Gram Parsons

Getriebener, der sich und andere ins Unglück stürzte und mit 26 Jahren tragisch ums Leben kam. Eine Würdigung.

Es ist ein Leichtes, Zeugen zu finden für die Größe und Genialität von Gram Parsons. Unter Musikern zumal, die ihn noch bewusst erlebten wie Steve Earle oder Elvis Costello, aber auch unter den Nachgeborenen, für die am musikalischen Nachthimmel schon immer der Fixstern Gram Parsons leuchtete. Tatsächlich scheint sein Vermächtnis heute präsenter als je zuvor. Es wird landläufig Americana genannt und ist ein vielfach variiertes, gebrochenes und verdünntes Derivat jener Vision, die Parsons Cosmic American Music getauft und bis zu seinem unrühmlichen Ende in einem Motelzimmer in der kalifornischen Wüste gejagt hatte wie den Heiligen Gral.

Ob er ihn gefunden hat, ist strittig. Definitiv, meinen die von seinen letzten musikalischen Lebenszeichen Überwältigten. Wie hätte man die transzendierende Schönheit von „Grievous Angel“ übertreffen, wie die darin lodernde Todessehnsucht löschen können? Nein, sagen einige, die ihm menschlich wie musikalisch sehr nahe standen. „Gram hatte noch nicht alles gegeben“, so Keith Richards, „er hatte noch Reserven, von denen er wohl selbst nur eine vage Ahnung hatte. Nicht zuletzt deshalb war sein früher Tod eine so tragische Verschwendung.“

Um Parsons‘ Werk und Wirken verständlich zu machen, sei ein kleiner musikhistorischer Exkurs erlaubt: Es gab einmal eine Zeit, das ist lange her – 40 Jahre! -, als die Grenzen zwischen den Gefilden Country und Rock durch Zäune gesichert waren und an manchen Stellen mit Stacheldraht. No trespassing! Es herrschte kalter Krieg in Musicland, USA, und die Gegnerschaft definierte sich über tradierte Werte, über Herkunft und Haarlänge. Die Bürgerrechtsbewegung polarisierte, der Vietnamkrieg radikalisierte, die amerikanische Gesellschaft war gespalten wie seit der Sezession nicht mehr. Schulterschluss wurde eingefordert, auch in Sachen Musik. Entweder Bob Dylan oder Lefty Frizzell, Steel Guitar oder Sitar. Ein auf gegenseitige Abschreckung basierendes kulturelles Containment, das auf jeden Appeasementversuch mit äußerstem Misstrauen reagierte. „The politics of music“, so formulierte es der kürzlich verstorbene Byrds-Produzent Terry Melcher, „were extremely restrictive“. Und die einzige Instanz, die von beiden Lagern respektiert wurde, war mit sich selbst beschäftigt und mit der Fließband-Fertigung belangloser Filmchen. No Sir, mit Elvis war nicht rechnen.

Wobei die sich hier aufdrängende Frage, wie es zu einem so bedauerlichen Schisma überhaupt kommen konnte, die eigentlich entscheidende ist. Immerhin war der Rock’n’Roll, selbst ein Bastard-Spross von Papa Country und Mama Blues, erst eine Dekade davor flügge geworden. Indes für eine weitergehende Erörterung hier kein Raum ist Halten wir also fest: Die Verkrustungen der Mitt-Sechziger machten es selbst Musikbewegten leicht ihre Scheuklappen nie abzulegen. Was erklärt, warum ein an sich aufgeklärter Mensch wie Peter Bück (R.E.M.) „beleidigt“ war, als er seinerzeit zum ersten Mal mit dem Byrds-Album „Sweetheart Of The Rodeo“ konfrontiert wurde. „Es war ein Affront“, erinnert er sich, „gerade weil ich jung war und aus dem Süden kam. Country & Western war dort allgegenwärtig, wurde aber von den falschen Leuten gehört, von Leuten, mit denen mich sonst nichts verband. Diese Platte hat mein musikalisches Weltbild nachhaltig verändert und mich mit einer Musik versöhnt, die ich glaubte verachten zu müssen.“ Kurt Wagner von Lambchop machte in Nashville ähnliche Erfahrungen! „Ich hasste Country Music, weiß heute aber, dass ich in Wahrheit nur die Rednecks hasste, deren exklusives musikalisches Terrain eben Country war. Es brauchte die Flying Burrito Brothers, um mir die Ohren zu öffnen für all die großartigen Songs, vor denen ich zwanghaft und kopflos geflüchtet war. Gram Parsons war es, der mir zu dieser Erkenntnis verhalf.“

