Glaube, Liebe, Hoffnung (23): „Das hätte man auch anders lösen können“

Die deutsche Buberlpartie geht also weiter; immerhin Mehmet Scholl behält im deutschen Siegesrausch seinen kühlen Kopf - EM-Blog, Folge 23

„Verbrennt eure Gesetze und macht deren neue! Woher die neuen nehmen? Aus der Vernunft!“

Voltaire

Spielt jetzt Wales gegen Island im Finale? Hoffentlich nicht. Wer würde sich so ein Spiel angucken wollen? Ich nur als Berichterstatter. Der leidenschaftliche Sieg der Waliser gegen den weiterhin geheim bleibenden Geheimfavoriten aus Belgien hat zwar Spaß gemacht, aber er führt zu nichts außer zur Steigerung des walisischen Alkoholverbrauchs und zum Rausschmiß des erfolgreichsten belgischen Nationaltrainers aller Zeiten, und bringt den Fußball nicht weiter.

Und über die Isländer habe ich alles gesagt. Für Fußballzwerge interessieren sich nur Wichtel. Hoffen wir also am Mittwoch auf Portugal, und heute Abend auf die Franzosen. Dann wird das Halbfinale lustig.
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Man kann es drehen, wie man will: Man kann sagen, dass die deutsche Nationalmannschaft es am Samstag geschafft hat, ihre schwarze Serie gegen die Italiener bei großen Turnieren endlich zu beenden. Man kann es aber auch so sehen, dass die Deutschen die Italiener weiterhin nicht in einer regulären Spielzeit, oder auch nur innerhalb der Verlängerung besiegen konnten. Erst das Elfmeterschießen – von dem wohl jeder zugeben würde, dass es  Glücksspiel und Nervensache und Zufall ist – brachte den Deutschen den Sieg. Und so haben ein paar andere Serien gehalten: 1. Unter Löw hat das Team bei jedem Turnier das Halbfinale erreicht. 2. Immer wenn Deutschland als amtierender Weltmeister bei einer EM antrat, schaffte es das DFB-Team ins Finale – verlor allerdings jedes Mal. 3. Deutschland hatte die letzten fünf seiner Elfmeterschießen bei WM- oder EM-Turnieren gewonnen. Jetzt sind es sechs.

Jogi Löws Buberlpartie geht also weiter. Die Jungs spielen nun im Halbfinale gegen Frankreich oder Island.
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„Wir sehen auf jeden Fall ein tolles Spiel heute.“ sagte Mehmet Scholl vor Beginn. Stimmt. Es war ein taktisch hochspannendes, hochkonzentriertes Duell. Beide spielten mit 3-5-2 – Formationen, wobei die deutsche im Angriff dann doch eher einem 3-6-1 ähnelte, in der Abwehr gelegentlich sogar als 5-3-1-1 auftrat.

Nach zwei Minuten hatten die Italiener schon zwei Ecken, stellten sich aber grundsätzlich hinten rein. In der 16 Minute musste Khedira raus, danach funktionierte das deutsche Spiel zwar in der Defensive, offensiv aber hakte alles. Bemerkenswert, dass vor allem die Abwehrspieler Boateng und Hummels zu Antreibern wurden, und als Spielfüher und Organisatoren der deutschen Mannschaft auftraten.

Florenzi, gegen die Spanier einer der besten Italiener, spielte weiter rechts, als gegen Spanien, und hatte es vor allem mit Hummels zu tun, der immer wieder weit vorrückte und zu einem zusätzlichen Mittelfeldspieler in der Halblinken wurde.

