Howlin‘ Wolf

Von der Mutter verstoßen, im Mississippi-Delta unter unwürdigsten Verhältnissen aufgewachsen und von Charley Patton in die Mysterien der Blues-Gitarre eingeführt, mutierte ehester Arthur Burnett in Howlin' Wolf. Und verschaffte sich Respekt durch seine imposante Erscheinung und die dunkle, archaische Kraft seiner Musik, die welt- weit mehr als eine Generation von Musikern in ihren Bann zog.

Der Junge wird es schwer haben, unkten die Nachbarn, als Chester Arthur Burnett an einem Freitag im Juni 1910 geboren wurde. Nicht einmal der Reverend vermochte die ängstlichen Eltern zu beruhigen. Die Leute seien halt abergläubisch in Mississippi, wiegelte er ab, und wahrscheinlich nirgendwo mehr als in West Point. Doch der Feuerschweif, der seit Tagen den Nachthimmel in ein fahles Licht tauchte, verhieß Unheil. Armageddon war das Wort der Stunde, die Zahl der Sui‘ zide stieg von Tag zu Tag, und alles, was der lokalen Zeitung dazu einfiel, war die schnöde Erklärung, es handele sich bei der Himmelserscheinung um Halleys Kometen und der Spuk würde bald vorüber sein. Die gut situierten Weißen schienen das zu glauben, unbeirrt gingen sie ihrem Tagewerk nach, das darin bestand, Geld für ein Opernhaus zu sammeln oder sich Sorgen um den Verfall der Sitten zu machen. Der „West Point Leader“ war ihre Postille, nur wenige Schwarze leisteten sich die neuesten Nachrichten unter der hehren publizistischen Selbstverpflichtung „Conservative in All Things, Radical in Nothing“.

West Point, in einer hügeligen Landschaft im Osten Mississippis gelegen nahe der Grenze zu Alabama, war ein unwirtlicher Ort für behütete schwarze Kinder. Armut, schwere Arbeit und Segregation prägten ihren Alltag, und der Klan stellte sicher, dass sich daran nichts ändern konnte. Doch ehester, benannt nach dem 2i.Präsidenten der Vereinigten Staaten, hatte keinen familiären Rückhalt. Sein Vater Leon, Gelegenheitsarbeiter auf den umliegenden Baumwollplantagen, war 18, als Chester zur Welt kam, seine Mutter Gertrude noch keine 16. Ein Jahr später schon trennten sich die beiden, Leon zog ins Delta, auf der Suche nach Arbeit, Chester blieb bei Gertrude. Chesters Großvater mütterlicherseits war Indianer vom Stamm der Choctaws, deren Reservat nur eine Tagesreise entfernt war, doch war es die Großmutter, die dem kleinen Chester den Rufnamen Wolf verpasst hatte, weil sie in seinen Augen ein böses Flackern erkannt hatte.

Gertrude, ohnehin seelisch instabil, steigerte sich in einen religiösen Wahn und hielt sich und ihren Sohn notdürftig über Wasser, indem sie selbsgeschriebene Spirituals an Passanten verkaufte. Wenn sie im Chor der Life Board Baptist Church sang, nahm sie Chester mit. Er verdanke sein musikalisches Talent der Mutter, sagte Wolf später. Und verschwieg, dass es wohl das einzige Gute war, das er je von ihr bekam.

Kurze Zeit später schickte Gertrude ihren Sohn fort. Sei es, weil sie einen Mann kennenhelernt hatte, dem Chester zu dunkel oder schlicht lästig war. Sei es, weil der Junge sich weigerte, für 15 Cents am Tag in den Feldern zu schuften, oder weil sie herausgefunden hatte, dass er heimlich Blues hörte oder ihn gar beim Singen desselben erwischt hatte. Gertrude duldete diese Teufelsmusik nicht, Chester fand darin Trost. Für all diese möglichen Erklärungen und etliche weitere finden sich Hinweise. Doch was auch immer davon zutraf, es bleibt die traurige Tatsache, dass die Mutter den ungeliebten Sohn an einem kalten Wintertag vor die Tür setzte, nicht ohne ihm hinterherzurufen: „Don’t come back!“.

