Hannover entwachsen und fast schon erwachsen: Terry Hoax lesen jetzt Strindberg. Und trotzdem geht es ihnen gut.

Die Geschichte beginnt mit einem Paradoxon: Fernsehen bildet. Es war im Oktober in einem Studio in Köln, als Terry Hoax die erste Single ihres neuen Albums bearbeiteten. Es fehlte noch was bei dem Stück, und der Fernseher lief.

Ausgerechnet eine Sendung über August Strindberg, in schwedisch und deutsch. Und dann kam dieser Satz: „Was Du schreibst, versteh ich nicht, Tante Viva hat heute Deine Zahnarztrechnung bezahlt, den Kindern geht es gut und sie lassen grüßen.“ Der Fernsehton kam aufs Band und füllte die Lücken im Sound, „als wäre er dafür gemacht“. Die zweite Hälfte des Satzes verwandte man als Album-Titel.

Sänger Perau hat sich darauf eine Strindberg-Biographie gekauft, weil er bis dahin nur wußte, daß der schwedische Dichter „ein großes Idol von Ingmar Bergman war“. Jetzt weiß er außerdem, „daß der ein ziemlich seltsames Leben geführt hat“. Doch Perau ist Anomalien gewöhnt. Er und seine Band wissen zum Beispiel, wie es sich anfühlt, den ersten großen Erfolg mit einem Lied zu haben, das gar nicht das eigene ist, und sich deswegen mit dem Fanclub von Depeche Mode auseinandersetzen zu müssen. „Policy Of Truth“ war 1992 ein kleiner Hit „Und plötzlich mußten wir allen erklären, daß wir noch keine Millionäre sind“. Sondern eben nur eine deutsche Band. Da reicht es meistens nur zu einer neuen Gitarre, wenn man nicht als Frosch von einer Prinzessin geküßt wurde und jetzt „Die Prinzen“ heißt.

Immerhin, Terry Hoax hatten ihre Chartsnotierungen, und „es ging stetig aufwärts“. Die Hannoveraner sind realistisch, was ihre Selbsteinschätzung angeht, und noch nicht mal böse, wenn man sie noch irgendwo im Mittelfeld des deutschen Reigens einordnet.

Sie haben sich Zeit genommen für das vierte Album, auf Festivalgerangel verzichtet und auf den goldenen Herbst gewartet Wäre erwachsen zu sein nicht per se ein Schimpfwort, so könnte man ihnen diesen Status vielleicht andichten. Oder zumindest einen Grad an Erkenntnis. „Grunge ist zur Unerträglichkeit verkommen“, weiß Perau.

Oder: „In England gab es Popstars wie Bowie, aus den USA hingegen kann nur ein Springsteen kommen.“ Vielleicht deshalb antwortete die Band, als sich letztes Frühjahr die Frage nach dem bevorzugten Aufnahmeort stellte, unisono: „Ganz egal, nur nicht in L.A.“ Und natürlich sind sie genau dort gelandet.

Ebenso natürlich wie die erste Single bei einem Soundcheck entstanden ist und der Nachwelt nur deshalb erhalten blieb, weil der Soundmixer rein zufällig die Aufnahmetaste gedrückt hatte. Genauso einfach, wie sie die 50jährige Percussionistin gefunden haben, die „schon bei allen gespielt hat, Jackson Five, Pink Floyd, den Doors„. Die sich heute freut, wenn sie vielleicht mit Terry Hoax auf Tour gehen kann. Das Angebot steht.

„Diese Platte hat sehr viele Zufalle und Schicksalsschläge erlitten“, sagt Perau. Das läßt sich hören, im positiven Sinn. „Den Kindern geht es gut“ lebt für sich, ist gerade und hat packende Momente. Läßt manchmal sogar an Gene Loves Jezebel denken. Soviel zum Thema britische Popstars. Und soviel zum Thema deutsche Bands. Wer so sein kann, darf sein Presse-Informationsblatt zur neuen Platte auch mit einem Strindberg-Zitat beschließen: „(Unsere Musik)… hat den Unterton von Eigentümlichkeiten, die nur in Tönen ausdrückbar sind,… in plötzlich aufleuchtendem Wohlklang.“

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