Konzertbericht

Heino in Schlesien: „Du geliebtes Heimatklang“

Schunkeln, Heimatgefühl, ein wenig Deutschtümelei – wenn Heino ruft, dann kommen die Schlesier. Wer aber ist der Mann mit dem Ledermantel und dem Nietengürtel auf der Bühne? Ein Konzertbericht. Von Julia Friese, Oppeln

Nichts ist ja so hässlich, wie deutsch sein und das dann auch noch gut finden. Vaterlandsliebe? Sicher, uns geht es gut hierzulande. Die Busse kommen ja meistens pünktlich. Und wirtschaftlich ist auch alles okay. Das ist natürlich schon schön.

Maximal hässlich

Aber Vaterlandsliebe? Nur zwei F-Wörter, ganz aktuell: Flüchtlingspolitik. Freital. Reicht das? Die deutsche Seele presst die Lippen zusammen, verspannt, lacht dann ein bisschen, nervös, weil sie sich so schämt – auch für das Lachen.

Also hält sie sich die Linke vor den Mund, und mit der Rechten, hinter sich, da bricht sie schnell noch ein kleines Deutschlandfähnchen von einem Autodach ab. Schwarz-Rot-Gold? Das ist doch Kahlrasur, Bier aufstoßen, Uwe oder Beate heißen. Das ist doch hässlich. Maximal hässlich.

Der schönste Mann der deutschen Minderheit

Schnitt. Polen. Oberschlesien, Oppeln. Die deutsche Seele ist Bus gefahren und so richtig laut würde sie das natürlich niemals sagen, nie, aber: Mein Gott, wie gut sind doch deutsche Straßen!

Die deutsche Seele glaubt eine leichte Gehirnerschütterung zu haben von all dem Auf und Ab. Vor allem eben, weil sie jetzt im Amfiteatr Opole steht, und da, vor ihr auf der Bühne, ein deutscher Mann, der ruft: Applaus, Applaus für den schönsten Mann der deutschen Minderheit.

Darum herum sind 1000 Menschen. Die meisten Ältere, viele Weißhaarige, manche in Rollstühlen. All die, die bis gerade noch Polnisch sprachen, verstehen und applaudieren – und dann steht er auf: der Schönste.

Weißes T-Shirt, auf Bauchhöhe kugelrund, ein Heino-Foto darauf und der Schriftzug „Heimatfreunde“. Er schwenkt die Fahnen von Oberschlesien und Niederschlesien. Die von Deutschland hat er auch. Noch ruht sie in seiner Tasche. Er ruft: Toby, Toby, Toby – und alles klatscht.

Schwarzbraune Haselnüsse

Toby, Toby, Toby ist der Mann auf der Bühne. Tobias Thalhammer. Er kommt aus München, bis 2013 saß er für die FDP im Bayerischen Landtag. Vor ein paar Jahren habe er bemerkt, dass es hier in Oberschlesien einen Bedarf gebe nach deutscher Musik. Schlager.

Thalhammer wollte den Menschen geben, wonach sie verlangen. Als „Toby z Monachium“, also Toby aus München, trat er zunächst als Sänger auf, dann hat er eine Veranstaltungsagentur gegründet, und mit der hat er jetzt Heino nach Oppeln geholt.

Der große, superblonde, schwarzbraune Haselnüsse besingende Heino, der ist hier ein Superstar, unter den Verbliebenen, wie sie sich nennen, der deutschen Minderheit, den Schlesiern. Denn sie kennen Heino noch aus ihrer Kindheit. Sie haben ihn gehört, oder ihre Eltern. Und zwar illegal.

Die Eltern hörten Heino-Platten

Im Publikum sind Menschen, die hier zum Klassentreffen in Oppeln sind. 1973 aus Polen ausgereist. Mit einem Urlaubsvisum und dann einfach nicht mehr wieder gekommen. Sie erinnern sich genau, einen Kühlschrank hatten sie damals nicht.

Die Butter lag immer auf dem Fensterbrett. Die Eltern hörten Heino-Platten. Damals, sagen sie. Jetzt wohnen sie irgendwo in Österreich oder Deutschland, die ganze Klasse, bis auf vier, alle haben sie Polen verlassen.

Der Heino macht gute Texte

Doch es sind nicht alle hier extra angereist. Im Publikum sitzt ein deutscher Unternehmer, der in Oppeln lebt. Es gebe viele wie ihn, er sagt, sie seien die neue deutsche Minderheit. Vor zehn Jahren zugezogen, glücklich in Polen.

