Glückliche Mutter, bessere Alben

Fünf Jahre hat man auf ein neues BOSS HOG-Album warten müssen, das dann auch noch so völlig anders klingt. Der Grund:Nachwuchs bei Familie Spencer

Eigentlich hatte man Boss Hog ja schon abgeschrieben. Doch nun, fünf Jahre nach ihrem letzten Album, kehren Cristina Martinez und Jon Spencer mit einem komplett neuen Sound zurück. Charley ist an allem Schuld.

Charley ist fünf Jahre alt, hat dunklen Teint, riesige Kulleraugen und heißt mit Nachnamen Spencer. Am liebsten begleitet er Mama und Papa auf ihren Reisen. Zur Zeit ist der Knirps allerdings nur mit seiner Mutter unterwegs. Die schwarzhaarige Schönheit, der feuchte Traum fast aller Trashrock-Fans, nennt sich Cristina Martinez und feiert dieser Tage die glorreiche Wiederauferstehung von Boss Hog, während Papa Jon Spencer zu Hause in New York ausnahmsweise mal die Beine hochlegen darf.

Urlaub von der Blues Explosion, Urlaub von der Ehefrau und Urlaub von Klein-Charley, ohne den es wahrscheinlich bereits viel früher ein neues Album von Cristinas Band gegeben hätte, in der Jon auch Gitarre spielt Trotzdem gibt es keinen Grund, dem Kind zu grollen. Im Gegenteil: Angesichts des komplett neuen Klangkostüms, das die bis dato eher ungehobelt einherlärmende Combo bei ihrem neuen Album „Whiteout“ angelegt hat, möchte man dem kleinen Mann ja glatt ein Zuckerstangen-Dauer-Abo vermachen.

Fünfjahre Pause, in denen La Martinez nicht nur ihren Plattenvertrag mit dem Major-Label Geffen verlor, sondern sich außerdem mit Hingabe ihrer neuen Rolle als Mutter widmete, haben Boss Hog richtig gut getan. Was Cristina nicht ohne Genugtuung zur Kenntnis nimmt. „Ich hege wirklich keine großen Rachegefühle, aber die Jungs bei Geffen dürfen sich schon ein bisschen ärgern, dass ihnen das bis jetzt wohl beste Boss Hog-Album durch die Lappen gegangen ist“, sagt sie mit einem so charmanten wie triumphierenden Lächeln im Gesicht Im Vorwege des Mergers mit Polygram wurden Boss Hog, die nur ein einziges Album für Geffen aufgenommen hatten, im Januar 1997 vom Konzern fallengelassen. „Dass es uns traf, war schon in Ordnung. Es ist mir schon klar, dass sie von acht Bands, die zur Auswahl stehen, die sieben behalten, mit denen sie ihr Geld verdienen. Boss Hog waren nie ein Kommerz-Faktor.

Ärgerlich war nur die Hinhaltetaktik, mit der sie uns allen das Weihnachtsfest versaut haben.“ Schon damals erhielten also die familiären Werte den Vorzug gegenüber dem Rock’n’Roll. „Natürlich, als Jon und ich uns entschieden hatten, nun ein Kind zu haben, war für mich klar, dass ich für ein paar Jahre aussteigen würde, um mich um das Baby zu kümmern. Die Leute fragen mich dauernd, was wir denn fünfjahre lang gemacht haben. Ich kann nur sagen: Die Geburt des Babys, Jons Aufnahmen und Tourneen mit der Blues Explosion, das sukzessive Werden des neuen Boss Hog-Albums… die Zeit verging wirklich wie im Fluge.“

Mit tatkräftiger Unterstützung namhafter Klangtüftler wie Tore Johansson (Cardigans), Andy Grill (Bis) und Roli Mosimann (The The) entwarf Cristina ein neues Konzept für ihre Band, die einst als eine von vier Fraktionen aus dem Split der New Yorker Noisecore-Truppe Pussy Galore hervorgegangen war. Anders als Free Kitten, Royal Trux und die Blues Explosion schienen Boss Hog jedoch anfangs keine „echte“ Band zu sein, sondern lediglich eine Spielwiese, auf der sich Jon und seine Gattin, unterstützt von dem deutschen Basser Jens Jurgensen und der Drummerin Hollis Queens, gehörig austobten. Spencers rüder Gitarrensound traf dort ungebremst auf die geballte Gesangs-Erotik Cristinas, was live oft für ekstatische Szenen sorgte.

So extrem wollen Boss Hog 2000 nicht mehr sein. Schon die Hinzunahme des Keyboarders Mark Boyce als fünftes Bandmitglied ist Beleg dafür, dass der Trend heute „mehr Musikalität“ heißt. Clevere Loops und Elektronik-Füllsel unterlegen nun einen eleganten, locker groovenden Rocksound, der von den lasziven Gesangsduellen Cristinas und Jons gekrönt wird. Die Aggressivität früherer LPs ist gelassener Selbstironie gewichen. Ja“, sagt Cristina, „ich bin nicht mehr so wütend wie früher, wohl ein Nebeneffekt der Mutterschaft, über den ich aber sehr glücklich bin. Klar, es ist viel mehr Rock’n’Roll, abgefuckt zu sein.“

Klar, aber wer hat je bestritten, dass glückliche Mütter nicht manchmal die besseren Rock’n’Roll-Alben abliefern? Danke, Charley!

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