Ohne Schuhe, nur mit Sacktuch um die Füße gewickelt, schleppte sich Chester aka Wolf viele Meilen über gefrorenen Boden, bis er das Haus seines Großonkels Will Young erreichte. Dort sollte er die schlimmsten Jahre seines Lebens verbringen, unter der Knute eines Mannes, für den kräftige Peitschenhiebe das probateste Mittel der Kindererziehung waren. „Will Young“, erinnerte sich eine damalige Freundin Chesters, „was the meanest man between here and hell.“ Von Tagesanbruch bis spät abends schuftete Chester auf Youngs kleiner Farm, half bei der Ernte, reparierte Zäune, versorgte die Schweine. Und wurde zum Lohn behandelt ¿wie Dreck. Mit 13 fasste er sich ein Herz, sprang auf einen vorbeifahrenden Zug und machte sich auf die Suche nach dem Vater, von dem er nur wusste, dass er irgendwo im Delta lebte.

Chester Burnett suchte seine Kindheit später zu vergessen, doch holten ihn die schrecklichen Erinnerungen immer wieder ein. „Er sprach nur selten darüber“, so Jahrzehnte später seine Frau, „und wenn er es doch tat, dann brach es mir das Herz, und nicht selten weinten wir beide.“ Ein Trauma, das Wolf zeit seines Lebens begleitete und das sich in seiner Musik niederschlug, in den düstersten und beunruhigendsten seiner autobiogranschen Songs wie „Smokestack Lightnin'“: „Stop your train, let a poor boy ride/ Why don’t you hear me crying?/ Awooo’hooo, fareyou well, never see you no more/ Oh. don’t you hear me crying?“ Wolf hatte den Blues auf existenzielle Weise verinnerlicht, jetzt musste er nur noch lernen, ihn wieder herauszulassen, ihm Ausdruck zu verleihen.

DIE HÖLLE DER KINDHEIT hinter sich und eine Ungewisse Zukunft vor sich, erreichte Burnett das Mississippi Delta und fand nach einigen Irrungen seinen Vater. Der hatte inzwischen eine wunderhübsche junge Frau, „built like a Coca-Cola bottle“, wie die Leute schwärmten. Um die Dämonen der Vergangenheit abzuschütteln, legte Chester seinen alten Namen ab, wollte nun John D. genannt werden. Die weitverzweigte Verwandtschaft des Vaters und seiner neuen Frau tat ihm den Gefallen. Oder rief ihn eben Wolf, wogegen nichts einzuwenden war, weil darin Furcht, aber auch so etwas wie Respekt mitschwang.

Verglichen mit dem rückständigen Osten Mississippis war das Delta eine Gegend wirtschaftlichen Wohlstands und einer gewissen Liberalität im Umgang seiner Bewohner untereinander. Der Einfluss des Ku Klux Klan fand seine Grenzen im Herrschaftsbereich der Großgrundbesitzer, die es vorzogen, nach Gutdünken zu schalten und zu walten, ohne sich mit den Führern des Klan ins Einvernehmen setzen zu müssen. Rassismus bestimmte auch hier das gesellschaftliche Leben, doch konnte es ein Nigger zu etwas bringen, wenn er fleißig war und nicht aufmüpfig. Und John D. war zu intelligent, das nicht zu begreifen. So achtete er darauf, sich keinen Arger einzuhandeln, arbeitete und aß viel, wuchs zu einem Schrank von Mann, den man auf den Plantagen bald „Bull Cow“ rief, weil er mehr als 200 Pfund auf die Waage brachte und ständig auf irgendetwas herumkaute. Wenn er nicht gerade sang. Und es gab nichts, was er lieber tat als singen.

Den Blues zu singen war leicht, sofern man ihn hatte. Und er passte sich jedwedem Gemütszustand an. Wie sein jüngerer hellhäutiger Vetter, Country & Western, hielt sich der Blues nicht mit gedanklichen Höhenflügen auf. Der beste Blues war direkt, machtvoll, adressierte aphoristisch die Freuden, vor allem aber die Fallen des Lebens sowie die Gefühle, die sich breitmachten, wenn man in dieselben tappte. Drei Akkorde und die Wahrheit, klagend vorgetragen meist. Die Musik schwarzer Landarbeiter, das Kreuz des Südens.

