Immer nur an Wilco gemessen zu werden, ist für SON VOLT ein zwiespältiges Vergnügen

Es fallt nicht schwer, sich Jay Farrar als Mann einsamer Entscheidungen vorzustellen. Nicht eben unfreundlich, aber doch recht wortkarg stellt sich der Chef von Son Volt erstmals dem deutschen Interview-Zirkus. Wer ihm eine Frage stellt, sollte die nächste schon parat haben. Und sich lieber nicht darauf verlassen, daß schon irgendein Gesprächsfaden greifbar würde. Eher wird ungeduldig mit den Kiefern gemahlen.

Eine wohl einsame Entscheidung fällte der Mann aus St Louis/Missouri, als er Schulfreund Jeff Tweedy und Uncle Tupelo nach dem Major-Debüt „Anyodyne“ Lebewohl sagte. Zwei Songwriter – eine Band. Das konnte nicht länger gutgehen. Auf die Frage, ob Son Volt so etwas wie eine „demokratische“ Band seien“ entgegnet Farrar: „Nun, jeder kann etwas beitragen, es gibt kollektive Entscheidungen. Aber die Songs sind meine. Also hoffe ich auch, das letzte Wort zu haben.“

Pikant war vor allem, daß sich das Son Volt-Debüt „Trace“ dann etwa doppelt so gut verkaufte wie „A.M.“ von Tweedys Gruppe Wilco. Man habe, meint Farrar, selbst „nicht erwartet, daß sowas im Radio gespielt“ würde.

Nach „Trace“ waren Son Volt pausenlos auf US-Tour, was dem geschlossenen Sound des neuen Albums „Straightaways“ durchaus zugute kam, sonst aber kaum bleibende Eindrücke hinterließ. „Es verschwimmt einfach alles in der Erinnerung“, seufzt Farrar. Und dann fallt ihm doch noch ein „odd moment“ ein – nämlich dieses Open-air-Festival in Pennsylvania. „Neil Young sollte auch auftreten. Und irgendwann merkte ich, daß wir an gegenüberliegenden Enden des Football-Feldes gleichzeitig auf der Bühne standen und gegeneinander anspielten.“ In einem Platzregen fand das „merkwürdige“ Procedere „vermutlich das richtige Ende“.

„Straightaways“ spricht von Zerfall und Veränderung, vom Chaos, aus dem sich neue Strukturen zu schälen beginnen. Das sei sicher „keine bewußte Entscheidung“ gewesen, darüber zu schreiben, liege heute aber in den USA „einfach auf der Hand“. Farrar: „Im postindustriellen Zeitalter bröckelt es an allen Ecken und Enden. Selbst in einer historisch gewachsenen Stadt wie St. Louis. Die Leute bauen sich lieber ihre billigen, standardisierten Häuschen in den Suburbs. Das ist schon deprimierend: urban sprawl, USA.“ Er ringt sich ein kurzes Lachen ab.

Es kümmere ihn persönlich nicht, ob man UT für eine über- oder unterschätzte Band halte. Argumente gebe es „sicher für beide Seiten“. Doch ein Track auf „Straightaways“ führte ihn sogar direkt zu seiner alten Band zurück: „Been Set Free“ ist die Antwort auf das Traditional „Lilly Schull“ vom UT-Album „March 16-20,1992“. Seine Frau schrieb die erste Strophe. „Sie fand die männliche Perspektive des Originals immer furchtbar und hat deshalb nun ihre Sichtweise entgegengesetzt. Und die setzte ich dann fort. Das war nicht einfach. Nichts, worauf ich selbst gekommen wäre. Es ist ja eine alte amerikanische Folk-Tradition, diese Art Mörder-Balladen. Und immer bringt der Mann die Frau um.“ Vermutlich auch eine einsame Entscheidung.

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