier gibt es keine irdische Erfüllung, bloß Eskapismus. Diese Helden brennen nur für den Moment, sie brennen in der wunderbaren Musik von Steely Dan. In ihr kommen sie zum Leben – und damit geht es ihnen wie uns.

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