Heinz Strunk – Hühner & Idioten

Heinz Strunk, "Studio Braun"-Forscher, Autor von "Fleisch ist mein Gemüse", schreibt: Was ist dran am deutschen Pop?

Als das grundsymphatische Magazin ROLLING STONE mich bat, doch mal meine Sicht zum Stand der deutschsprachigen Popmusik zu formulieren, brauchte ich nicht lange zu überlegen. Ja, toll, endlich kann ich mal auspacken! Alles was ich weiß, enzyklopädisches Basiswissen, geschickt mit aggressiver sexueller Energie gemischt, ein unablässiger Paradigmenwechsel bis hin in ekstatische Desorientierung – Stichwort Verpuppung, Verschachtelung, Kaskadierung, Rebirth, ein munterer Diskurs also, auf der Höhe der Reflexion in einem sachlichfrechen Duktus.

Was mich zu einem derartigen Aufsatz, meinem persönlichen „anschwellenden Bocksgesang“ qualifiziert? Ich bin so etwas wie der große Eichmeister, der gesandt wurde, die Gewichte neu zu bestimmen – anders ausgedrückt: ein rotzfreches Trüffelschwein beim grunzenden Wühlen in dem Humus des kranken Zeitgeistes. Ich möchte die „carte blanche“ nutzen, um ein Koordinatensystem aufzustellen, das für lange Zeit Maßstäbe setzen soll und worauf man sich einigen kann.

Verlockend ist es natürlich, kleine Anekdoten aus meiner gemeinsamen Zeit mit Blumfeld, Fettes Brot oder Wir sind Helden in die Welt herauszutragen, aber wer weiß, wie die das finden. Und da es mit mir ja wahrscheinlich innerhalb kürzester Zeit wieder bergab geht, bin ich dann schließlich wieder, wie die Jahre vorher, auf Protektion angewiesen. Ich werde die Hände jedenfalls nicht schlagen, die mich gefüttert haben! So, dann wollen wir mal in medias res gehen. Wie kann man denn nun zuverlässig die Spreu vom Weizen trennen? Jugendliche fragen, Heinz Strunk erklärt in Kindersprache: indem man ein ganz einfaches Koordinatensystem aufstellt – und zwar hierarchisch geordnet nach den folgenden Kriterien: Haltung/ Wahrhaftigkeit, Musikalität (Komposition/ Produktion/ formales Handwerk), Textqualität. Je nach dem kommen noch Stylefaktor, Glampower, Liveperformance undundundoderoderoder hinzu. Eine besonders schicke Frisur zum Beispiel.

Es gibt wie überall wenige wichtige Künstler, das Gros ist ganz normaler Durchschnitt, und am meisten Spaß macht es natürlich, sich über die Myriaden unerträglicher Schrottbands und Nervensägen auszulassen. Abschließende Bemerkung zu Nena: Sie ist keine junggebliebene, tolle Powerfrau, sondern eine komplett orientierungslose Schreckschraube, die sich bitte endlich in den verdienten Vorruhestand begeben sollte. Schlimmere Texte sind schlechterdings kaum vorstellbar. „Die Nachbarn haben nichts gerafft, fühlen sich gleich angemacht“, „Liebe wird nicht, Liebe ist“. Eine nicht endenwollende Parade an Peinlichkeiten. Nix vor dem Komma und nix dahinter.

Doch der Reihe nach. Die Reihe wird von oben nach unten von Blumfeld eröffnet: Distelmeyers Sprache sucht an Wucht und Originalität und Intelligenz ihresgleichen, die Kompositionen sind la, die Band ist vorzüglich. Blumfeld sind format- und stilbildend und verweisen Tomte, Kante und noch ein paar andere deutlich auf die Plätze. Wer etwas anderes behauptet, hat keine Ahnung. Spitze sind auch Tocotronic, die noch dazu astreinen Humor auf der Habenseite verbuchen können.

Wir sind Helden haben ein paar tolle Songs gemacht, außerdem hat Judith Holofernes eine bestechende Livepräsenz. „Gekommen um zu bleiben“ verbuche ich mal als verzeihlichen Schülerbandausrutscher. Als ich meine ersten Bands hatte, die gern mal das Attribut „melodic“ oder „harmonic“ im Namen führten (Was macht ihr denn für Musik? Melodie-Rock natürlich!), war es auch üblich, daß mindestens ein Reggae und ein Jazzstück im Programm waren, wg. Vielfalt Die Epigonen Silbermond und Juli sind selbstverständlich öde Popperkapellen, jedoch zu harmlos, um sich ernsthaft über sie zu ärgern. Ekelhaft allerdings die Sängerinnen mit ihrem päderosexualisierten Ausdruck. Schlagwortvorschlag: die „Annettlouisianisierung“ der deutschen Flachkultur.

Ganz ärgerlich sind auch Rosenstolz, ich muß das leider sagen, obwohl mein lieber Freund Jens Carstens dort Schlagzeug spielt und auch die übrigen Musiker ganz normale, nette Muckertypen sind. Aber um die geht’s ja auch nicht. Ich war mal auf einem Livekonzert. Von wegen „bunte Gay-Scene“. Das Publikum war wirklich haargenau wie das von Pur. Besagter Jens Carstens hat mir übrigens anno dunnemals die ersten Selig-Stücke vorgespielt. Jetzt kann ich’s ja sagen: Nicht der offizielle Selig-Schlagzeuger hat die Stücke eingetrommelt, sondern Jens Carstens. Falls das überhaupt jemanden interessiert. Alles Lug und Betrug.

