Herrenmagazin in Berlin: Hamburgs Finest

Herrenmagazin waren schon immer die Szene-Lieblinge des Hamburger Indie-Rocks. Mit ziemlicher Sicherheit immer eine der Lieblingsbands deiner Lieblingsband. Nach zehn Jahren Pause sind sie endlich wieder da. Und spielen in Berlin groß auf.

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Herrenmagazin feiern Comeback im Bi Nuu – ein Abend wie ein Wiedersehen alter Freunde

Jeder kennt diese Freundschaften. Diese ganz besonderen Freundschaften, bei denen sich aus irgendeinem recht unspektakulären Grund irgendwann der Kontakt verliert. Nach Monaten, vielleicht sogar nach Jahren, in denen man sich weder gesehen noch gehört hat, trifft man dann wieder aufeinander und obwohl sich die Welt in der Zwischenzeit so oft um sich selbst gedreht hat, dass gar nichts mehr zu sein scheint, wie es vorher einmal war, so hat sich doch zumindest diese Freundschaft scheinbar überhaupt nicht verändert. Man knüpft gemeinsam einfach wieder da an, wo man damals aufgehört hat. Als würde Zeit gar keine Bedeutung haben. Als wären die Gefühle, die Liebe für sein Gegenüber irgendwie konserviert worden. So ist das auch am Sonntagabend mit Herrenmagazin, die im ziemlich ausgefüllten Berliner Bi Nuu spielen.

Zwischen Euphorie und Weltschmerz

Sie sind einfach wieder da, kommen nach Berlin, als wäre alles so wie immer, als wären sie nicht einfach zehn Jahre weg gewesen. Betreten die Bühne, singen wie selbstverständlich Lieder, die die ganze Welt bedeuten und man hat den schönsten Abend, den man nur haben kann. Es wird getanzt und gesungen und getrunken und der gesamte Weltschmerz miteinander geteilt, der einem da so schwer auf den Schultern liegt. Alles hat sich verändert und doch ist alles wieder so, wie es immer gewesen ist. So paradox kann das Leben sein. Oder auch ein Konzertbesuch.

Herrenmagazin sind wieder da. Die Hamburger Indie-Band hat zwischen 2008 und 2015 vier sehr feine Alben auf den Markt gebracht, ihr Erstling „Atzelgift“ genießt noch heute einen Indie-Klassiker-Status, die folgenden Alben waren sogar noch etwas besser, reifer und ausgereifter, zeigten feine Miniatur-Poesie, in der sie die Schwere der Welt mit einer wunderbaren Leichtigkeit verhandelten. Herrenmagazin waren schon immer die Szene-Lieblinge. Hamburgs Finest. Das wurde zwar selten laut ausgesprochen, aber in den relevanten Kreisen schon immer geflüstert. Herrenmagazin waren mit ziemlicher Sicherheit immer eine der Lieblingsbands deiner Lieblingsband.

Berlin können sie. Und das gleich zwei Mal.

Zehn Jahre waren sie weg. Jetzt sind sie mit ihrem neuen, sehr fantastischen Album „Du hast hier nichts verloren“ zurück, erneut eingecheckt im Grand Hotel van Cleef und für ein, nein, für zwei Gastspiele ihrer aktuellen Tour in Berlin. Schon am Tag zuvor spielten sie das ausverkaufte Bi Nuu an die Wand. An Spielfreude und Enthusiasmus stand Berlin II dem in nichts nach. „Berlin können wir“, sagt Gitarrist König Wilhelmsburg, mit Verweis darauf, dass viele Hamburger Bands, mit gemischten Gefühlen in der Hauptstadt auftreten. Berlin ist nicht Hamburg. Aber er hat Recht. Berlin können sie. Berlin liebt Herrenmagazin.

Ihre besten Momente an diesem Abend sind die lautesten. Wenn sie etwa bei „Krieg“ ihre langen, rockigen Instrumentalparts ausspielen, entfacht diese Band eine Energie auf der Bühne, von der man glaubt, dass sie die Welt im Flammen setzen könnte, nur um dann wieder in ruhige, introvertierte Momente zusammenzufallen. An diesem Abend bespielen Herrenmagazin gekonnt die gesamte Klaviatur menschlicher Emotion. Das episch anschwellende „Alle sind so“ wird komplett vom Publikum getragen. Keiner will so sein, doch alle sind so / Im Zweifel gut gemeint, doch alle sind so, singt ein Saal. Ist das noch Rock’N’Roll oder schon Therapie? Die aktuellen Single-Auskopplungen „Fragment“ und „Alter Debütant“ werden vielleicht sogar noch ein Stück weit mehr betanzt, als die Songs von ihren alten Alben.

„Fragment“:

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Keine Frage: Herrenmagazin sind zurück, wirklich zurück, in Hamburg spielten sie vor einigen Tagen in der Markthalle das größte Konzert ihrer Karriere. Es ist der späte Triumph einer Band, deren großes Drama darin besteht, nie dort gestanden zu haben, wo man hätte stehen können. Dass Herrenmagazin nie den ganz großen Erfolg hatten, mag daran gelegen haben, dass sie einfach zu spät waren. Zu sehr zwischen allen Stühlen standen und immer knapp neben dem Zeitgeist vorbeiliefen. Aber um das zu verstehen, muss man vielleicht noch ein wenig früher ansetzen.