Florenzi war aus meiner Sicht ein, wenn nicht der Schlüsselspieler der Partie. Denn er spielte gut, aber schwächer als gegen Spanien, und leistete sich – nur wer viel tut, macht auch viele Fehler – neben starken Momenten, auffällig viele Fehler. Das ging mit einem gefährlichen Fehlpass in der 20 Minute los, der eine starke deutsche Pressingphase in der italienischen Hälfte einleitete. Erst etwa 10 Minuten später kamen die Italiener wieder auf, und erspielten sich ihrerseits ein Übergewicht mit vielen Chancen, das bis zur Halbzeitpause andauerte und von den Deutschen bestenfalls neutralisiert werden konnte.

Nach der Pause machte die Squadra Azzurra Italiener weiter Druck – jetzt hätte es aber auch passieren und zur Führung kommen müssen. Stattdessen in der 53. Minute ein weiterer, sehr folgenschwerer Fehlpass von Florenzi, der zu massivem Gegendruck und deutschen Chancen führte.

Ausgerechnet in einem Moment, in dem die Italiener sich wieder etwas befreiten, und die deutsche Abwehr plus Mittelfeld komplett so zustellten, dass nur Hummels als Anspielstation in Frage kam, schlug Neuer einen weiten Befreiungsabschlag auf die linke Seite der italienischen Hälfte. Kurzes Geplänkel auf der Seite, und ein weiterer, der folgenschwerste Fehler Florenzis plus Glück führten zu Hectors Pass und Özils Führungstor.

Sehr schnell war in diesem Spiel klar: Wer hier das erste Tor schießt, gewinnt. Also Deutschland. Es gab eine zweite Super-Chance für Deutschland und wenig italienische Möglichkeiten

Erst typischer Bayern-Dusel brachte die Italiener zurück ins Spiel: Ausgerechnet Boateng verursachte einen Elfmeter, Neuer konnte ihn nicht halten – dass das mal den Bayern-Spielern passiert, geschieht ihnen recht. Bis zur 90 liefen die Italiener mehr, in der Verlängerung schien früh das Elfmeterschießen das wahrscheinlichste Resulat.

Nur Müller mit seinem albernen Theater hätte das noch um ein Haar zu Lasten der Deutschen stören können.

Dann das Elfmeterschießen: Kaum überraschend waren Özil und Thomas Müller, die fehlschossen, Schweinsteiger war schon überraschender. Glück für die Deutschen, dass die Italiener nicht besser waren, und ausgerechnet der als Elfer-Joker eingewechselte Spieler grotesk am Tor vorbeibolzte.
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Nach dem Spiel teilte Mehmet Scholl noch aus, und sagte Bedenkenswertes – das man allerdings, dies liegt in der Natur der Sache, im deutschen Siegesrausch jetzt nicht hören will. „Das hätte man auch anders lösen können.“ Man solle die Taktik nicht nach dem Gegner richten.

Er verwies darauf, das Löw immer wieder die Neigung hat, während eines Turniers die eingespielte Mannschaft durcheinanderzuwirbeln, und sich dem Stil des Gegners anzupassen: „2008 – angepasst und rausgeflogen; 2010 – angepasst und rausgeflogen; 2012 – angepasst und rausgeflogen; 2014 – der Mannschaft vertraut und nichts verändert und Weltmeister geworden.“

Turniersieger werde man nur mit einem eingespielten Team, und indem man dem Gegner seinen Stil aufzwinge. „Es haben immer Mannschaften gewonnen, die sich gefunden haben.“ Scholl attackierte die Schlaumeier von Löws Beraterstab, namentlich den Schweizer Urs Siegenthaler.
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Der Abend und das stärkste Spiel der Deutschen bei dieser EM, ändert im Übrigen nichts daran, dass es die Italiener sind, (nicht den theatralischen Dauerschimpfer Müller, nicht den Phelgmatiker Özil, nicht den ein bisschen zu schlauen, also nicht klugen Hummels) die sich ältere Männer, also alle über 30-jährigen, zum Vorbild nehmen sollten. Denn von ihnen kann man lernen, die Contenance zu bewahren, cool zu bleiben, sich nicht zuviel zu bewegen und sogar in Würde zu verlieren.

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