In den 20er Jahren, während John D. sich langsam wieder aufrappelte, erreichte der Blues eine ungeahnte Popularität, fand Verbreitung in den urbanen, industriell entwickellten Gebieten nördlich von Memphis. Dank W.C. Handys Niederschriften und beschleunigt durch die Erfindung des Grammophons. Blues konnte nun ebenso wie Hillbilly oder Jazz reproduziert werden, vervielfältigt, beliebig oft abspielbar. „Race records“ nannte man die Blues-Platten, Bessie Smith und Ma Rainey wurden damit berühmt, auch -wenn ihr Blues weniger in den Baumwollfeldern wurzelte als in Jazz und Vaudeville. Erst gegen Ende der 20er Jahre begann auch der

Country Blues auf Platten zu rotieren, Aufnahmen von Mississippi John Hurt oder Charley Patton fanden nicht wenige Käufer, wiewohl die Abspielgeräte im Besitz einer noch kleinen Minderheit waren.

Als seine erste Platte veröffentlicht wurde, war Charley Patton 30 Jahre alt und der bei weitem bekannteste Blues-Sänger im Delta. Und er beherrschte die Gitarre wie kein zweiter. Wenn er auftrat, strömten die Leute aus dem ganzen County herbei, ihm zuzuhören, wie er seine Gitarre zum Sprechen brachte, und dazu zu tanzen. Pattons Stil war ungeheuer dynamisch, aggressiv und treibend. Er schlug seine Gitarre wie ein Besessener, doch konnte er die Saiten mittels Slide auch zum Schluchzen und Weinen bringen. Sein Gesang war wild und wüst und trug meilenweit. „Er konnte brüllen wie ein Löwe“, erinnerte sich Wolf später. Patton lebte auf Dockery’s Plantation nähe Ruleville, unweit der Plantage, wo Chester beim Pflügen sang. Eines Tages, er habe gerade mit vier Mauleseln auf dem Feld seine Furchen gezogen, so Wolf, sei Patton vorbeigekommen, und er habe den bis dahin aus der Ferne Bewunderten gebeten, ihm ein paar Akkorde zu zeigen.

Am 15. Januar 1928 hatte Chester vom Vater eine Gitarre geschenkt bekommen, ein Datum, das er nie vergessen habe, weil er noch nie etwas so Schönes besessen hatte. Charley Patton mochte den bulligen Jungen, der freilich Schwierigkeiten hatte, mit seinen riesigen Pranken einzelne Saiten anzuschlagen. Und Chester war von Patton fasziniert, schlich sich mit seiner Gitarre beinahe nächtlich zu einem Jukejoint, wo Patton auftrat, saß draußen und versuchte, mitzuspielen. Und bekam langsam den Dreh heraus, auch wenn die Finger ärgerlicherweise oft mehr als die gemeinte Saite zum Klingen brachten. Bis ihn Patton, der Chesters Bemühungen von drinnen vernommen hatte, hereinbat und zu sich auf die Bühne holte. Ein Ereignis, das Burnetts Leben veränderte.

Die Tricks und Tunings, die Fertigkeiten und Finessen, die ihm Charley Patton beibrachte, vergaß Wolf nicht für den Rest seines Lebens. Und brachte solange auch kaum mehr zustande, wie er gern grimmig und nicht ohne Selbstironie hinzufügte. Auch Pattons Präsenz auf der Bühne, seine Showman-Qualitäten, hinterließen bei Wolf einen bleibenden Eindruck. Natürlich schaute er sich später auch von anderen Künstlern einiges ab, von Blind Lemon Jefferson und Lonme Johnson, von Tampa Red und Blind Blake. Jimmie Rodgers nicht zu vergessen, den ersten Country-Star, dessen Platten ihn inspirierten, dessen Jodeln er indes nicht imitieren konnte. „I couldn’t do no yodelin‘ so I turned to howlin“, erklärte er einem Interviewer, „and it’s done me just fine.“

