Im neuen ROLLING STONE: Das beste aus Bob Dylans Bootlegs – CD „Deep Dylan“

„Trouble No More“ ist der 13. Teil der Reihe „The Bootleg Series“, in der seit 1991 unveröffentlichte Songs, Outtakes und Live-Aufnahmen aus Bob Dylans Archiv erscheinen. Die Fülle des Materials, das teilweise die auf offiziellen Alben erschienenen Tracks in den Schatten stellt, ist erstaunlich. Für den ROLLING STONE haben wir auf „Deep Dylan“ nun exklusiv zehn absolute Höhepunkte aus dieser Reihe zusammengestellt

Dink’s Song
Die Schauspielerin Bonnie Beecher hatte Anfang der Sechziger ein Apartment in Dinkytown, dem Studentenviertel von Minneapolis. Wenn Folkmusiker auf der Durchreise einen Platz zum Schlafen brauchten, kamen sie häufig hier unter. Deshalb nannten viele die Wohnung „The Minnesota Hotel“. Auch Bob Dylan stieg bei Beecher ab, wenn er sich mal wieder in seiner alten Heimat aufhielt. Im Dezember 1961 spielte er hier ein kleines Konzert, und der Bluesmusiker ­Tony Glover schnitt alles mit. Einige der Aufnahmen erschienen 1969 auf dem ersten Bootleg der Pop­geschichte, das den Titel „The Great ­White Wonder“ trug. „Dink’s Song“ ist einer der Höhepunkte auf dem „Minnesota Hotel Tape“. Das Lied hatte der Folklore­forscher John Lomax 1909 in einem Zeltlager von Dammbauern am texanischen Greater Calhoun Bayou River einer afroamerikanischen Frau abgelauscht, die Dink hieß.

Ballad For A Friend
John Hammond, der Bob Dylan für Columbia Records entdeckt und im November 1961 ein erstes Album mit ihm aufgenommen hatte, machte seinen Schützling mit dem Musikverleger Lou Adler bekannt, der dem jungen Sänger anbot, für einen Vorschuss von 1.000 Dollar Demos seiner eigenen Lieder aufzunehmen, sodass der Songverlag Leeds Music sie anderen Künstlern anbieten konnte. Besonders viel selbst komponiertes Material hatte Dylan noch nicht – gerade mal sieben Songs konnte er zusammenkratzen. Einer davon war das hübsche „Ballad For A Friend“. Erst nachdem Adler Dylan erklärt hatte, dass mit Songwriting Geld zu verdienen war, wurde aus ihm ein hauptberuflicher Songwriter.

Tell Me Momma
Das nächste, gut vier Jahre später aufgenommene Stück klingt nach diesem Folkliedchen wie ein Meteo­riteneinschlag, der alle Folkszenen der Welt auslöscht. Und so ähnlich war es auch. „Tell Me Momma“ war auf der Europatour 1966 bei jedem Konzert der erste Song des elektrischen Teils. Erst hatte Dylan bekifft seine surrealen Poeme zu akustischer Gitarre rezitiert, dann stand er mit seiner Band, die einst den Rockabilly-­Musiker Ronnie Hawkins begleitet und sich The Hawks genannt hatte (nur der Schlagzeuger Levon Helm war ausgestiegen), auf der Bühne, um ein Rock’n’Roll-Gewitter sondergleichen zu entfachen. Die auf „Deep Dylan“ zu hörende Aufnahme eines nie auf einem Studioalbum erschienenen Songs stammt vom Legende gewordenen Konzert in der Free Trade Hall in Manchester, bei dem ein aufgebrachter Fan, der nicht glauben konnte, dass Dylan die reine Lehre des Folk für die elektrisch verstärkte Unterhaltungsmusik aufgegeben hatte, gegen Ende lautstark „Judas!“ rief.

She’s Your Lover Now
Am Tag vor dem Konzert in Manchester war Bob Dylans Meisterwerk „Blonde On Blonde“ erschienen. Großenteils in Nashville mit Session-Musikern entstanden, hatten die Aufnahmen Ende 1965 noch im Studio A von Columbia Recording in New York begonnen. Dort versuchte Dylan sich auch am 21. ­Januar 1966 einen ganzen Tag lang mit seiner Band (am Schlagzeug: Sandy Konikoff) an einem neuen Song mit dem Titel „She’s Your Lover Now“. Erst im 19. Durchgang gelang ihnen ­eine komplette Version – die es aber auch nicht aufs Album schaffte. Der schönste Take dieses Tages ist der auf „Deep Dylan“ zu hörende sechste Versuch. Hier scheint er den Sound zu finden, der „­Blonde On ­Blonde“ ausmachen sollte.

