Imbiss 2.0

Vorn anfangen -mit ein paar tapas. denn tapas sind nicht nur die neueste Fast-Food-Mode. Aus einer uralten Tradition heraus entstanden, wurden sie zum Gourmet-Häppchen veredelt und erobern als spanischer Exportschlager Nummer eins die Welt

Beschwingtheit gegen Völlerei, Mar-y-Montaña-Vielfalt gegen Pommes-Einfalt -Tapas haben sich vom frühabendlichen Imbiss zur Grundlage einer umfassenden Umwälzung der Essgewohnheiten gemausert. Meinen zumindest die von ihrem Großmeister Ferran Adrià inspirierten spanischen Kochavantgardisten, die mit aus hochkomplexen Tapas komponierten Degustations-Menüs den Restaurantbesuch zu einem abendfüllenden Kulturereignis gemacht haben, das im Grunde wie ein Pop-Konzert funktioniert. Jenseits der Gourmet-Tempel hat sich seit zwei, drei Jahren auch in Deutschland eine neue Tapas-Kultur entwickelt, in der Traditionalisten friedlich mit Geschmacksakrobaten koexistieren. Egal ob die klassische, Rita Hayworths Kurven nachempfundene „Gilda“ (Anchovis mit Olive und Peperoni) oder der in hauchdünne karamelisierte Paprikascheiben gehüllte Thunfischbauch -kreativ zubereitet stellen sie das ewige Sushi-Einerlei locker in den Schatten. Was einmal in Andalusien als aristokratisches Almosen fürs Gesinde erfunden wurde, gilt heute als konzeptuelle Grundlage zahlloser „Junger Wilder“, die im Windschatten der in den Neuzigern von Adrià losgetretenen Geschmacksrevolution die neue Tapas-Kultur mit ihren Experimenten bereichern. Einst wurden den Kutschern ein paar Häppchen vom Ibérico-Schinken nach draußen gereicht, damit sie nicht so schnell besoffen wurden. Heute findet man in jeder spanischen Stadt moderne, geradezu dekonstruktivistische Tapas-Bars – die Zeiten, als man sich an den Stränden mit ranzigen Tintenfischringen und Shrimps-Kroketten den Magen verdarb, sind zumindest außerhalb der Touristenhöllen definitiv vorbei.

Besonders gut lässt sich das im Baskenland studieren -wo sie Pintxos („pintschos“ ausgesprochen) heißen und man eigens das 0,1-l-Bierglas fürs Bar-Hopping erfunden hat -, und dort vor allem in San Sebastián, der Welthauptstadt der Pintxos, wo die Anarchoköche vom A Fuego Negro (www.afuegonegro.com) eine Marmelade vom Ibéricoschinken mit Ziegenkäse und Wasabi-Erbsen anbieten, während ein paar Häuser weiter zu Wildsülze Hummer-Jus aus dem Reagenzglas kredenzt wird.

Auch in deutschen Tapas-Läden, etwa in Daniel Brühls Kreuzberger Bar Raval, kann man die neue Auffassung vom Essen überprüfen. Die höchste Vollendung in Deutschland findet man allerdings bei Juan Amador, dem schwäbischen Spanier, der in Mannheim ein Drei-Sterne-Restaurant betreibt und als einer der ersten die Fusion von eleganter spanischer Leichtigkeit und schwerblütiger deutscher Romantik gewagt hat. Ein Essen dort kostet kaum mehr als ein Madonna-Konzert. Aber es geht auch preiswerter: Amadors Rezepte findet man in seinem für den aufgeschlossenen Hobby-Koch konzipierten neuen Buch („Tapas & Snacks“, Heel, 19,99 Euro). Wer die raffi nierteinfachen Rezepte nachkocht, fühlt sich am Ende vielleicht wie Bob Dylan, als der zum ersten Mal die Gitarre einstöpselte: Auf einmal tun sich neue Welten auf.

KLASSISCH

Die Ur-Tapa ist legendenumrankt. Wahrscheinlich handelt es sich um die auch heute noch gern goutierten hauchdünnen Scheiben vom Jamón Ibérico, dem Schinken des mit Steineicheln genährten schwarzen Schweins, mit dem die Kutscher einst ihre Sherrygläser abdeckten (la tapa: der Deckel), damit ihnen keine Wespen hineinflogen.

DEKONSTRUIERT

2010 verblüffte der katalanische Drei-Sterne-Koch Joan Roca Fachwelt und Publikum mit einer Sardinengräte, die er in mit duftenden Aromen versetztem Olivenöl knusprig frittiert hatte, kreierte ein oft variiertes Geschmackserlebnis und eröffnete der vollumfänglichen Produktverwertung neue Dimensionen.

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