Doch es war Pattons Beispiel, das dem Jungwolf den nötigen Mut einflößte, es

selbst mit dem Singen und Performen vor Publikum zu versuchen. Auch wenn sich der Prozess der musikalischen Identitätsfmdung hinzog und in einem halben Dutzend Stagenames seinen beredten Ausdruck fand. Zu Beginn der 30er Jahre firmierte er abwechselnd als John Dee, Chester Burnett, John D.Burnett, Foots, Buford oder Howlin‘ Wolf. Letzterer blieb schließlich an ihm haften, weil sein resonantes Heulen, die klagenden Obertöne seines dunklen Baritons und seine so furchteinflößende wie geheimnisvolle Erscheinung dazu passten wie ein Handschuh. Johnny Shines, der ihn damals erlebte.hatte Angst vor ihm, vor seiner bedrohlichen Ausstrahlung, mehr aber noch vor dem Voodoo des Sounds, den Wolf seinem gewaltigen Brustkorb abrang. Und seiner Gitarre, ein zerschundenes, mit Klebeband notdürftig zusammengehaltenes Instrument, das in seinen Händen wirkte wie Spielzeug. Shines sah zu Wolf auf, ahmte ihn nach und wurde daher bald Little Wolf genannt. Chester Arthur Burnett, der heulende Wolf, hatte als reisender Musiker eine eigene Saat ausgebracht, die gerade erst dabei war aufzugehen. Und noch sollten viele Jahre vergehen, bis er ein Tonstudio von innen sehen würde.

IN MEMPHIS/TENNESSEE floss Ende der 40er Jahre alles zusammen, was vor dem Krieg noch säuberlich getrenntwar. Im HonkyTonk ertränkten nicht nur weiße Kriegsheimkehrer ihren Schmerz, im Blues suchten und fanden nicht nur schwarze Trost und Vergessen. Auch Wolf war noch nicht lange aus dem Militärdienst entlassen worden. Der Drill hätte ihn „fast umgebracht“, so wusste er später zu berichten, die Army sei „die Hölle“ gewesen und er „ein nervliches Wrack“, absolut untauglich für den Kriegseinsatz. Uncle Sam muss das ähnlich gesehen haben, denn nur so lassen sich Wolfs Entlassungspapiere interpretieren, die den Vermerk „ehrenhaft“ vermutlich nur deshalb tragen, weil man heilfroh war, den Unruhestifter Burnett los zu sein. Wolf lebte schnell wieder auf.reaktivierte sein Musik-Repertoire und verdingte sich bei einem lokalen Radiosender, dessen Signal aber noch in Arkansas, Missouri und Mississippi empfangen werden konnte. „This is the Wolf comin‘ at ya from KWEM in West Memphis, your only real home for the real down-home blues“, konnte man ihn die Live-Sessions ansagen hören in seiner tiefen, heiseren, warm vibrierenden Stimme, „now Howlin‘ Wolf and the-House Rockers is gonna playyou an oldtime Charley Patton number, but we kinda jazzed it up a little, and I think you cats are gonna like it.“ Dann ein Riff, so schneidend und verzerrt, dass selbst abgebrühte Hörer zusammenzucken mussten und der Engineer entnervt die Regler herunterfuhr. Eigentlich hätten sie die Hilfe der Airwaves nicht gebraucht, um bis Little Rock gehört zu werden, so Wolf, es hätte genügt, die Fenster des Studios zu öffnen.

Die täglich ausgestrahlten, anfänglich nur 15 Minuten dauernden und vom House Of Bread gesponserten Shows multiplizierten Howlin’Wolfs Reputation als kantiger, kompromissloser Blues-Renegat, seine abendlichen Auftritte in den Clubs der Beale Street taten ein übriges.Muddy Waters, Wolfs späterer Erzrivale und Intimfeind, hat es vehement bestritten, doch behaupteten Zeitzeugen wie Sam Phillips, dass die elektrische Gitarre in der Blues-Szene von Memphis bereits etabliert war, als man in Chicago noch verzweifelt versuchte, sich in den lauten Bars mit akustischem Fingerpiclong Gehör zu verschaffen.

Phillips, Eigner von Sun Records und ehrgeiziger Produzent, war überhaupt begeistert von der Musik des „big bad wolf“. Doch war es sein Talent-Scout Ike Turner, der Wolfs Potenzial für den Plattenmarkt als Erster erkannte. So betrat Wolf 1951 erwartungsvoll jenes Studio, in dem drei Jahre später ein gewisser Elvis Presley den Rock’n’Roll von der Leine lassen sollte. Wolf nahm zwei Tracks auf, „Moanin‘ At Midnight“ und „How Many More Years“, begleitet von Gitarrist Willie Johnson und Drummer Willie Steele. Wer das Piano beisteuerte, ist nicht verbürgt, aber es könnte der junge Turner gewesen sein, ein Tausendsassa, der ungefähr zur selben Zeit Jackie Brenstons „Rocket 88″in die Umlaufbahn schickte.