Die Hamburger Schule und ihre Erben

In den frühen 1990er-Jahren. Während man die Findungsphase eines wiedervereinigten Deutschlands und das proklamierte „Ende der Geschichte“ in Berlin exzessiv mit dem Eingang einer hedonistischen Technokultur feierte, schaute man in Hamburg – mit einigem Abstand zum Epizentrum dieser kulturellen Einschläge – eher nüchtern und kritisch auf das neue Deutschland. Ende der 1980er-Jahre kam die Hamburger Schule auf, ein Sammelbegriff für aufstrebende Bands und Künstler wie Blumfeld, Die Sterne, Bernd Begemann oder später auch Tocotronic, die den sogenannten Diskurspop etablierten.

Die Geschichte einer unterschätzten Band – Indie-Helden der zweiten Welle

Parolenhafte, doppelschichtige Texte, die das politische und gesellschaftliche Zusammenleben verhandelten. Statt auf Technobeats zu setzen, griff man in Hamburg lieber zur Gitarre. In den frühen 00er-Jahren hatte die Hamburger Schule dann die allgemeine Hochschulreife erlangt, Blumfeld wandten sich dem Schlager zu, Tocotronic kehrten Hamburg den Rücken, und eine neue Generation von Bands um Tomte und Kettcar legten den Fokus von nun an radikal auf die eigene Befindlichkeit.

Plötzlich gab es keinen doppelten Boden mehr. Die Außenwelt, wenn sie denn noch vorkam, war nur zur Spiegelung des eigenen von Unsicherheiten geplagten Ichs noch zu gebrauchen. Diese Flucht nach Innen war alles andere als selbstverständlich, denn das Bild vom Siegeszug der westlichen Welt hatte längst Risse bekommen. Mit 9/11 endete selbst in der deutschen Popliteratur die vielbeschworene Ironie als Distanzierungsstrategie, die Rockmusik als dominante Jugendkultur reagierte in den Staaten mit einer erneuten Politisierung auf die islamistischen Anschläge.

In Deutschland entschied man sich hingegen für den Rückzug nach innen. Die Welt um einen herum schien nicht perfekt, aber doch gut genug zu sein, um sie nicht groß verändern zu wollen, schließlich war der Muff der Kohl-Ära abgelegt, es gab eine als progressiv empfundene rot-grüne Bundesregierung, das Land war sehr viel fortschrittlicher geworden, und beim Irak-Krieg machte man ja auch nicht mit. Die gewollte und radikale Entpolitisierung in einer hochpolitischen Zeit war der vielleicht größtmögliche, revolutionäre Gedanke der deutschen Musik um die Jahrhundertwende. Es war die Zeit, in der sich Herrenmagazin zusammenfanden. 2004 gründete sich die Band. In der Hochphase der Erben der Hamburger Schule. Herrenmagazin machten auch das, was die anderen Bands dieser Zeit machten, nur etwas filigraner, etwas poetischer und vielleicht auch eine Spur rockiger. Doch sie kamen zu spät.

Kettcar – „Landungsbrücken raus“:

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Zu dem Zeitpunkt als die Band richtig aufspielte, hatte sich längst ein Raum geöffnet, in dem sich eine neue, deutsche Popmusik entwickelt hatte. Eine neue Generation, die die Tomtes und Kettcars und Herrenmagazine beerbte, noch bevor letztere erst so wirklich begonnen hatten. Eine neue Generation, die deutsche Musik machte und dabei sowohl die Schwere des Diskurses, als auch die subtile Poesie der Befindlichkeiten ablegte. Deutscher Indie entwickelte sich in den 2010er-Jahren zu dem bis heute vorherrschenden seelenlosen Deutschpop-Müll um Tim Bendzko, Mark Forster, später Fynn Kliemann und deren Klone. Herrenmagazin gingen einfach unter.

In ihrer Abwesenheit haben sich die Bandmitglieder anderen Dingen zugewandt. Drummer Rasmus Engler hat irgendwelche unsichtbaren Fäden in der Hamburger Musikszene gesponnen und gemeinsam mit Jan Müller den besten Hamburg-Musik-Roman seiner Generation geschrieben. Sänger Deniz Jaspersen hat Kindermusik gemacht. Diesen herausragenden Sänger an ein so falsches Genre zu verlieren, war vielleicht das größte Drama, das einem erst wieder bewusst wird, als er nach zahlreichen Zugaben als letzten Song des Abends den größten Hit der Band anspielt: „Lnbrg“.

„LNBRG“

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Was für ein Sänger. Was für ein Song. Was für ein Abend. Und am Ende liegt man sich zumindest sinnbildlich in den Armen, geht auseinander, im Unwissen darüber, ob man wieder zusammenkommen wird. „Wir kommen bald wieder“, verspricht Jaspersen zwar noch von der Bühne aus, besang aber zuvor doch auch die Liebe zu leeren und halbleeren Versprechen.

Kann also sein, dass es stimmt. Kann aber auch sein, dass wieder viele Jahre oder eben auch eine Ewigkeit vergehen. Aber wahrscheinlich spielt das auch gar keine große Rolle. Die Türen und Herzen werden dieser Band wohl auch noch in zwanzig Jahren offenstehen. Nicht nur in Berlin.