Der Mann trägt ein T-Shirt auf dem „Schlesien“ steht. Heino, sagt er, der macht gute Texte, das Schlesierlied, das mag er ganz besonders. Es geht darum, die Region zu feiern. Und die deutsche Sprache. Das ist toll. Wenn Heino das Schlesierlied spielt, dann wird er aufstehen. Tanzen. Die Hände zum Himmel heben.

Lerne Deutsch, dann bringst du es zu was

Für Josef Bieneck geht es um mehr. Er ist 65 Jahre alt und hält eine rosa Schallplatte in der rechten Hand: Heino & Hannelore: „Wir sind füreinander bestimmt.“ Er sagt, er habe die Platte von seinem Onkel Heinrich bekommen, damals, als Schüler. Der Onkel hatte gesagt: Lerne Deutsch, dann bringst du es zu was.

Heino-Fan Josef Bieneck mit den Flaggen von Ober- und Niederschlesien (Foto: Julia Friese)
Heino-Fan Josef Bieneck mit den Flaggen von Ober- und Niederschlesien (Foto: Julia Friese)

Aber Deutsch sprechen war verboten, berichtet Bieneck. Wenn sie damals auch nur ein deutsches Wort in der Schule aussprachen, mussten sie dafür 100-mal das Polnische aufschreiben.

Dabei sei Deutsch doch seine Sprache, genau wie Tschechisch und Polnisch. Als Goebbels sei er damals in der Schule beschimpft worden. Niemand habe sich bei ihm dafür entschuldigt. Er wirkt trotzig.

Heino, Ausdruck von Vaterlandsliebe

Das Konzert, sagt er. Und kann nicht glauben, dass er das noch erleben darf. Die Lieder, Heino, er sei Ausdruck seiner Vaterlandsliebe. Für deutsche Ohren klingt das grotesk bis unangenehm. Heimat. Diese Freude über das Deutschsein. Die deutsche Seele lacht – mal wieder – unentspannt, verknotet die Hände im Schritt.

Auf der Bühne grüßt Toby, Toby, Toby eine Frau von der FDP im Publikum. Er winkt, er sagt, die Freien Demokraten, die seien gut. Diese Leute stünden für politische Vernunft in Oppeln.

Es geht aufwärts

Er bekommt Applaus, wie er für alles Applaus bekommt, die verknoten Hände der deutschen Seele entspannen sich. Sie blättern durch das Heftchen, das im Hotel auslag: „Antidotum“. Eine Schrift des BJDM, dem Bund der Jugend der Deutschen Minderheit. Auf dem Titel: Trachten. Im Editorial: Hoffnung. Es sei gelungen, neue Mitglieder gewinnen. „Es geht aufwärts“.

Im Innenteil Nachrichten, der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall will zusammen mit den polnischen Rüstungsbetrieb PGZ ein Amphibienfahrzeug bauen. Ein paar Seiten weiter erzählen neun Mädchen, warum sie Germanistik studieren. Deutsch klingt gut, finden die Polinnen. Die deutsche Seele hat genug von diesem Heft.

Schunkelnde Senioren

Auf der Bühne ein letztes Einheizen bevor Heino kommt. Toby bittet Norbert Rasch auf die Bühne, einen Mann in Hemd und Anzugshose. Es wird so heftig applaudiert, man kennt ihn offenbar.

Bis vor ein paar Wochen war er noch der Vorstand des Oppelner Verbands der Deutschen in Polen. Er war angetreten, um den Verein zu verjüngen, um die Kultur zu fördern, die Sprache. Nun steht er neben Toby auf der Bühne, singt „Sehnsucht nach Schlesien. Du geliebtes Heimatland im Herzen Europas.“

La Ola für Heino: Das Publikum in Oppeln ist angetan (Foto: Julia Friese)
La Ola für Heino: Das Publikum in Oppeln ist angetan (Foto: Julia Friese)

Die Senioren im Publikum kennen kein Halten, sie schunkeln. Im Block F sitzt die Seniorenresidenz. Heino-Fans aus einem deutsch-polnischen Seniorenheim. Zwei Häuser bewohnen sie gemeinsam in Oppeln. Eins ist voll, verrät die Pflegerin. Sie kommt aus Deutschland. Im Heim, da reden alle nur Deutsch. Und im Amphitheater von Oppeln da schunkeln sie. Von links nach rechts. Und zurück von rechts nach links.