All You Have To Do Is Dream
Levon Helm war immer noch nicht zurückgekehrt, als Bob Dylan sich nach seinem Motorradunfall im ­Juli 1966 in die Einsiedelei von Woodstock zurückzog, an der surrealen Tour-Doku „Eat The Document“ arbeitete und sich mit seiner Tourband, die sich bald The Band nennen sollte, in Hinterzimmern und Kellern zu kleinen Sessions traf, bei denen der Keyboarder Garth Hudson das Tonband laufen ließ und so einige der geheimnisvollsten und ungezwungensten Momente in Dylans Karriere festhielt. Oft wussten die Musiker nicht, ob er gerade einen alten Folk­song anstimmte oder ein eigenes Lied improvisierte. So wie das hier zu hörende „All You Have To Do Is Dream“, das seinen Titel von einem Everly-Brothers-Hit borgte, aber doch ein lupenreines Dylan-Original war. Die musikalische Geisterbeschwörung jener Tage wurde später unter dem Titel „The Basement Tapes“ bekannt.

Sign On The Window
Was für wundervolle Musik Bob Dylan in einer Zeit machte, in der die Fans ihn aufgrund seines vermurksten Albums „Self Por­trait“ von 1970 eigentlich abgeschrieben hatten, konnte man erst auf „Another Self Portrait“, der zehnten Folge der „Bootleg Series“ von 2013, hören. Das wenige Monate nach dem ersten Selbstporträt erschienene „New Morning“ galt zu Recht als eine Rückkehr zu alter Form. Auf dem schönsten Song des Albums, „Sign On The Window“, feiert Dylan das Leben als Familienvater. „Build me a cabin in Utah/ Marry me a wife, catch rainbow trout/ Have a bunch of kids who call me Pa.“ Die auf der „Deep Dylan“-Version zu hörenden, von Al Kooper und Charles Calello arrangierten Streicher wurden schließlich verworfen, dabei glaubt man dem Sänger hier jedes Wort, wenn er zu zirpenden Streichern aus vollem Halse schmettert: „That must be what it’s all about!“

One More Cup Of Coffee
Natürlich hat Bob Dylan das Forellenfischen irgendwann aufgegeben und ist aufgebrochen, um auf den Bühnen dieser Welt zu spielen. Zunächst Anfang 1974 mit The Band, dann im Herbst 1975 mit der Gau­klertruppe aus Freunden wie Allen Ginsberg, Roger McGuinn, Ramblin’ Jack Elliott, Joan Baez, Bob Neuwirth, Sam Shepard und T‑Bone Burnett, die sich The Rolling Thunder Tour nannte. Vom Aufbruch kündet auch der Song „One More Cup Of Coffee“, den er auf dieser legendären Konzertreise durch New England zu Geigen von Scarlet Rivera besonders innig barmte.

Blind Willie McTell
Nachdem er seine Ehefrau verloren hatte, fand Bob Dylan Gott, dann fand er zurück zu den Liedern, die bis heute sein Gebetbuch sind. „Nobody can sing the blues like Blind Willie McTell“, sang er in einem seiner größten Songs überhaupt, den er Anfang Mai 1983 am Klavier und mit Mark Knopfler an der akustischen Gitarre für sein Album „Infidels“ aufnahm. Ästhetisch hätte diese nackte Aufnahme sicher nicht auf das Album gepasst, aber auch die elektrisch verstärkte Version des Songs ließ Dylan links liegen. So blieb dieses Meisterstück unveröffentlicht, bis Dylan 1991 seine Archive für die „Bootleg Series, ­Volumes 1–3“ öffnete.

Red River Shore
Den Tick, die besten Tracks aus den Aufnahmesessions nicht auf die jeweiligen Alben zu nehmen, hat Bob Dylan nach „Shot Of Love“ und „Infidels“ nicht abgelegt. Selbst beim meisterlichen „­Time Out Of Mind“, das sein glorioses Spätwerk ein­läutete, fehlt mit „Red River ­Shore“ das wohl erhabenste Stück aus jener Zeit. Jim Dickinson, der einst auf dem in den Muscle Shoals Studios aufgenommenen Rolling-Stones-Track „Wild Horses“ das Klavier gespielt hatte und auf „Red River ­Shore“ an der Orgel saß, beschwerte sich in mehreren Interviews darüber, dass Dylan dieses Lied, das einige Gemeinsam­keiten mit dem gleichnamigen Song des Kingston Trios hat, einfach ignorierte.

Caribbean Wind
Der letzte Track auf „Deep Dylan“ stammt von der 13., am 3. November erscheinenden Folge der „Bootleg Series“, „Trouble No More“. Eine blank polierte Pop-Version des Songs, den Dylan 1980 im Urlaub auf der Karibikinsel Saint Vincent schrieb, konnte man bereits 1985 auf der Retrospektive „Biograph“ hören. Jener Track mit einem den titelgebenden Wind nachahmenden Frauenchor stammte aus den Aufnahmesessions zu „Shot Of Love“. Doch „Caribbean Wind“ hat, wie so viele von Dylans Stücken, oft seine Gestalt verändert. Das zeigt nun diese frühe, geradezu intim klingende Aufnahme des Songs von einer Tourprobe am 23. ­September 1980 mit dem alten Neil-Young-­Weggefährten Ben Keith an der Pedal-Steel. Die ebenfalls auf „Trouble No ­More“ zu hörende Live-Version von „Caribbean Wind“ aus San Francisco vom 12. November 1980 ist schon wieder bedeutend schneller und hat einen anderen Text.

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