Dutzende solcher Einlassungen sind verbürgt, und sie korrespondieren perfekt mit den mehr gefühlten als bewussten Einsichten eines Teenagers im Süden des fernen Germany: Auch mir und meinesgleichen erschien Gram Parsons als singulärer Glücksfall, ja als Fügung, indem er uns Fans einführte in die Mysterien der Country Music. „The Gilded Palace Of Sin“ drehte sich tausendmal und schenkte uns George Jones und Bück Owens. Sollten die anderen ruhig die Doors und Deep Purple hören, sollten sie getrost spotten über unsere Obsession: Wir wussten es besser. Jesses, wie fühlten wir uns überlegen, wenn wir auf dem Schulhof „Hot Burrito #1“ sangen oder über die Herkunft von „The Dark End Of The Street“ rätselten, während die Mitschüler „In-A-Gadda-Da-Vida“ für eine Errungenschaft hielten. Einfaltspinsel! Ende der persönlichen Durchsage.

Gram Parsons war nicht der erste und einzige Musiker, der die Grenze zwischen Pop und Country durchlässiger machte, aber keiner – weder Rick Nelson noch Mike Nesmith – betrieb die musikalische Aufklärung dermaßen zielstrebig und fervent. Was nicht selten zu Verwerfungen führte, zumal der Künstler etwa im Umgang mit Kollegen Feingefühl vermissen ließ. Wenn Gram wollte, hatte er ein einnehmendes Wesen. An Geld und Charme gebrach es ihm nicht, also ging er verschwenderisch damit um. Sein Erfolg bei Frauen ist so legendär wie sein Verschleiß von Freunden und musikalischen Weggefährten. Rücksicht und Umsicht gehörten nicht zu den Tugenden, die ihn das Leben gelehrt hatte. Seinem familiären Hintergrund wohnt eine Schicksalhaftigkeit inne, die manchen Historienschinken verblassen lässt Vom Winde verweht Ohne Helden freilich und ohne Happy End, durchwirkt von Sucht, Verzweiflung und Tod.

Als „pure southern gothic“ charakterisiert Chris Hillman die Familienverhältnisse, die Parsons prägten. „Je tiefer man gräbt, desto verständlicher wird Grams zuweilen egozentrisches Verhalten und seine Labilität. Niemand wächst unbeschadet so auf, mit all diesem Geld und dieser Missgunst.“

Nein, nicht alle, die Gram Parsons gut kannten, halten große Stücke auf ihn. Als Mensch. Abträgliches über den Musikus Gram Parsons ist indes nur selten zu vernehmen. Und wenn, dann meist von denen, die von ihm in den Schatten gestellt wurden. Lee Hazlewood bekrittelt, dass „Safe At Home“, jene LP, die Gram mit der International Submarine Band für sein LHI-Label aufnahm, „nichts halbes und nicht ganzes“ gewesen sei, „nicht richtig Pop und nicht richtig Country“, und verkennt damit Sinn und Zweck des Ganzen. Roger McGuinn schimpft, weil er bei den Byrds ins zweite Glied rückte für „Sweetheart Of The Rodeo“. Und er hat bis heute nicht verwunden, dass Gram die Byrds seinerzeit „im Stich ließ“, auf dem Weg nach Südafrika, nur weil er „den Herren Jagger und Richards hörig war“. Die traurige Wahrheit ist, dass sich Parsons erst in London informierte über die politische Lage im Apartheids-Staat. Einmal von seinen neuen Freunden ins Bild gesetzt, stieg Parsons sofort aus, die Rest-Byrds flogen weiter nach Südafrika, die Tour wurde zum Fiasko.

