In einer faktenreichen Analyse rollt STAN CORNYN die Geschichte von Warner Brothers auf – und kann sich angesichts der Realität die Wehmut nicht verkneifen

The amazing true story of one of the world’s biggest labeis“, weiß der Umschlagtext bereits, sei ein „authoritative account sure to join the bestselling ranks of ,Hit Men‘ and ,The MansionOn The Hill‘.“ Was, wie immer, mit Vorsicht zu genießen ist. Wer die beiden Klassiker über das amerikanische Musikgeschäft gerade wegen seiner subversiven Häme schätzt, dürfte bei „Exploding“ wohl kaum auf seine Kosten kommen. „Hit Men“ beleuchtete die wenig ruhmreichen Beziehungen zur Mafia, „The Mansion On The Hill“ die meist schamvoll verheimlichten Großinvestitionen der Großverdiener – beides scharfzüngige, oft genug polemische Attacken auf einen Geschäftszweig, der – in den Gründerjahren jedenfalls mehr mit einer Galeere gemein hatte als mit dem ach so aufregenden, aufstrebenden und künsderfreundlichen Metier, als das sich das Musikgeschäft so gern präsentierte. Dass „Exploding“ in diesem Punkt nicht mithalten kann und will, erklärt sich aus der Person des Autoren. Stan Cornyn stand drei Jahrzehnte lang auf Warners Gehaltsliste, zuletzt als Vice President, und hat auch nach seinem Ausscheiden offenkundig keinerlei Neigung zum Nestbeschmutzer. Dafür kann er anderes. Der „king of die linernotes“, wie er in den Sechzigern ob seiner brillanten Covertexte genannt wurde, erzählt die atemberaubende Achterbahnfahrt einer Firma, die von Film-Mogul Jack Warner als ungeliebtes Soundtrack-Label gegründet, dann vom ehemaligen Beerdigungsinstitut Kinney geschluckt wutde, die Ende der Sechziger unter ihrem charismatischen Steuermann Mo Austin zu einem kreativen Höhenflug ansetzte – um dann im Zuge immer absurderer Fusionen zu einem kleinen Rädchen des AOL-Time-Warner-Konglomerates zu mutieren. Etwa wie Neil Young, Mitte der 70er Jahre von einem anstehenden Mega-Quake fest überzeugt, beim Besuch in L.A. partout nicht im Hotel nächtigen wollte, sondern auf einen einsturzsicheten Trailer im menschenleeren Filmstudio bestand. Oder wie Manager Robert Stigwood auf einem Flug nach London dem schlafenden Ahmet Ertegun den Ausweis klaute, das Foto mit einer fellationierenden Dame überklebte – und bei der Passkontrolle einen düpierten Atlantic-Chef erleben durfte. Ja, so waren sie, die guten alten Zeiten. Warum die goldenen Jahre, in denen Warner Bros, die Konkurrenz deklassierte, aus scheinbar heiterem Himmel zu Ende gingen? Mit einer Träne im Auge stellt sich Cornyn die Frage selbst. Einer der Gründe, bilanziert er am Ende des Buches, seien sicher die Übernahmen durch immer größere, immer gesichtslosere Corporations gewesen. Ein anderer die damit verbundene Machtergreifung durch „the suits“. Die beschlipsten Buchhalter seien es letztlich gewesen, die den heiligen Wahnsinn, ohne den die kreativste Phase der Musikindustrie undenkbar war, durch phantasielose Planwirtschaft ersetzten. Dass dies keine polemische These, sondern Realität ist, musste Warner-Mann Cornyn zu Ende seiner Karriere selbst erfahren. Wollte er früher einen neuen Künstler vermarkten, waren seiner Exzentrik keine Grenzen gesetzt Für Randy Newman prägte er den Slogan „Wenn man sich an seine seltsame Stimme erstmal gewöhnt hat, ist er gar nicht so übel“. Bei Neil Youngs Solo-Debüt lockte er die Käufer mit einem Säckchen „echter Erde aus dem Topanga Canyon“. Und die Anarcho-Hippies The Fugs brachte er in die Schlagzeilen, indem er eine Liebesnacht mit Fugs-Chef Kupferberg verloste. Als man ihn nach seiner Pensionierung um kreative Ideen bat, „passierte nicht eine die Stein gewordenen Instanzen“. Sein Buch verstehe er daher auch nicht als emotionslose Historie. „Ich hoffe, dass es von den jungen Leuten gelesen wird, die heute im Musicbiz arbeiten. Und denen dadurch vielleicht klar wird, dass es Werte gibt, die man nicht über Bord werfen sollte.“ [W. Morrow & Co., 35 $, in Deutschland 49,62 Euro bei Amazon.de) Bernd Gockel

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