Dann endlich hat das Warten ein Ende

Dann endlich hat das Warten ein Ende. Die deutsche Sehnsucht. Heino. Er sieht irgendwie anders aus. Eine neue Frisur hat er nicht, aber er trägt einen schwarzen Ledermantel und Lederhosen und singt „Junge“ von den Ärzten und „Sonne“ von Rammstein. Die E-Gitarren schnurren wie Rasierer von der Bühne, mähen sich durch die steifen Zuschauerreihen.

Warum ist das so rockig?

Das Publikum aber verzieht keine Miene. Was macht ihr Heino da nur? Ratlose Blicke in fast allen Reihen. Manche versuchen ein Fußwippen. „Warum ist das so rockig?“, fragt Josef Bieneck. Er versteht es nicht, Heino, der hat sich weiterentwickelt, der spielt nicht mehr die gleiche Musik wie vor 45 Jahren. Bieneck rollt trotzdem sein Transparent aus: „Heino, du geliebtes Heimatklang“.

Ein Transparent für den Schlagerkönig in Oppeln: "Heino, du geliebtes Heimatklang" (Foto: Julia Friese)
Ein Transparent für den Schlagerkönig in Oppeln: „Heino, du geliebtes Heimatklang“ (Foto: Julia Friese)

Der Fuß des neuen Chefs wippt, Rafal Bartek ist nun Vorstand des Verbands der Deutschen in Polen. Der 38-Jährige hat sich schick gemacht, trägt einen dunkelblauen Anzug. Er sagt, das Ziel des Verband sei es die Kultur und die Sprache zu erhalten. Denn die Alten, die noch Deutsch sprechen können, die sterben aus.

Warum ist das denn schlimm?, will die deutsche Besucherin wissen. Ist es nicht gut, wenn das Alte vergeht und das Neue, ganz organisch, darüber wächst? Muss man immer erhalten und bewahren, was irgendwann, vor sehr vielen Jahren mal war? Bartek sagt, Deutsch, das sei eben seine zweite Sprache, er habe das lernen wollen, als die Eltern in den 90ern deutsches Fernsehen empfangen haben.

Er wollte wissen, was da läuft. Und er wollte deutsche Geschichtsbücher lesen, um die Geschichte aus dem Blickwinkel der Nachbarn zu verstehen. Und nicht zuletzt: Deutschland sei eine Wirtschaftsmacht – wenn in Oppeln Deutsch gesprochen wird, dann kämen vielleicht auch die Investoren.

Die Jugend für die Fremdsprache begeistern

Auf Barteks weißem Hemdkragen steht: „Deutsche Fußballschule“. In Chronstau hat der Verband in diesem Jahr eine Fußballschule für Kinder eröffnet, in der nur Deutsch gesprochen wird. So wolle man die Jugend für die Fremdsprache begeistern.

Das Goethe-Institut habe man schon informiert, vielleicht könne man die als Partner gewinnen? Bartek ist zuversichtlich. Er will, dass die Deutsch-Polen sichtbarer werden in Oppeln. Deswegen findet er auch die zweisprachigen Ortsschilder so wichtig. Sie stehen seiner Meinung nach für das Miteinander und den Dialog.

Zum Abschied das rote Jackett: Heino bei seiner Zugabe (Foto: Julia Friese)
Zum Abschied das rote Jackett: Heino bei seiner Zugabe (Foto: Julia Friese)

 

Feuchte Augen

Heino auf der Bühne, er hat sich umgezogen. Für seine Zugabe, da trägt er es endlich, das alte rote Jackett. Und er sagt, er hat die Lieder extra für dieses Konzert noch einmal geprobt. Jetzt endlich spielt er das, wofür die Menschen gekommen sind: Hits aus der Vergangenheit, Volksmusik. Das Schlesierlied und „Hoch auf dem gelben Wagen“, all das.

Die Schlesier bekommen feuchte Augen. Sie gehen zum Bühnenrand. Sie singen mit aus vollem Hals. Die deutsche Seele weiß, hier gilt, was überall gilt: Ein Konzert ist nur dann gut, wenn es eine Erinnerung ist.

Erscheint mit freundlicher Genehmigung der Kollegen von Welt.de.

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