Der Einzige, der sich gegenüber Gram Parsons eine gewisse Bitterkeit

redlich verdient hätte, ist Chris Hillman. Und der macht kaum Gebrauch davon, lässt nur hin und wieder durchblicken, dass Gram anstrengend sein konnte und dass es bisweilen hart war, den Pionier zur Arbeit anzuhalten. Besonders, wenn Parsons mit seinen Freunden, den Rolling Stones, abhing, die er „bewunderte und vergötterte“. Einmal, so Hillman, kurz vor einem Burritos-Gig, habe er Gram bei Studio-Sessions der Stones ausfindig gemacht und wollte ihn mitnehmen, doch der weigerte sich. Erst als „Mick Jagger, the other professional in the room“, wie Hillman im Film „Fallen Angel“ schön sarkastisch erzählt, Gram an dessen Verantwortung für die Burritos erinnert und ihn unmissverständlich aufforderte, zu gehen, habe sich der in Bewegung gesetzt Der andere Pro, das bleibt unausgesprochen, ist in dieser Betrachtung selbstredend Hillman selbst. Der in der GP-Saga meist nur in seiner angestammten Rolle des zweiten Mannes und Wasserträgers vorkommt, der aber am legendären Ruf der Flying Burrito Brothers nicht nur als Instrumentalist maßgeblichen Anteil hat, sondern auch als Co-Autor einiger Songs, die gemeinhin allein Gram Parsons zugeschlagen werden: „Wheels“ und „Christine’s Tune zum Beispiel. Und vor allem „Sin City“, jene dunkel dräuende Ode an Los Angeles, die das schnelle Ausbrennen dieser Band poetisch antizipierte: „This old town’s filled with sin/It’ll swallow you in/If you’ve got some money to burn…“

Gram Parsons wurde nur 26 Jahre alt Ein Leben arm an Verzicht und reich an Tragik. Geboren wurde er als Cecil Ingram Connor III. in Winterhaven, Florida, am 5. November 1946, doch zog die Familie schon bald nach Waycross, Georgia, wo Gram seine Jugend verbrachte. Der Großvater hatte ein stattliches Vermögen mit Zitrus-Plantagen gemacht, es herrschte an nichts Mangel, und doch schien auf dem Clan ein Fluch zu lasten. Kurz vor Weihnachten 1958 jagte sich Grams Vater Coon Dog im Suff eine Kugel durch die Schläfe.

Gram flüchtete in die Musik. Besonders Elvis hatte es ihm angetan, beflügelte seine Fantasie. Der Wunsch, selbst Musik zu machen, wurde übermächtig und nahm schnell konkrete Formen an. Gram begann in Highschool-Bands zu spielen, unterstützt von seiner Mutter und seinem Stiefvater Bob Parsons, dessen Namen er mittlerweile angenommen hatte. Die erste ernste Gruppe, der sich Gram anschloss, waren die Shilos, eine Art Surfinanny-Folk-Formation. Und keine üble, wie inzwischen veröffentlichte Aufnahmen belegen. Gram sang, Gram (dampfte. Am Tag seiner Highschool-Abschlussfeier 1965 starb seine Mutter an akuter Alkoholvergiftung.