SAM PHILLIPS WUSSTE, dass Sun Rccords ein regional zu beschränktes Label war, um für Wolfs Single den erforderlichen Vertrieb zu gewährleisten, also schickte er die Tapes an Chess in Chicago und an Modern in Kalifornien. Ein Fehler, denn was folgte, war ein juristisches Tauziehen um die Rechte, was sich ungünstig auf die Veröffentlichung auswirkte. Trotzdem tätigte Howlin‘ Wolf in der Folgezeit eine ganze Reihe von Aufnahmen, entweder mit Phillips, der sie dann an Chess lizensierte, oder in einem noch kleineren Studio in West Memphis mit Ike Turner für Modern. Die Platten liefen bestens, auf 78rpm oder bereits in dem neuen, kleineren Format auf 45rpm, die Nachfrage nahm zu.

Nicht nur nach Wolfs Musik. Auch andere Künstler hatten die Urbanisierung des Blues vorangetrieben und seine Transformation in Rhythm iS Blues maßgeblich mitbestimmt, nicht zuletzt Muddy Waters und John Lee Hooker. Sie alle hatten ihren individuellen, unverwechselbaren Stil entwickelt, doch war ihren gemeinsam, dass sie die melodischen und harmonischen Strukturen des Delta Blues mit elektrisch verstärkten Instrumenten spielten und mit einem tanzbaren Beat unterlegten.

„Der Blues hatte sich im Laufe von Monaten drastisch gewandelt“, erklärte Billy Boy Arnold, der seinerzeit hauptsächlich in Chicago sein Auskommen fand, „Ende der 40er Jahre waren Big Bill Broonzy und Memphis Minnie noch das Maß der Dinge, nun musste man plötzlich Verstärker aufbieten, um nicht ins Hintertreffen zu geraten.“ Eine neue Blues-Generation trat ihren Siegeszug an, der die 50er Jahre über anhalten sollte. Muddy, John Lee und Wolf, danach B.B. King, Elmore James, Jimmy Reed. „Es lag Aufbruch in der Luft“, so Wolf,

„die Leute sagten, wir hätten eine neue Tradition begründet.“

Ende 1952 war Memphis zu klein geworden für Wolf. „Mehr Leute quetschten sich für ihn in die Schuppen als für jeden anderen“, wusste Rufus Thomas zu berichten, „mehr als für Ray Charles“. Mit 3900 Dollar in der Tasche verließ Wolf in einer 4000 Dollar teuren Karosse die Stadt Richtung Norden, „wie ein Gentleman, nicht auf der Flucht“, das war ihm wichtig, „Om on my way to Chicago“, hatte er seine Radiohörer informiert, „the people have never seen the Wolf there.“

Chicago zog ihn magnetisch an, die florierende Club-Szene, die noch mehr Einkünfte versprach, das Nachtleben, von dem man sagte, es würde rund um die Uhr pulsieren. Und Wolf wollte endlich in den Chess-Studios aufnehmen, Leonard Chess hatte eigens für ihn ein Appartment im Studio-Komplex reserviert. Aber Willie Johnson, dessen gefährlich fauchender Gitarre Wolfs frühe Aufnahmen einen Gutteil ihrer Unmittelbarkeit verdankten, lehnte es ab, nachzukommen. Wolf brauchte dringend Ersatz. Seine Wahl fiel auf Hubert Sumlin, einen schüchternen Jungspund, der in Wolfs Gegenwart anfangs erstarrte. „Wolf scared me to death he did“, erzählte Sumlin später lachend. Dennoch nahm er Wolfs Einladung an, setzte sich in de n Zug nach Chicago und wurde wie versprochen am Bahnhof abgeholt.

Wolf hatte seinen Pianisten Otis Spann geschickt, einen umgänglichen Kerl, der Sumlins Bedenken zu zerstreuen wusste. Noch konnte niemand ahnen, dass Hubert Sumlin nicht nur eine Art Adoptivsohn für Wolf werden sollte, sondern auch sein kongenialer Kollaborateur bis zum bitteren Ende.

