IM MUTTERBAUCH

Wie sehr Nirvana mit „In Utero“ zurück zu den Wurzeln wollten, erlebt man auf den knapp 90 remasterten, remixten, raren, unveröffentlichten und live mitgeschnittenen Aufnahmen des Jubiläum-Boxsets in vielfacher Weise. Insbesondere die Demosessions, die in Seattle, Arlington und Rio de Janeiro entstanden, führen nah heran an die fulminante Kreativität der Band. Nirvana spielen dort mit einer ungeheuren Wucht, legen in ihren Sounds und Riffs den Einfluss von Bands wie Black Sabbath und Black Flag frei und sind vor allem eins -eine begeisternd kraftvolle, großartig spielende Band. „Wenn du dir die Demos auf dem Boxset anhörst, hörst du das Spontane und Wilde“, sagt Krist Novoselic im Gespräch mit dem ROLLING STONE. „Diese Energie hat uns immer zusammengehalten. Wir haben es geliebt, zusammen zu spielen. Wir konnten das; wir waren eine gute Band. Wir wussten sehr genau, was für eine Platte wir machen wollten und hatten viel geprobt. Als wir zu Steve (Albini -Anm. d. Red.) fuhren, waren wir gut vorbereitet. Die meisten Songs hatten wir beim ersten Take im Kasten.“

In den Liner Notes schreibt der amerikanische Komiker Bobcat Goldthwait, der bei einem Teil der „In Utero“-Tournee die Shows eröffnete, Nirvana seien gar nicht die depressive, vom Ruhm verbitterte Band, die man sich immer vorstellt, sondern ein lustiger Haufen. „Genau“, stimmt Novoselic zu, „als wir die Videos für das Boxset ausgesucht haben, half uns ein Typ dabei und er sagte immer nur: ,Ihr lacht ja die ganze Zeit!‘ Wir waren eine Band, die jede Menge Spaß hatte. Einmal während der Tour saßen wir in einer Bar und tranken ein paar Bier, und im Fernsehen liefen die Simpsons. In der Folge war Homer ein Rockstar und trug ein Hemd wie das von Kurt im „Teen Spirit“-Video und spielte in einer Band namens Sadgasm Aber guck ihn dir bei dem Live-Konzert auf der DVD im Boxset an: Er sieht großartig aus, er singt großartig. So war er, wenn er Spaß hatte.“ Das Konzert -„MTV’s Live &Loud“ vom 13. Dezember 1993 -ist tatsächlich fabelhaft: Nirvana haben eine unfassbare Energie, Cobain ist so konzentriert wie inspiriert, und die ganze Band versinkt in einem fantastischen Lärm.

Eine der schönsten Beigaben des Boxsets ist ein im Booklet abgedruckter Brief von Steve Albini an Nirvana. Albini antwortet dort auf die Frage, ob er den Nachfolger zu „Nevermind“ produzieren wolle. Ja, sagt der sperrige Produzent, aber nur zu meinen Bedingungen. „Remixing is for talentless pussies who don’t know how to tune a drum or point a microphone“ („Remixen ist etwas für talentlose Weicheier, die nicht wissen, wie man eine Trommel stimmt oder ein Mikrophon ausrichtet“), lautet eines der dann verkündeten Dogmen. Dass Steve Albini nun doch das komplette Album neu abgemischt hat, hat etwas Versöhnliches. „Es war sofort klar, dass wir ihn zuerst fragen würden“, sagt Novoselic, „erstens, weil er genau der richtige Mann für so etwas ist, und zweitens, weil unsere Hardcore-Fans es uns vielleicht übel genommen hätten, wenn wir jemand anderes gefragt hätten.“ Der Streit von damals spielte keine Rolle mehr? „Ach was, Steve war sofort Feuer und Flamme. Also sind wir nach Chicago gefahren und haben es gemacht. Ganz altmodisch, direkt von den Masterbändern aufs Pult, ohne digitale Plug-ins oder so etwas. Dave (Grohl – Red.) und Pat (Smear -Red.) waren kurz da, aber die meiste Zeit waren es Steve und ich.“

In der „In Utero“-Box sind der neue Mix sowie ein Remaster des originalen Albums, dazu Steve Albinis Originalmixe -da kann man wunderbar hören, wie Scott Litt die sehr fleischigen Originalmixe etwas abspeckte und Steve Albini zwanzig Jahre später das Mittenbrett zurückholt, das Frequenzspektrum aber auch nach oben öffnet. „Es gibt so viele Menschen, die Nirvana lieben“, sagt Novoselic, „wir wollten ihnen möglichst viel geben, das sie noch nicht haben. Aber natürlich macht man so etwas auch für sich selbst. Es ist ja vermutlich das letzte Mal, dass wir uns in dieser Weise mit der Band beschäftigen.“

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