Auf jeden Fall hat mich Jan Plewka damals überzeugt. Endlich mal jemand, der etwas zu sagen hatte. Da ich ja im öden Profimusikermilieu sozialisiert worden bin, war das eine echte Offenbarung. Plewka hat damals übrigens entnervt die Segel gestrichen, weil er von seinen Bandkollegen (alles Muckertypen) und von Produzent Franz Plasa (hat später Echt gemacht) ständig mit seinem eher begrenzten Stimmumfanga ufgezogen wurde. Außerdem hat Franz Plasa allen Ernstes angefangen, Texte für Selig zu schreiben. Franz Plasa! Das muß man sich mal vorstellen.

Was ist eigentlich von der neuen deutschen Welle übriggeblieben? Meiner Meinung nach nur Ideal. Ich meine allerdings nicht den Quatsch, den Annette Humpe später gemacht hat. Bahnbrechend waren damals auch Ulla Meineckes und Herwig Mittereggers Soloplatten. Wirklich ganz tolle, metapherngesättigte Texte. Die Deutschen mögen übrigens keine Metaphern, alles muß gegenständlich sein. Schnörkellos, geradeaus. Öde. Weltmeister der öden Geradeaustexte sind immer noch die Toten Hosen, die ja schon seit vielen Jahren vormachen, wie man die Zitrone richtig ausquetscht, Verwalter einer erfolgreichen Geschäftsidee. Von dieser Sorte gibt es in Deutschland noch ein paar; man kann sich ja denken, wer gemeint ist.

Die Stuttgart- und Frankfurt-Posse ist mir persönlich zu hippiemäßig. Die Söhne Mannheims sind natürlich ganz schlimm. Warum eigentlich? Weil sie sich und ihre zweitklassigen Abituriententexte auch noch so schrecklich ernst nehmen. Humorlose Missionare nerven immer, am meisten natürlich der heilige Xavier. Wer ist noch unerträglicher als Schnappi, das kleine Krokodil? Xavier Naidoo!

Schätzen tu ich trotz ebenfalls erwiesener Humorlosigkeit Oberhippie Max Herre (ich frag mich bis heute, ob „Halt dich an deiner Liebe fest“ eigentlich eine Verarschung ist), weil er ein sehr begabter Komponist und Produzent ist. Außerdem ist er der Einzige, bei dem ich die Soul-Ausrichtung seiner Stimme erträglich finde (seine Frau Joy Denalane geht natürlich gar nicht). Stefan Gwildis mit seiner Spießer-Idee „Soulklassiker mit deutschen Texten“ kenne ich mittlerweile auch schon seit 15 Jahren. Er ist ein netter Kerl, und es sei ihm gegönnt, mit so einer bescheuerten und tristen Masche tatsächlich durchzukommen.

Deutschsprachiger HipHop hat ja fast den ähnlichen Verlauf genommen wie damals die neue deutsche Welle.

Die wenigen Guten (meine Freunde von Fettes Brot zum Beispiel) werden übrigbleiben, um den Rest ist es überwiegend nicht schade. Interessant war für mich, daß der deutsche HipHop starke Parallelen zum „neuen Markt“ und der Popliteratur aufwies: Von Mitte der Neunziger an extremer Hype, Supernovapumpen, und im März 2001 dann Implosion und Verdichtung im schwarzen Loch. Da sollte mal eine Doktorarbeit drüber geschrieben werden.

Was gibt’s noch? Eine hoffentlich große Karriere hat Olli Schulz vor sich: Spitzentexte und -musik, astreiner Entertainer. Verdienstvoll: Bernd Begemann, Tom Liwa. Und, obwohl viele das sicher nicht gern hören: Grönemeyer. Grönemeyer ist tatsächlich das einzige von den deutschen Schlachtschiffen, das sich vom Reck bewegt hat. Den „Kinder an die Macht“- Quatsch muß man ihm irgendwann auch verzeihen können. Wir sind ja nicht kleingeistig.

Furchtbar ist Mia. Strunzendumm, und das dann noch ohne Unrechtsbewußtsein plakativ zur Schau tragen. Sagenhaft blöd. Außerdem würde Mieze glaube ich alles machen, Dschungelcamp und so. Wartet mal ab! Ich hab ein sicheres Gespür für sowas.

Und noch etwas: Madsen sind doof. Als ich die das erste Mal bei MTV sah, wußte ich, daß die unfaßbar gehypt würden. Ich sag’s hier mal verbindlich: Madsen sind untalentiert. Glaubt’s mir einfach, ich könnte es auch beweisen.

So, kein Bock mehr. Ihr habt schon gemerkt: Thesen, gefüttert mit Fakten und Emotionen, ergibt Kernkompetenz. Ich hoffe, es ist mir gelungen, das fatale Knäuel aus Halbwissen, Demagogie und gezielten Falschinformationen zu entwirren. Nährschlamm für Gehirnjogger, ein Think Tank für Glasbläser, kurz: eine halbdimensionale Schnitzeljagd ins Land der Träume. Oder so ähnlich. Und immer dran denken: Symmetrie ist die Schönheit der Dummen.

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