CHICAGOS BLUES-SZENE platzte aus allen Nähten. Hunderttausende schwarze Migranten aus dem Süden verlangten Abwechslung und Ausschweifung nach der täglichen Fron in den Fabriken. Die Konkurrenz unter den Künstlern war enorm, doch hatte sich Muddy Waters den Platz auf dem Blues-Thron gesichert. Bis Wolf kam und sich eine Fehde zwischen den beiden entspann, die bald in offene Feindschaft ausartete.

Dabei hätten Wolf und Waters nicht unterschiedlicher sein können. Wolf hinterfragte alles, akzeptierte nichts als gegeben. Muddy zog es vor, sich mit den Verhältnissen zu arrangieren. Diebeiden buhlten um die lukrativsten Auftrittsorte, um den ersten Zugriff auf die Songs des produktiven Chess-Komponisten Willie Dixon, um die besten Musiker. Eines Tages schickte Muddy seinen Chauffeur mit einem Bündel Banknoten zu Hubert Sumlin, um ihn abzuwerben. Was immer Wolf ihm zahle, so ließ er ausrichten, er würde es verdreifachen. Sumlin wurde schwach, von so viel Geld hatte er nie zu träumen gewagt. Aber es plagte ihn das schlechte Gewissen, immerhin war Wolf wie ein Vater zu ihm, hatte ihn fein eingekleidet und ihn auf das Chicago Conservatory Of Music geschickt, um sein Spiel zu perfektionieren. Howlin’Wolf war tief gekränkt, als er von Sumlins „erbarmungswürdigem Verrat“ Wind bekam, schickte nach Williejohnson, der für einige Zeit einsprang, bevor Sumlin zerknirscht zurückkehrte. An Muddys lockeres Regime hatte sich der junge Gitarrist nicht gewöhnen können, er brauchte Wolfs harte Hand und Fürsorge. Der zeigte sich nicht nachtragend, nahm den verlorenen Sohn wieder auf.

Wolfs Sturm- und Drangzeit waren die frühen 50er J ahre, seine musikalisch kreativste Zeit indes sollte noch kommen und sich in einer Reüie fantastischer Singles verewigen, die zwischen 1956 und 1964 erschienen und mehr als eine Generation von Musikern nachhaltig in ihren Bann zog. Die britische Rfe?B-Szene, nicht zuletzt von Wolfs magischem Primitivismus inspiriert, erwies dem Veteranen den ihm gebührenden Respekt und hielt ihn im Geschäft. Umso trauriger, dass Chess ihn zu so unwürdigen Manövern nötigte wie „The Howlin Wolf Album“, eine Beleidigung aus Wah-Wah-Gitarren und psychedelischem Rock-Gedöns, für Wolf nur „The Dogshit Album“. Er war den von Marshall Chess anberaumten Sessions demonstrativ ferngeblieben, hatte dem umtriebigen Spross des Label-Bosses unmissverständlich mitgeteilt, was er von derlei spekulativen Anbiederungen an den Zeitgeist hielt. Wolf war ohnehin unzufrieden mit der Veröffentlichungspolitik des Labels, fühlte sich unter Wert feilgeboten und hatte sich darüber bereits mit Willie Dixon angelegt. Am Ende war ihm freilich nichts anderes übriggeblieben, als den Vertrag zu erfüllen und seine Gesangsspur zu belegen, nicht ohne sarkastischen Unterton. „The London Howlin V/olf Sessions“ waren da von anderem Kaliber, Wolf fühlte sich nach anfänglichem Fremdeln wohl, erwiderte die ihm entgegengebrachte Verehrung mit jovialer Gelassenheit. An den Stones hatte er ohnehin einen Narren gefressen, nannte sie gar überschwenglich „my boys“. bis zuletzt.

Wolfs finale Großtat, für die er noch einmal Reserven mobilisierte, war die LP „The Back D » or Wolf. Keine musikalische Offenbarung, doch ein Dokument von Stolz und Stärke, bevor die tückische Nierenschwäche auch mittels Dialyse nicht mehr zu beheben war. Howlin‘ Wolfs Willenskraft obsiegt über seine Stimme, die einst unbezähmbar war, er besingt, was sein Leben geprägt hat, vom ersten Atemzug bis zum letzten. Leid, Rassismus, Überlebenskampf, Hoffnung. „You know they call us coons, say we don’t know no sense“, erinnert er an das alte Schmähwort für Seinesgleichen, „you gonna wake up one morning and a coon’ll be President.“

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates