In seltener Einhelligkeit besweist die deutsche Rockelite derzeit: Neue Ideen und neue Platten sind zwei Paar Schuhe

Mm Benjamin v. Stuckrad-Barre Man muß das Eisen schmieden, solange es glüht Und erfolgreiche Bands sollte man vermarkten, solange sie Hitpotential versprechen. Und wenn die Künstler einmal eine längerfristige kreative Pause einlegen, bedeutet dies noch lange nicht das zwangsläufige Ausbleiben von Veröffentlichungen. Der Trick ist so einfach wie unaufwendig: Alten Werken wird der Anstrich des Neuen verliehen. Das ausgewählte Material wird einer Art Lifting unterzogen, um dem Vorwurf der Plumpheit von vornherein zu entgehen. Plötzlich tauchen unveröffentlichte Versionen von längst bekannten Songs auf, oder die allerbesten Stücke werden nochmal exakt nach dieser Maxime zusammengestellt. Damit es auch jeder weiß. Oder es finden sich gar – meist aus gutem Grund – nie veröffendichte Songs, die man den Fans keinesfalls weiterhin vorenthalten möchte. Drei aktuelle Beispiele aus der Erfolgsspitze des deutschen Rock-Eisberges zeigen unterschiedliche Vorgehensweisen zur Überbrückung der kreativen Flaute auf. Fury In The Slaughterhouse kommen dieser Tage mit einem Buch samt CD inklusive – natürlich! – unveröffentlichten Songs auf den Markt. BAP läuten die Vorweihnachtszeit mit einer klassischen Hit-Kopplung ein, bereichert durch – ebenfalls sehr beliebt – einen neu eingespielten und zwei ganz und gar neue Songs. Herbert Grönemeyer schließlich bringt zeitgleich ein Live- und ein unplugged-Album heraus. In dieser Häufung wiederum etwas ungewöhnlich. Spannend werden diese per se musikalisch eher unspektakulären Veröffentlichungen, wenn man sie zum Teil zwangsläufig hypothetisch – in die Biographie des Künstlers einzuordnen versucht. Völlig recht hat Wolfgang Niedecken, wenn er Best-of-Alben als „immer retro“ bezeichnet Auf die zum Großteil sehr lange zurückliegenden Entstehungsdaten der ausgewählten Hits angesprochen, entgegnet er zu Recht: „Boomzeit haste nur einmal“ Das Best-of Album also als Lebenselexier? „Ich steh eigentlich nicht auf solche Alben“, gibt Niedecken zu. Man habe jetzt eben den Rücken frei, stünde nicht unter Druck mit Veröffendichung des nächsten Studio-Albums. Der eigendiche Grund für den Zeitpunkt der Veröffendichung jedoch sei „noch viel banaler“: „Das paßt mit dem Weihnachtsgeschäft wunderbar.“ Natürlich ist es alles andere als verwerflich, wenn eine Band wie BAP „nach 16 Jahren aktiver Teilnahme am Rock & Roll“ (Niedecken) ihr erstes Best-of-Album veröffendicht Unbestritten, daß sich, so Niedecken, „ein Haufen Hits“ angesammelt hat Der Zeitpunkt der Veröffentlichung erscheint dennoch interessant Nachdem BAP mit dem letzten Studio-Album „Pik Sibbe“ zum erstenmal seit zwölf Jahren nicht auf Platz 1 der Verkaufscharts vordringen konnten und Wolfgang Niedecken heuer mit seinem Dylan-Cover-Projekt („LeopardefeUband“) gute Kritiken einheimste, und sich angesichts neuerlebter Spielfreude etwas skeptisch über die Zukunft von BAP äußerte, schien „die Firma“ (BAP über BAP) ins Schlingern zu geraten. Was rettet da zuverlässiger als ein Best-of mit Verkaufsgarantie? Anders der Fall bei Fury In The Slaughterhouse. Die konnten Anfang des Jahres mit „The Hearing And The Sense Of Balance“ zum ersten mal weit in die TopTen vordringen. Nun sind die Verkäufe abgeflaut, doch gilt es, den Boom auszuweiden. Für die, die das Album schon besitzen, gibt es nun die Band-Biographie „Scheiß Rock 8C Roll“. Den Band-Intima beigelegt ist eine CD, laut Gitarrist Thorsten Wingenfelder „mit teilweise völligem Schwachsinn, aber größtenteils mit eigentlich sehr guten Ausschußstücken“. Guter Ausschuß – welch schillernder Euphemismus. Von Herbert Grönemeyer aber wird niemand etwas erfahren. Die Promotion zu seiner Doppelveröffendichung scheint vom Geheimdienst ersonnen. Immerhin wird klar, daß seine Plattenfirma ausnahmslos hinter dem Produkt steht Beim Versuch, ein Statement über die Notwendigkeit zweier Live-Alben zu erhalten, scheitert man zwar, wird jedoch einmal komplett durchs Haus „weiterverbunden“. Und derweil läuft in der Warteschleife „Halt mich“. Live gesungen von Herbert Grönemeyer: „Nehm‘ Träume für bare Münze.“ Wir ergänzen: oder umgekehrt

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