Nächste Station: Harvard. Parsons schrieb sich für Theologie ein, „because I was into God then“, wie er später feixte. In Wahrheit war er nicht zum Studieren nach Cambridge gekommen, sondern der Musik wegen. Zwar war die große Zeit der Cambridge Folk Scene längst vorbei und die Karawane um Bob Dylan, Joan Baez, Bob Neuwirth, Geoff Muldaur und Konsorten war weitergezogen, doch machte Gram die Bekanntschaft einer Reihe junger, hochbegabter Picker mit Bluegrass-Background, darunter Clarence White. Gut möglich, dass Parsons die Uni nur für „4 Stunden und 15 Minuten“ von innen sah, wie er behauptete. Dennoch waren es fruchtbare Monate für ihn, weil er für sein selbst diagnostiziertes „emotionales Vakuum“ endlich eine probate Medikation fand: Country & Western, die Soul Music des weißen Mannes. Kein Freund von Halbheiten, tauchte Gram tief hinein, forschte, lernte Texte und Griffe, fand heraus, dass seine Gesangsstimme ein ideales Vehikel war für diese Heartbreak-Tunes, und dass er selbst Songs zu schreiben vermochte, die neben denen von Merle Haggard bestehen konnten: „It’s a hard way to find out that trouble is real/In a faraway city with a faraway feel/But it makes me feel better each time it begins/Calling me home, hickory wind.“ Gram Parsons hatte eine Zuflucht gefunden, etwas, das ihn nicht im Stich lassen würde. Nun brauchte er nur noch Mitstreiter, dann konnte der musikalische Kreuzzug beginnen. International Submarine Band, Byrds, Burritos: Stationen nur auf dem Weg zur Erfüllung einer Vision. Der Parsons fraglos auf seinen beiden Solo-LPs am nächsten kam, hinter sich die besten Musiker, an seiner Seite mit Emmylou Harris eine kongeniale Gesangspartnerin, deren innig-intuitive Harmonies die Sehnsucht und den Schmerz in Grams Songs noch steigerten. A match made in heaven: Mit diesen Worten scheiterten schon damals Versuche, die Empathie der Stimmen zu beschreiben. Emmylou war es auch, die Grams Fackel aufnahm und weitertrug, nachdem sie ihm endgültig entglitten war in diesem Joshua-Tree-Motel, am 19.September 1973.

Die Nachricht vom Drogentod eines Musikers war den meisten Zeitungen nur eine Meldung wert. Was sich änderte, als Grams Leichnam gestohlen und in der Wüste abgefackelt wurde. Eine bizarre, besoffene Aktion, hinter der Grams Kumpel Phil Kaufmail steckte, der damit einen Pakt „ehrte“, den die beiden am offenen Grab von Clarence White geschlossen hatten, aus einer Laune heraus.

Kaufman, ehemaliger Roadie der Rolling Stones, hatte Parsons 1968 in eben dieser Funktion als jemanden kennen gelernt, „der wie viele andere von der Schwerkraft der Stones angezogen wurde und dann um sie herumflatterte wie die Motte um das Licht“. Doch dann erlebte er, wie sich eine enge Freundschaft entwickelte zwischen Gram und Keith. Unzertrennlich seien die beiden gewesen, und ständig am Singen. „Osmose“ nennt Kaufman den musikalischen Austausch, der nicht nur auf „The Gilded Palace Of Sin“ und, Let It Bleed“ dingfest zu machen ist. „Leider blieb es nicht auf der Ebene gegenseitiger musikalischer Inspiration“, so Kaufman, „Gram versuchte auch, Keiths Lebensstil zu übernehmen, sein Tempo mitzugehen. Er glaubte, weit mehr Gemeinsamkeiten mit Keith zu haben als die Musik, über denselben unzerstörbaren Metabolismus zu verfügen. Aber Keith konnte Eisen fressen und Rost pissen, Keith musste nicht schlafen, er lebte von Luft und all diesem Zeug, das er schluckte. Gram meinte, mithalten zu können, „but he was dead wrong.“ Gram Parsons hinterließ eine Witwe, Gretchen, die ihm nicht hatte helfen können und die traumatischen Ereignisse ebensowenig verwunden hat wie die nicht verstummen wollenden Gerüchte über eine Liebesaffäre zwischen Gram und Emmylou. Und er hinterließ einen Country-Rock-Boom, der gefälligeren Acts wie den Eagles Millionenumsätze bescherte, „while Gram never had a hit record“, wie Keith Richards kopfschüttelnd konstatiert. Sad but true.

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